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Das Problem der jungen Leute

In der Verdrängungsgesellschaft herrscht angesichts der ökologischen und sozialen Aussichten Ratlosigkeit vor. Wenn sich die Erkenntnis über die globale Zerstörung nicht bald durchsetzt, kommen alle Rettungsmaßnahmen zu spät

Den Apologeten der Marktwirtschaft ging es stets um ihren Profit. Umweltschutz musste sich unterordnen

Von Dietmar Rauter

Vor wenigen Tagen hat das Bundesverfassungsgericht eine Klage von jungen Menschen, die von der Deutschen Umwelthilfe unterstützt wurde, gegen ein unzureichendes Klimaschutzgesetz gar nicht erst zur Behandlung angenommen. Und das, nachdem erst im letzten Jahr in der gleichen Instanz der Gesetzgeber das Recht der jüngeren Generation für einen umfassenden Klimaschutz ins Stammbuch geschrieben hatte. Wie kann es dazu kommen, dass angesichts der vielen nicht mehr zu übersehenden Auswirkungen der Klimakatastrophe sich Richter – oft alte Männer ohne Zukunft – weigern, „aus Überlastung“ die Klage überhaupt anzunehmen?

In dieser Verdrängungsgesellschaft, in der ein immer größerer Anteil der Bevölkerung, insbesondere die mittleren Jahrgänge, gar nicht mehr zur Wahl geht, herrscht Ratlosigkeit vor. Insbesondere angesichts der nicht besonders rosigen Aussichten in Bezug auf Klima und Arbeitsplatzsicherheit und jetzt auch noch der Inflation. Die Angst vor einer Debatte über einen Wohlstandsverzicht bei den zur Wahl stehenden Parteien, den die meisten Mitmenschen durchaus auf der Rechnung haben, führt nicht dazu, das Vertrauen der Wäh­le­r*in­nen in ein glaubwürdiges parlamentarisches System, das die Klimakata­strophe im Griff hat, zu stärken. Im Gegenteil: Wenn ausgerechnet „Grüne“ jetzt erst – fast überrascht – in der absoluten Notlage Sparmaßnahmen bei Gas und Strom einfordern, die eigentlich immer schon erwartet wurden, dann beweist dies die Scheuklappenmentalität der Politiker, die einen ehrlichen Dialog, was Maßnahmen wie etwa Kreuzfahrten verbieten angeht, meiden wollen. Jetzt erst beginnt einem sogenannten „Wirtschaftsminister“ ohne ökonomische Vorkenntnisse, der immer schon das Verbrauchen fossiler Energien teurer machen wollte – was auch richtig ist, – zu dämmern, in welcher desolaten Lage sich die Apologeten der Marktwirtschaft befinden. Diesen ging es stets um ihren Profit, dem sich Umweltschutz, gewerkschaftliche Rechte und Menschenrechte unterzuordnen hatten. Zum Beispiel indem sie vor Jahren klimaschädigende Produktion nach China oder in abhängigere Staaten verlagerten, wo sie mit weniger Auflagen oder Besteuerung rechnen konnten. Jetzt erst verstehen wir, was die Helfershelfer der großen Klimaverbrecher von der Stahl- und Automobilindustrie, der Chemie, die uns das Plastik und schädliche Düngemittel untergejubelt haben, wie ein Gerhard Schröder mit seinem billigen Gasdeal zugunsten der Konzerne, in ihrem mörderischen Wettbewerb um sinkende Profite so bewirken.

Jetzt erst, da Putin in seinem Abwehrkampf gegenüber demokratischen Bewegungen, wie sie in Belarus gerade noch niedergehalten werden konnten, einen Krieg anzettelt.

Oder die chinesische Führung jetzt den Spieß umdreht und gern das „westliche“ Know-how übernimmt, aber sonst den Globalisten von außerhalb den Stinkefinger zeigt.

Das Gerede von der Überlegenheit eines westlichen demokratischen Systems relativiert sich gerade angesichts der Tatsache, dass die ökonomischen Grundlagen für einen Wohlstand im Kapitalismus volatil sind. Know-how zugunsten einer Profitwirtschaft lässt sich nicht fesseln. Ohne Rohstoffe und bei einer hohen Staatsverschuldung der westlichen Systeme droht eine systembedingte Krise. Wenn sich die Erkenntnis über den Zustand der globalen Zerstörung nicht weltweit durchsetzt, kommen alle Umweltschutzmaßnahmen zu spät.

Vielleicht ist das nicht angenommene Urteil des Bundesverfassungsgerichts ein stilles Eingeständnis, dass das Problem der jungen Leute um Fridays for Future nicht mehr allein von Deutschland aus zu lösen ist.

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