piwik no script img

Feminismus und PopmusikEmpowerndes Bouncen trotz Sexismus

Unsere Autorin tanzt gerne Reggaeton und ist Feministin. Und das ist keineswegs ein Widerspruch, auch wenn die Lyrics teilweise sexistisch sind.

Die kolumbianische Reggaeton-Künstlerin Karol G Foto: Jose Mendez/EPA

I ch bin Feministin und tanze gerne zu Reggae­ton. Das ist Tanzmusik für die Massen aus Lateinamerika, die aber längst auch in Spanien und Italien auf jeder Party läuft. Nur hierzulande bekomme ich für diese Vorliebe – häufig von woken, linken Männern – den Kommentar: „Du magst Reggaeton? Aber die Lyrics sind doch total sexistisch!“

Ja, das stimmt. Meiner persönlichen, halb repräsentativen Studie zufolge, lassen sich 80 Prozent der Reggaeton-Texte inhaltlich einer der folgenden Kategorien zuordnen: „Du bist so hot, ich will Sex mit dir“, „Du hast mich verlassen, ich leide“, „Ich habe dich schlecht behandelt, aber komm, sei doch nicht so“ oder „Er behandelt dich schlecht, ich wäre besser für dich“. Darin kommt oft ein besitzergreifendes Verständnis von Liebe und allerlei anderer problematischer Bullshit zum Ausdruck.

Aber ganz ehrlich – lassen sich nicht 80 Prozent aller Popsongs weltweit in ungefähr diese inhaltlichen Kategorien einteilen? Ich frage mich manchmal, wie viel vom Klischee des Latino-Machos dahintersteckt, dass ausgerechnet Reggaeton in Deutschland sofort mit Sexismus assoziiert wird. Ich sehe nämlich wenig Unterschied zu beispielsweise deutschen Schlager-Texten. Von den vielen weiblichen, queeren und feministischen Reggaeton-Artists ahnen die woken deutschen Lefties dagegen oft nichts.

Der Punkt ist aber nicht, dass Sexismus im Reggaeton zu entschuldigen sei, weil andere Musikrichtungen genauso schlimm sind. Sondern dass der Großteil der Mainstream-Musik im Allgemeinen sexistisch ist, weil sich das im Patriarchat gut verkaufen lässt. Ich verstehe alle, die keine Lust haben, sexistische Songs und Künst­le­r*in­nen zu hören. Auch ich habe meine Grenzen: zum Beispiel bei expliziten Beschreibungen von sexualisierter Gewalt. Doch wenn ich alles an sexistischer Musik boykottieren würde, bliebe einfach nicht mehr viel übrig. Und ich habe nicht vor, bis zur Revolution aufs Tanzen zu verzichten.

Reggaeton ist eine sehr überzeugende Einladung, raumgreifend und sexy zu tanzen. Ähnlich wie Hip-Hop, auch eine Musikrichtung, der besonders oft Sexismus vorgeworfen wird. Wer weiblich sozialisiert wird, besonders im globalen Norden, lernt, nicht zu viel Raum einzunehmen, den Körper zu disziplinieren, ihn schlank und straff halten, sexy zu sein, aber auch nicht zu sehr – wir wollen ja schließlich nicht als Schlampen gelten.

Zu Reggaeton oder Hip-Hop abzugehen, heißt dagegen, uns Raum zu nehmen, unser Fett zum Bouncen zu bringen und unsere Körper in all ihrer Sexyness zu feiern und uns dabei mit anderen verbunden zu fühlen. Das kann ein sehr empowerndes Gefühl sein. Uns Musik anzueignen, sie umzudeuten, über sie zu lachen, kann ein Akt des Widerstands sein. Vor allem aber macht es Spaß. Spaß, der nichts kostet, niemanden ausbeutet, die Umwelt schont. Bei all den gesellschaftlichen Strukturen, die uns diesen verderben sollen, finde ich das schon Grund genug.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Lou Zucker
Lou Zucker ist Journalistin und Autorin. Als Redakteurin arbeitete sie für neues deutschland, Supernova, bento und Der Spiegel, derzeit ist sie Chefin vom Dienst bei taz nord in Hamburg. Ihr Buch „Clara Zetkin. Eine rote Feministin“ erschien in der Eulenspiegel Verlagsgruppe.
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Was soll man dazu sagen? Vielleicht: Die Ansprüche sind unterschiedlich? Was ich wirklich dazu zu sagen hätte, käme nicht durch die Kommentarprüfung. Und das ist bitter angesichts der Tatsache, dass es immer noch ein Kampf ist, gegen Sexismus, Misogynie und Male Gaze in der Gesellschaft anzugehen. Aber gut, wenn denn ein toller Rhythmus dabei ist, zu dem man raumnehmend bouncen kann...

  • Es wäre doch viel einfacher, nicht weiter über die Texte nachzudenken und statt dessen einfach nur die Musik zu genießen. Das ist bei deutschem Schalger immer etwas schwerer, gelingt aber bereits bei englischen Songs ganz hervorragend.

  • "Zu Reggaeton oder Hip-Hop abzugehen, heißt dagegen, uns Raum zu nehmen, unser Fett zum Bouncen zu bringen und unsere Körper in all ihrer Sexyness zu feiern und uns dabei mit anderen verbunden zu fühlen. Das kann ein sehr empowerndes Gefühl sein. Uns Musik anzueignen, sie umzudeuten, über sie zu lachen, kann ein Akt des Widerstands sein."

    Wenn die Autorin* zu der Musik abgeht, wo wird dort etwas angeeignet oder umgedeutet? Man könnte auch sagen, sie unterwirft sich genau den patriarchalen Strukturen, die man vorgibt verschieben zu wollen, indem man sie reproduziert - deshalb meine Frage nach der Aneignung und Verschiebung. Über sie zu lachen "kann" eben widerständig sein, es kann die Strukturen jedoch genauso bagatelisieren und relativieren.

    Das Argument mit queerem und feministischem Reggaeton verstehe ich, nur wo spielt der eine wirkliche Rolle in dieser Szene oder auf Mainstream-Parties? Weiblichkeit als Merkmal der Künstler*innen taugt mir nicht, da es auch genügend weiblich gelesene Rapperinnen gibt, die die gleichen sexistischen und kapitalistischen Strukruren reproduzieren wie irgendwelche Typen.

    Ich habe bei diesem Artikel den gleichen Eindruck wie bei dem BDSM-Artikel, dass es der Autorin offenbar schwer fällt zu akzeptieren, dass auch sie als Feministin nicht perfekt und durch diese Kultur sozialisiert wurde. Aber anstatt das zu aktzeptieren und damit feministisch zu arbeiten, werden diese widersprüchlichen Aspekte lieber in einen Pseudo-Feminismus verzerrt und sich scheinbar eher von (zu) hohen feministischen Ansprüchen zu emanzipieren versucht als von den patriarchalen Strukturen in der Musik oder des BDSM.

    • @White_Chocobo:

      Tja, das mit dem Musik „aneignen“ und „umzudeuten“ ist mir auch aufgefallen…dabei kommt Reggaeton ursprünglich aus Puerto Rico, also von karibischen POCs…nun gut, dann bitte aber auch kein Wort mehr gegen meine Dreadlocks!