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Spitzensportler in GroßbritannienDer Mann, den sie Mo Farah nannten

Bei Olympia 2012 jubelte Großbritannien über seinen somalischstämmigen Langstreckenläufer. Zehn Jahre später enthüllt Mo Farah, wer er wirklich ist.

Hussein Abdi Kahin, wie Mo Farah eigentlich heißt, bei seinem Olympia-Triumph 2012 Foto: Jean-Christoph Botte EPA-EFE

London taz | Einer der bekanntesten britischen Sportler, der von der Queen sogar zum Ritter geschlagen wurde, hat sich als illegal eingereistes Flüchtlingskind geoutet, das eigentlich ganz anders heißt. „Die meisten Menschen kennen mich als Mo Farah. Das ist aber weder mein Name noch die Wirklichkeit“, sagt der Athlet in einer BBC-Dokumentation, die am Mittwochabend ausgestrahlt wird.

Der Brite somalischer Herkunft wurde weltberühmt, als er bei den Olympischen Sommerspielen in London 2012 zweimal Gold im Langstreckenlauf holte. Sein Markenzeichen war das mit den Händen über den Kopf gestikulierte M. Nun enthüllt er seine Lebensgeschichte.

„Die wirkliche Geschichte ist, dass ich in Somaliland, nördlich von Somalia, als Hussein Abdi Kahin auf die Welt kam. Entgegen allem, was ich in der Vergangenheit angegeben habe, lebten meine Eltern nie im Vereinigten Königreich“, erzählt der heute 39-Jährige da.

Seine Geschichte solle nun einen Beitrag zur öffentlichen Meinung in Sachen Menschenschmuggel und Sklaverei leisten. „Ich war mir nie bewusst, dass viele Menschen genau das Gleiche erleben, wie ich es einst tat.“

Aus Somalias Bürgerkrieg geflohen

Tief ins Detail gehend, berichtet Farah darüber, dass er nur vier Jahre alt war, als sein Vater im somalischen Bürgerkrieg ums Leben kam und seine Familie auseinandergerissen wurde. Seine Mutter schickte ihn als Achtjährigen zunächst zu Verwandten nach Dschibuti und ein Jahr später mit völlig Fremden ins Vereinigte Königreich. Dies geschah unter dem Namen Mohammed Farah und mit dem Pass eines anderen Jungens.

Am Anfang habe er sich darüber gefreut, zum ersten Mal zu fliegen, doch schon bald wich die Begeisterung düsteren Realitäten, erinnert er sich. Die Familie, die den Kleinen in London nach seiner Ankunft aufnahm, hatte nicht sein Bestes im Sinn. Sie nutzte ihn als Haushaltshilfe aus.

Farah, selbst noch klein, musste für die Familie kochen und kleine Kinder pflegen und auf sie aufpassen. Jahrelang ließ man ihn nicht in die Schule gehen. Ein Zettel mit den Angaben zu seiner wahren Familie wurde vor seinen Augen in Stücke zerrissen.

„In diesem Moment wurde mir klar, dass ich Probleme hatte“, erzählt Farah. Die Frau in der Familie habe ihm gesagt, dass er arbeiten müsse, um zu essen, und dass er schweigen solle, wenn er seine Familie je wiedersehen wollte. „Ich schloss mich oft im Bad ein und weinte“, so Farah.

Der Sport war seine Rettung

Als man ihn schließlich im Alter von etwa 12 Jahren in die 7. Klasse einer Schule im Westlondoner Stadtteil Hounslow schickte, fiel er dort als ungepflegt und emotionell und kulturell fremdelnd auf, mit wenig Englischkenntnissen, erinnert sich eine der Lehrerinnen in der Dokumentation.

Farah sei ein Flüchtlingskind aus Somalia, wurde den Lehrkräften gesagt – ohne dass jene, die behaupteten seine Eltern zu sein, je zu den Elternbesprechungen kamen.

Die Sprache, die dieser Schuljunge verstand, war die des Sports. „Rausgehen und Laufen war mein Lebensretter.“ Es war schließlich sein Sportlehrer, Alan Watson, dem Farah die Wahrheit über sich selber erzählte. Dieser überwies den Jungen an die Sozialdienste, was dazu führte, dass er in die Pflege einer anderen somalischen Familie kam, wo es ihm besser ging. Der gleiche Lehrer half Farah, im Jahr 2000 britischer Staatsbürger zu werden.

Mo Farahs leibliche Familie lebt immer noch in Somaliland. Die Frau, die Farah nach London gebracht hatte, reagierte nicht auf Versuche der BBC, sie zu kontaktieren.

Mehr Erfolg hatte Farah beim Versuch, die Person zu kontaktieren, deren Namen er trägt. In einem Telefongespräch dankte er dem Mann. „Du bist mein Bruder“, antwortete dieser.

Streitthema Bootsflüchtlinge

Seine wahre Geschichte erzählt Mo Farah in einer Zeit, in der die Versuche vieler Flüchtlinge, über den Ärmelkanal in das Vereinigte Königreich zu gelangen, um dort Asyl zu beantragen, ein großes politisches Streitthema gewesen sind. Menschen, die auf diesen Weg einreisen, sollen in Zukunft nach Ruanda geschickt werden.

Doch man werde „keinerlei Maßnahmen gegen Sir Mo Farah ergreifen“, bestätigt das Innenministerium der taz auf Anfrage. „Laut unseren Richtlinien ist ein Kind nicht für einen gefälschten oder vorgetäuschten Antrag auf britische Staatsangehörigkeit verantwortlich.“

Für die involvierten Erwachsenen könnte das weniger eindeutig sein, berichtet die britische Times. Laut einem Anwalt, den die Zeitung befragte, sollten die ehemaligen LehrerInnen Farahs allerdings vor Strafverfolgung sicher sein, weil sie ein geschmuggeltes Kind aus der Sklaverei retteten.

Menschenschmuggel sei ein abscheuliches Verbrechen, sagte ein Sprecher des Innenministeriums der taz und bestätigte, es sei unwahrscheinlich, dass es im Fall des Sportlehrers zu einem Verfahren kommen werde.

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2 Kommentare

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  • Dass das Innenministerium Menschenschmuggel als Verbrechen bezeichnet, finde ich zynisch. Die westliche Politik der Abschottung ist es doch, die den Menschenschmuggler*innen erst die Möglichkeit gibt, die Not der Menschen in Ländern wie Somalia auszunutzen. Die westliche Außenpolitik leistet alles zusammengenommen auch keinen positiven Beitrag, die Lebenssituation und die Selbstbestimmung der Menschen in Afrika zu verbessern.

    Ähnliches gilt für die Schleuser*innen: Sie zu verteufeln ist sicherlich berechtigt. Es ist aber eine Scheindebatte, weil durch sie auch Menschen mit Schutzberechtigung in die EU kommen. Und das trotz der restriktiven Asylgesetzgebung. Mir scheint, dass die Politik den Fokus auf die Schleuser*innen lenkt, um ihre Ablehnung von Asylsuchenden zu verschleiern.

  • "Menschenschmuggel sei ein abscheuliches Verbrechen, sagte ein Sprecher des Innenministeriums der taz"

    - Ich verstehe nicht, Herr Zylbersztajn, wie Sie dieses Narrativ unwidersprochen am Ende des Artikels plazieren. Ihre Artikel und Themenwahl finde ich sonst so gut! Die verbreitete Phrase ermöglicht auch wohlmeinenden Grünwähler*innen die menschenverachtende Abschottung Europas gutzuheißen. Leider tun Schlepper den Flüchtenden oft schreckliche Verbrechen an, aber das ist nicht der Grund warum die Innenministerien sie hassen. Ihr wahres "Verbrechen" ist, das sie auch Flüchtende nach Europa bringen, die unbequemerweise Schutzstatus genießen.

    "und bestätigte, es sei unwahrscheinlich, dass es im Fall des Sportlehrers zu einem Verfahren kommen werde."



    - Zu deutsch: "Und natürlich ist unser System korrupt! Wen sich ein ungeliebter Immigrant für das alternde Imperium verdient gemacht hat, dann ist er im Gegensatz zu denen, die wir loswerden wollen, aller Ehren wert. Ein wohlmeinender weißer Sportlehrer natürlich ebenfalls. Wir sind ja kein Unmensch, bzw. müssen wir das ja nich jedem auf die Nase binden."