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Krieg in der Ukraine„Mehr als 100 menschliche Körper“

In der Ukraine sterben bei einem russischen Angriff auf und um Odessa mindestens 20 Menschen. Im be­setzten Mariupol wird ein Massengrab gefunden.

Was nach dem Angriff bei Odessa bleibt: Zerstörte Wohnhäuser und Überlebende, die weitermachen Foto: afp

Berlin taz | Odessa trägt an diesem Samstag Trauer. Wie der Pressedienst des Stadtrats auf Telegram am Freitag mitteilte, werden ukrainische Flaggen auf Gebäuden staatlicher Behörden, lokaler Regierungen, staatlicher Unternehmen, Institutionen und Organisationen in der gesamten Region auf Halbmast gehisst. Auf Unterhaltungsveranstaltungen, Konzerte sowie Sportwettkämpfe solle verzichtet, Fernseh- und Hörfunkprogramme auf regionaler und lokaler Ebene entsprechend geändert werden.

In der Nacht zu Freitag hatten mehrere russische Raketen in Odessa und Umgebung eingeschlagen. Beim Beschuss eines neunstöckigen Wohnhauses wurden 16 Menschen getötet, in der Ferienanlage der Stadt Bilhorod-Dnistrowskyj verloren vier Personen, darunter ein Kind, ihr Leben. 38 Menschen wurden verletzt. Da in Odessa Bewohner unter den Trümmern ihrer Häuser begraben worden seien, könne die Opferzahl weiter steigen, hieß es.

Zudem geriet ein Rehabilitationszentrum in dem Ort Sergeewka unter Beschuss. Dort werden Kinder aus der Republik Moldau behandelt. Das teilte Moldaus Gesundheitsministerin Alla Nemerenko auf Facebook mit, wie das ukrainische Nachrichtenportal Ukrainska Pravda berichtet. Ein Mitarbeiter wurde getötet, fünf weitere Personen wurden verletzt.

Die Angriffe erfolgten einen Tag, nachdem das russische Verteidigungsministerium den Rückzug seiner Truppen von der strategisch wichtigen und in der Nähe Odessas gelegenen Schlangeninsel bekannt gegeben hatte. Diese hatten das kleine Eiland bereits einen Tag nach dem Ausbruch von Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine besetzt.

Russland hat wiederholt bestritten, zivile Ziele in der Ukraine anzugreifen – so auch Präsident Wladimir Putin am Mittwoch bei einem Besuch in der turkmenischen Hauptstadt Aschgabat. „Bei uns schießt niemand so einfach aufs Feld“, sagte Putin und verteidigte damit einen Raketenangriff auf ein Einkaufszentrum in der zentral­ukrainischen Stadt Krementschuk am vergangenen Montag. Dabei kamen mindestens 20 Menschen ums Leben, 60 weitere wurden verletzt. Angeblich habe der Beschuss einem Lager mit westlichen Waffen gegolten.

In Russlands Duma liegt ein Gesetz zur Angliederung von Territorien vor

Unterdessen ist in der Hafenstadt Mariupol, die seit der letzten Maiwoche komplett unter russischer Kontrolle ist, ein weiteres Massengrab gefunden worden. „Wieder mehr als 100 menschliche Körper. Die Besatzer durchwühlen den Schutt, von Umbettung ist keine Rede“, zitiert das russischsprachige Nachrichtenportal insider.ru Petr Andrjutschenko, den Berater des Bürgermeisters von Mariupol.

Unterdessen werden in Russland weitere Weichen gestellt, um der Russischen Föderation weitere Territorien angliedern zu können. Eine entsprechende Gesetzesvorlage liegt der Duma seit dem vergangenen Donnerstag vor, wie die ukrainische Webseite focus.ua berichtet. Demnach könne ein Gebiet mit Russland im beiderseitigen Einvernehmen vereinigt werden, sollte „die Mehrheit der Bevölkerung die Kultur der Russischen Föderation als einzigartiges Erbe ihres multinationalen Volkes teilen“, heißt es dort.

Das Gesetz könnte demnächst in der besetzten südukrainischen Region Cherson zur Anwendung kommen. Dort ist ein entsprechendes Referendum nach dem Vorbild der Krim für den kommenden Herbst geplant. Der rechtmäßig gewählte Bürgermeister von Cherson, Ihor Kolychaew, war Anfang dieser Woche festgenommen worden. Er soll sich den Befehlen der Besatzer widersetzt haben.

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3 Kommentare

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  • 6G
    658767 (Profil gelöscht)

    Na ja, wenn alle Geflohenen und Vertriebenen mitstimmen dürften nach einem offenen Wahlkampf (wie bei den Volksabstimmungen 1920 zwischen Deutschland, Polen und Dänemark unter Aufsicht des Völkerbundes), wäre das zumindest eine Lösung - bi der Russland wenig Chancen hätte, zumal sich die Lebensbedingungen unter dem russischen System massiv verschlechtern, wie man in Abchasien, Transnistrien etc. studieren kann...

    • @658767 (Profil gelöscht):

      Klar nur freie faire Wahlen wird es nicht geben. Selbst in den Luhanks und Donetzk Oblasten (1/3 wurde von Russland vor Kriegsbeginn kontrolliert) würde es vermutlich keine pro-russische Mehrheit geben. Das weis Russland auch, es hat schlicht nichts zu bieten außer Korruption, niedrigem Lebensstandard und nationalistischem Getöse.

    • @658767 (Profil gelöscht):

      Richtig. Wer würde freiwillig unter dem autoritären und korrupten russischen Regime leben?