Gentleman über Homophobie im Reggae: "Mich stört diese Doppelmoral"
Gehört Schwulenhass zum Reggae dazu? Der Reggaekünstler Gentleman wehrt sich gegen allgemeine Vorurteile. Er wünscht mehr Verständnis für die jamaikanische Kultur.
taz: Gentleman, die Reggae-Szene ist in Verruf geraten, weil jamaikanische Stars wie Sizzla offenen Schwulenhass predigen. Dagegen gibt es massive Proteste - zuletzt wurde sogar ein Auftritt von Sizzla in Deutschland verhindert. Wie stehen Sie dazu?
Gentleman: Die Debatte ist meiner Meinung nach aus dem Ruder gelaufen. Sie hat ein Level erreicht, wo Anschläge mit Buttersäure verübt werden. Oder wo ein Volker Beck durchsetzt, dass bestimmte Künstler kein Einreisevisum mehr bekommen. Es geht dabei nicht nur um Sizzla - da wird ein ganzes Genre kriminalisiert. Ich glaube, die Musik hat davon schon jetzt einen unfassbaren Schaden abbekommen. Da steht eine riesige Lobby gegen eine kleine Szene. Und das macht mich wütend.
Die Leute, die gegen Sizzla protestieren, wollen gegen dessen Homophobie protestieren …
Ja, aber wir reden hier von einer anderen Kultur. Ich kann ja auch nicht Kondomautomaten im Vatikan aufstellen. Oder im Iran gegen Kopftücher protestieren. Genauso wenig kann ich etwas gegen die Homophobie auf Jamaika tun.
Man sollte also mehr Verständnis für solche Künstler zeigen?
Ich distanziere mich ganz klar von jeder Homophobie. Und ich finde auch manche Lyrics völlig unverantwortlich, die kann man nicht bringen. Aber natürlich hat auch jeder das Recht zu sagen, dass er Homosexualität nicht okay findet oder dass er das mit seinem Glauben nicht vereinbaren kann. Mein Vater ist evangelischer Pastor, der hält das auch nicht für von Gott gewollt. Der Papst sagt das Gleiche wie ein Sizzla, nur in einer anderen Form. Die Frage ist, wo kommt die Homophobie her? Der weiße Mann hat die Bibel nach Jamaika gebracht. Diesen Gedanken sollte man sich mal machen.
Welchen Gedanken genau?
Was mich stört, ist diese Doppelmoral. Manche Rapper, die genauso schwulenfeindlich sind und in ihren Texten Frauen verprügeln, werden gesellschaftlich anerkannt. Oder eine NPD, die auf der Straße ihre Parolen brüllt, wird dafür auch von meinen Steuern finanziert. Und gleichzeitig landen irgendwelche Reggae-Platten auf dem Index. Das macht für mich keinen Sinn.
Wird der Reggae also nur missverstanden?
Reggae wurde schon immer missverstanden. Früher dachte man, alles wäre peaceful und nice. Dabei hieß es schon bei Bob Marley: "I shot the sheriff". Aber wenn jetzt Sizzla "Mash them down" singt, wo es ums babylonische System geht und um die Korruption der Politiker auf Jamaika, dann kommt da ein Volker Beck und sagt: Damit meint er bestimmt die Schwulen. Die sind aber überhaupt nicht gemeint, trotzdem landet der Song auf dem Index. Dann, finde ich, müsste man auch die Songs von Bob Marley auf den Index setzen. Der hat auch nicht immer nur "One Love" gesungen.
Können Kulturen sich denn nicht verändern?
Es ändert sich ja auch etwas. Wenn ich mir heute Texte von Sizzla, Bounty Killer oder Buju Banton anschaue, die sind nicht mehr so krass, wie sie in den Neunzigerjahren mal waren. Den Künstlern ist klar: Wir kommen damit nirgendwohin, wir handeln uns nur Auftrittsverbote ein. Mittlerweile hört man auch auf Jamaika im Radio keine homophoben Texte mehr, und die Promoter achten genau auf das, was da gesungen wird. Reggae ist ja ein internationales Ding geworden, durch die Globalisierung und das Internet.
Also zeigt der Druck aus dem Ausland doch Wirkung?
Man ist vorsichtiger in der Wortwahl. Aber im Kern haben sich die Überzeugungen nicht geändert. Homosexualität gilt auf Jamaika als absolute Sünde. "God made Adam and Eve, not Adam and Steve", diesen Spruch hört man dort immer wieder. Und nicht nur auf Jamaika. Ich bin ja viel in der Welt unterwegs, in Afrika oder Asien. Wir, die Homosexualität akzeptieren, sind weltweit gesehen eine Minderheit.
Verständlich, dass Schwule und Lesben das gerne ändern möchten, oder?
Ja, aber das funktioniert so nicht. Auch diese Unterschriftenaktionen oder Petitionen haben keinen Sinn. Das ist eine feste Überzeugung, die in Jamaika auf der Bibel gründet und die dort sogar gesetzlich geschützt ist.
Manche Reggae-Texte klingen wie ein Aufruf zur Gewalt. Ist das nicht schlimm?
Auf jeden Fall. Aber einen Reggae-Text einfach eins zu eins ins Deutsche zu übersetzen, das funktioniert nicht. "Fire burn" zum Beispiel ist eine Metapher, die häufig vorkommt im Reggae, auch Bob Marley hat sie oft benutzt. Das heißt nicht wörtlich, dass man Leute anzünden soll. Das heißt so viel wie: Ich bin dagegen. I bun this. Da wird eine fremde Symbolsprache missverstanden. Und ich habe es noch nie erlebt, dass Leute nach einem Konzert auf die Straße gehen und Homosexuelle angreifen - so wie das jetzt dargestellt wird.
Aber Schwule leben auf Jamaika doch ziemlich gefährlich, oder nicht?
Natürlich wird da eine Aggression an Minderheiten ausgelassen, die gesetzlich keinen Schutz genießen. Im Gegenteil: Homosexualität wird auf Jamaika mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft. Und natürlich stört mich das: Jeder Übergriff ist einer zu viel. Aber im Schnitt kommt das auf Jamaika nicht häufiger vor als, sagen wir, in Russland oder im Iran.
Und Sie meinen, dagegen kann man nichts machen?
Als sich die Ersten dort geoutet haben, fand ich das sehr mutig und dachte: na endlich! Und ich hoffe auch, dass sich das irgendwann mal ändern wird. Aber ich glaube nicht dran. Weil sie da sehr radikal sind, im Vergleich zu westlichen Ländern.
Mit Sizzla haben Sie schon gemeinsame Songs aufgenommen. Sind Sie befreundet?
Ja, Sizzla ist ein Freund von mir. Er gehört zu den Leuten, mit denen ich mich immer treffe, wenn ich in Kingston bin. Ich stimme mit ihm in diesem Punkt zwar überhaupt nicht überein und habe auch schon mit ihm viele Diskussionen gehabt: Wie kannst du nur solche Texte schreiben? Aber da läufst du gegen eine Wand.
Was ist Sizzla denn für ein Typ?
Meiner Meinung nach ist er ein sehr spiritueller Mensch. Und ein Künstler, der unfassbar gute Lyrics schreibt, wenn man von dem homophoben Scheiß mal absieht. Außerdem ist er der jüngste Hohepriester, den es bei den Bobo Ashanti je gegeben hat [einer streng gläubigen Rastafari-Sekte, deren Mitglieder ihre Dreadlocks unter einem Turban verbergen, d. Red.].
Und was ist die Judgement Yard? Ist das seine Gemeinde oder seine Gang?
Im positiven Sinne ist das die Gemeinschaft, die ihn umgibt und die er in Augusttown, einem Stadtteil von Kingston, aufgebaut hat. Dort unterhält er sein Studio, bietet Leuten eine Struktur an und die Möglichkeit, Musik zu machen. Das ist wie bei Bob Marley, der hat seine Leute auch die Tuff Gang genannt, und deshalb heißen seine Studios "Tuff Gong". Sizzla ist radikaler, und vermutlich sehe ich ihn auch kritischer als andere. Auf der anderen Seite macht er auf Jamaika mehr als so mancher Politiker, er lässt Wasserleitungen legen oder Schulen renovieren. Das wird von seinen Kritikern komplett übersehen.
Er hatte schon Probleme mit der Justiz: Vor fünf Jahren stellte die Polizei auf seinem Anwesen Waffen sicher.
Ich bin kein Freund von Waffen. Ich bin davon überzeugt, dass ich Gewalt anziehe, wenn ich eine Waffe trage. Aber gleichzeitig muss ich erkennen, dass die Situation auf Jamaika so vertrackt ist, dass Waffen dort einen gewissen Schutz bieten. Auch Sizzla sagt: Ich glaube nicht an Waffen. Andererseits hat er so Anwandlungen, dass er auf einmal über "Guns" singt. Es gibt Gerüchte, dass manche Leute ihm an den Hals wollen. Er ist eben ein sehr paradoxer Mensch.
Sie lesen die Bibel vermutlich anders als Sizzla?
Ich finde die Bibel ein sehr interessantes, aber auch sehr gefährliches Buch. Mein Gott ist nicht der Gott des Alten Testaments. Was es da alles gibt, von der Opferungsgeschichte bis zur Homophobie, das ist wirklich unglaublich und hat mit meinem Gott nichts zu tun. Ich bin eher ein Freund des Neuen Testaments. Mein Gott ist vielleicht eher ein Konzept, der für das Gute im Menschen steht - für das, was uns zusammenhält.
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