Schwarz-Grün
treibt
Blüten

In Düsseldorf und Kiel regiert die CDU jetzt mit den Grünen. Im Bund rumpelt es in der Ampel. Ist Schwarz-Grün ein Vorbild für Berlin?

Landtag Schlewig Holstein

Den neuen Landtag in Schleswig-Holstein umweht natürliche Frische Foto: Marcus Brandt/dpa

Von Sabine am Orde
und Tobias Schulze

Mittwochvormittag: Der Kieler Landtag hat gerade Daniel Günther als Ministerpräsidenten wiedergewählt, jetzt steht der CDU-Mann am Mikrofon im Plenarsaal und dankt „Bernd und Heiner“ für die gute Zusammenarbeit. Bernd und Heiner, das sind der bisherige Wirtschaftsminister Bernd Buchholz und Heiner Garg, der bislang das Gesundheitsressort geführt hat. Beide sind in der FDP – und sitzen seit Mittwoch in der Opposition. Denn Günther, der zuletzt eine Jamaikakoalition angeführt hat und nach seinem Wahlsieg nur noch einen Partner braucht, hat sich gegen die FDP und für die Grünen entschieden. Jetzt sagt er: „Ich freue mich auf die Zusammenarbeit im neuen Team.“

Mit einem neuen Team regiert seit dieser Woche auch Hendrik Wüst, Günthers Parteifreund aus NRW. Noch vor der Wahl hatte Wüst betont, Schwarz-Gelb sei „echte Liebe“. Die aber scheint verflogen zu sein. Für eine Koalition mit der FDP hat es nach der Landtagswahl nicht mehr gereicht, die Freidemokraten haben dafür zu schlecht abgeschnitten. Auch in NRW regiert die CDU jetzt mit den Grünen, erstmals in diesem großen und wichtigen Bundesland. Nach seiner Wahl betont Wüst im Landtag, der Schutz des Klimas und die Bewahrung der Schöpfung seien „die größten Aufgaben unserer Zeit“. Später lächelt er mit der Grünen Mona Neubaur, seiner künftigen Stellvertreterin, in die Kameras.

Vier Bundesländer mit insgesamt 38 Millionen Menschen werden jetzt gemeinsam von CDU und Grünen regiert, neben NRW und Schleswig-Holstein auch Hessen und – unter Führung der Grünen – Baden-Württemberg. In den Ländern liegt Schwarz-Grün im Trend, nicht zuletzt, weil die Öko-Partei ihre Berührungsängste abgelegt hat. Koalitionen mit der CDU polarisieren intern nicht mehr, zumal dann, wenn es ohne sie keine Machtoption gibt. Die Ansicht, dass man sich nicht länger an die SPD ketten sollte, hat sich durchgesetzt. Gute Erfahrungen mit den Konservativen in den gemeinsamen Landesregierungen haben mittlerweile auch den linken Parteiflügel überzeugt. Abgesehen von der Grünen Jugend leistet kaum noch jemand Widerstand.

Wäre Schwarz-Grün also auch eine Option für den Bund? Möglicherweise die bessere? Von der Aufbruchstimmung der Berliner Ampel aus den Anfangstagen ist jedenfalls kaum noch etwas zu merken. Stattdessen zanken sich die Grünen mit der FDP, zuletzt um den Verbrenner. Zuvor tobte der Streit mal um die Atomkraft, mal um die Schuldenbremse oder die Impfpflicht. In der Bundesregierung läuft es nicht rund, man könnte auch sagen: es holpert.

„Natürlich haben die beiden neuen Koalitionen eine Signalwirkung ins ganze Land“, sagt Jens Spahn am Telefon. „Wenn es im Industrieland Nordrhein-Westfalen geht, geht es prinzipiell überall.“ Spahn, zuletzt Gesundheitsminister, ist im Bundestag jetzt stellvertretender Fraktionschef der Union mit den Schwerpunkten Klima und Wirtschaft – und nach der Wahlniederlage der Union gewiss nicht in der Politik geblieben, um in der Opposition zu verharren. Spahn hat den Koalitionsvertrag in Düsseldorf mitverhandelt, bei Wüsts Wahl im Landtag saß er auf der Tribüne. Die neuen Bündnisse, sagt er, zeigten auch: „Es gibt eine weitere Machtoption jenseits der Großen Koalition.“

Personell hat sich die CDU mit Friedrich Merz an der Spitze neu aufgestellt, eine inhaltliche Neubestimmung nach der Niederlage bei der Bundestagswahl steht noch aus. Um zurück an die Macht zu kommen, muss sie aber auch einen Partner aus der Ampel herauslösen. Dass es in naher Zukunft mit der FDP für eine Mehrheit reichen könnte, ist derzeit unwahrscheinlich, die Zustimmung zur FDP schwindet. Die alte Bindung zu den Liberalen hat sich ohnehin gelockert, auch weil diese das Lager gewechselt hat. Bleiben also die Grünen – die wie die CDU derzeit im Aufwärtstrend sind.

„Schwarz-grüne Bündnisse bringen die Chance, weit in die Gesellschaft hineinreichen zu können“

Andreas Jung, CDU

„Es gibt keine natürlichen Partner mehr, das gilt auch für die FDP“, sagt auch CDU-Vize Andreas Jung. „Schwarz-grüne Bündnisse bringen die Chance, weit in die Gesellschaft hineinreichen zu können.“ Ökonomie und Ökologie zusammenzuführen, Nachhaltigkeit in der ganzen Breite, das stehe jetzt im Mittelpunkt. Genau so hatten vor der Bundestagswahl im vergangenen Jahr viele argumentiert, die noch von einer schwarzen-grünen Koalition mit dem CDU-Mann Armin Laschet als Kanzler ausgegangen waren.

Bei den Grünen im Bund schwärmt kaum noch jemand von einem Bündnis mit den Schwarzen. Als eine Machtoption unter vielen bleibt Schwarz-Grün zwar auf dem Zettel. Aber trotz der neuen Landeskoalitionen und der Querelen in der Ampel hält sich die grüne Sehnsucht nach der Union in Grenzen.

Für den Geschmack vieler Grüner verhält sie sich in der Opposition zu oppositionell. Als sich die Ampel im Winter nicht auf eine gemeinsame Position zur Impfpflicht einigen konnte, hofften die Grünen vergeblich auf Stimmen aus der Union. Als die Koalition mit CDU und CSU über das Bundeswehr-Sondervermögen verhandelte, fielen die Wünsche der Grünen unter den Tisch. Die Erkenntnis: Inhaltlich wäre es mit der Union im Moment auch nicht einfacher als mit den Liberalen.

Dazu kommen Attacken, die die Grünen den Konservativen übel nehmen – vor allem, wenn es um Krieg und Krise geht. „Die Gaskrise zeigt, dass die Energiepolitik der Grünen massiv gescheitert ist“, twitterte vergangene Woche zum Beispiel Fraktionsvize Dorothee Bär (CSU).

„Die Union hat nach 16 Jahren in der Regierung in vielen Bereichen einen Scherbenhaufen hinterlassen“, sagt der grüne Haushaltspolitiker Sven-Christian Kindler, der dem linken Parteiflügel angehört. „Es ist krass, mit wie wenig Demut und Selbstkritik sie jetzt in der Opposition plump draufhaut.“

Aminata Touré (Grüne) wird Ministerin für Soziales und Integration in Schleswig-Holstein. Bisher war die Grüne Vize­präsidentin des Kieler Landtags. Touré ist die erste Schwarze Ministerin in Deutschland.

Claus Ruhe Madsen wird in Kiel über­raschend Minister für Wirtschaft und Verkehr. Madsen war seit 2019 Ober­bürgermeister von Rostock und wurde bundesweit mit seiner besonders vorsichtigen Coronapolitik bekannt, die Rostock lange niedrige Infektionszahlen bescherte. Er ist parteilos, wurde aber von Günthers CDU berufen.

Nathanael Liminski (CDU) bleibt Chef der Staatskanzlei in Nordrhein-Westfalen und wird zusätzlich Minister für Europa und Medien. Liminski gilt als Vertrauter des gescheiterten Kanzlerkandidaten Armin Laschet, durfte aber anders als dieser in der Düsseldorfer Staatskanzlei bleiben. Liminski ist wegen früherer erzkonservativer Aussagen zum Familienrecht umstritten.

Oliver Krischer (Grüne) wird Umwelt- und Verkehrsminister in NRW. Er wechselt aus dem Bundeswirtschafts­ministerium, wo er als Staatssekretär unter Robert Habeck gearbeitet hatte.

Auch Fraktionsmitglieder, die Schwarz-Grün eigentlich sehr offen gegenüberstehen, sind zunehmend genervt. „Wer hat denn 16 Jahre lang regiert und viel zu wenig gegen all die Krisen gemacht, sie faktisch weiter verschärft, so dass wir jetzt hart gegensteuern müssen?“, sagt Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, die als Fraktionschefin vor noch nicht allzu langer Zeit die Nähe zur Union gesucht hat. „Wenn ich mir Debatten der CDU und CSU anhöre, kommt kein Weitblick, kein Fortschritt. Kritik gehört dazu, klar, doch kluge Opposition ist konstruktive Kritik, also in Krisen mithelfen und nicht nur meckern“, sagt sie jetzt.

Schon länger verschwunden ist der Glanz um die geheimnisumwobene Pizza-Connection, dem einst legendären Gesprächskreis von Nach­wuchs­po­li­ti­ke­r:in­nen aus Union und Grünen, der sich in den 1990ern bei dem Bonner Italiener Sassella traf, dann einschlief und später wiederbelebt wurde. Seit einigen Jahren koordiniert die stellvertretende CDU-Chefin Silvia Breher den Kreis auf Seiten der Union, sie will über die Treffen nicht sprechen. Nur so viel: „Am Ende geht es darum, sich kennenzulernen und auszutauschen.“

Zur inhaltlichen und strategischen Vorbereitung einer künftigen Zusammenarbeit dient der Kreis seit Langem nicht mehr. „Das ist aktuell etwas eingeschlafen“, sagt Spahn, der den Kreis gemeinsam mit dem heutigen Grünen-Chef Omid Nouripour im Oktober 2013 neu aufgelegt hatte, als Minister aber dann bald ausschied. Als „langweilig und sinnlos“ bezeichnet die Treffen ein Grüner, der in den vergangenen Jahren regelmäßig teilgenommen hat. „Das waren totale Laberrunden. Inhaltlich hat uns das überhaupt nicht näher gebracht.“

Für manche Grüne ist auch der neue starke Mann in der CDU, Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz, ein Problem. Obwohl es mit Impfpflicht und Sondervermögen viel zu besprechen gegeben hätte, musste die Fraktionsführung der Grünen nach der Bundestagswahl lange auf einen ersten Gesprächstermin mit dem CDU-Chef warten. Inhaltlich nehmen viele Grüne den Sauerländer ohnehin als konservativen Knochen wahr, projizieren auch ihren Unmut über die Union auf ihn.

Wüst und Neubaur

Die Grüne Mona Neubaur erhält ihre Ernennungs­urkunde von Minister­präsident Hendrik Wüst Foto: Political-­Moments/imago

Dabei versucht Merz, sein altes Image abzustreifen und sich als integrativer Parteichef neu zu erfinden. Zum Befürworter der Frauenquote ist er schon mutiert. Seit einigen Wochen trägt er sogar eine neue Brille, die ihn weicher erscheinen lässt. Könnte in Zukunft mit ihm vielleicht doch noch was gehen?

„Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein machen die Tür für Schwarz-Grün weit auf“, sagt der Ur-Grüne Rezzo Schlauch, der schon vor fast vierzig Jahren in Baden-Württemberg eine Koalition mit der Union gefordert hat und die Politik heute von der Seitenlinie verfolgt. „Ob das irgendwann auch im Bund trägt, hängt aber massiv von dem Kurs ab, den die Union einschlägt.“ Berlin sei nicht Kiel, wo mit Daniel Günther ein liberaler CDU-Mann regiert. Wohin sich die Union im Bund entwickelt und ob der Kurswechsel von Friedrich Merz anhält, müsse man abwarten.

Offen ist, ob die Union überhaupt mit Merz in den nächsten Bundestagswahlkampf zieht. Läuft Schwarz-Grün in Düsseldorf gut, könnte ihm der 20 Jahre jüngere Wüst die Kanzlerkandidatur wegschnappen. Und die grüne Stellvertreterin Wüsts, Mona Neubaur, vielleicht mit ihm nach Berlin gehen.

Schleswig-Holstein

Klima

Im Koalitionsvertrag ist das Klima der rote Faden, schließlich will Schleswig-Holstein das „erste klimaneutrale Industrieland“ werden. Die Parteien sehen zahlreiche Maßnahmen vor, wie etwa den Windkraftausbau, die Solarpflicht auf Neubauten, die Prüfung aller Gesetze auf ihre Klimabilanz, Geld für kommunale Projekte. Das Ziel klingt wie in NRW, meint aber etwas anderes, so CDU-Fraktionschef Tobias Koch: Beim Ausbau erneuerbarer Energien stehe das Land gut da, aber es fehle an Wirtschaftskraft. Es gelte daher, energiehungrige Betriebe anzusiedeln. Das Ziel: den Industriestandort „Bayern einholen und überholen“.

Soziales

„Soziale Gerechtigkeit ist ein großer Schwerpunkt“, jubelte die neue grüne Sozialministerin Aminata Touré auf Twitter, während der SPD-Fraktionschef Thomas Losse-Müller findet: „Beim Sozialen ist Schwarz-Grün blank.“ Auf jeden Fall macht sich Schwarz-Grün das Leben schwer, indem der Bereich „Gesundheit“ dem Justiz­ministerium zugeschlagen wird – das produziert unklare Zuständigkeiten und Doppelstrukturen. Die Entscheidung sei allein aufgrund von „Machtlogik“ gefallen, glaubt die FDP. Wohlfahrts­verbände kritisieren, dass viele Themen angerissen, aber wenige Lösungen präsentiert werden.

Verkehr

„Für uns sind alle Verkehrsträger gleichberechtigt“, heißt es im Koalitionsvertrag. Auch beim Verkehr soll Klimaneutralität erreicht werden. Dann aber folgt ein Bekenntnis zum Auto, das auch künftig „eine entscheidende Säule unseres Fortbewegens“ sei. Bitter für die Grünen ist das Bekenntnis zur A 20. Die so genannte Küstenautobahn wird zwar vom Bund gebaut, aber die schwarz-grüne Koalition verpflichtet sich dazu, jeden Abschnitt umzusetzen, wenn die Planungen rechtskräftig werden. Insgesamt sei kein echter „Fahrplan für die Mobilitätswende“ zu erkennen, sagt der Fahrradclub ADFC.

Innere Sicherheit

In diesem Bereich hat die CDU viele ihrer „Gewinnerpunkte“, wie Ministerpräsident Daniel Günther es nennt, in den Vertrag geschrieben. So soll der Einsatz von Bodycams in Wohnungen und Supermärkten erleichtert werden und die Polizei mehr Stellen erhalten. Neben einer zweiten Einsatzhundertschaft ist eine „Cyber-Hundertschaft“ geplant. Proteste dürfte es gegen eine geplante „Generalklausel“ geben, mit der Bürgerbegehren verboten werden können, wenn sie „Infrastruktur- oder Investitionsvorhaben von landes- oder bundesweiter Bedeutung“ verhindern könnten. Welche das sind, möchte die Regierung entscheiden.

Umwelt

Weniger Gift und Dünger auf die Felder, besseren Tierschutz und Artenvielfalt plus eine Gesamtstrategie für die Ostseeküste – so lautet die Agenda des grünen Umweltministers Tobias Goldschmidt. Dumm nur, dass ihm im Kabinett Werner Schwarz gegenübersitzt. Der CDU-Landwirtschaftsminister war gerade noch Präsident des Bauernverbandes und hat bisher jede Kritik an seinen Be­rufs­kol­le­g*in­nen zurückgewiesen. Dauerkonflikt und gegenseitige Blockade sind vorprogrammiert. Die Grünen hatten die Teilung des früheren Umwelt- und Landwirtschaftsministeriums abgelehnt, die CDU drückte sie durch.

Fazit

Ja, der Vertrag trägt eine „grüne Handschrift“, wie die Chefverhandlerinnen Monika Heinold und Aminata Touré sagen. Aber auch wenn beide Parteien es mit der Energiewende ernst meinen – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen –, bleibt es fraglich, ob das finanzschwache Land es schafft, die ambitionierten Pläne umzusetzen. Opposition und Interessengruppen kritisieren, dass das Papier in wichtigen Fragen vage bleibe. Das Wort „prüfen“ sei der Lieblingsbegriff der Koalition, ätzt die FDP. Was wirklich möglich ist, wird wohl erst ein Arbeitsprogramm verraten, das nach der Sommerpause vorliegen soll.

Esther Geißlinger

Nordrhein-Westfalen

Klima

Im 146-seitigen NRW-Koalitionsvertrag klingt kein Teil besser als das Klimakapitel. Zur „ersten klimaneutralen Industrieregion Europas“ wollen CDU und Grüne Deutschlands bevölkerungsreichstes Bundesland mit seinen 18 Millionen Menschen machen. 1.000 neue Windräder sollen in den kommenden fünf Jahren aufgestellt werden. Fallen sollen dagegen „pauschale Mindestabstände zu Wohnhäusern“ – wie die 1.000-Meter-Regel, mit der CDU und FDP die Windkraft bisher ausgebremst haben. Massiv angeschoben wird auch die Photovoltaik: Für Neubauten und bei Dachsanierungen wird eine „Solarpflicht“ eingeführt. Der Kohleausstieg soll bis 2030 „umgesetzt“ werden. Wann NRW mit seiner Stahl, Chemie- und Zementindustrie klimaneutral sein soll, sagt Schwarz-Grün nicht.

Soziales

Viele warme, aber unverbindliche Worte auch im Sozialen: Die neue Regierung bekennt sich zu einer „umfassenden Tarifbindung“ – doch wann ein Tariftreue-Gesetz kommt, mit dem öffentliche Aufträge nur an fair bezahlende Firmen vergeben werden dürfen, steht nicht im Koalitionsvertrag. Was aus den Tausenden tarifgebunden bezahlten In­dus­trie­ar­bei­te­r:in­nen wird, deren Jobs von der ökologischen Transformation bedroht sind, wissen CDU und Grüne nicht. Oder sie schweigen dazu wie zur Mietpreisbremse. Zwar verspricht das neue Bündnis „45.000 neue mietpreisgebundene Wohneinheiten bis 2027“. Jedes Jahr nötig wären aber 100.000 Wohnungen, davon 25.000 mit Preisbindung.

Verkehr

Der „öffentliche Verkehr“ und das Fahrrad sollen „Rückgrat der zukünftigen nachhaltigen und vernetzten Mobilität“ werden. Versprochen werden 60 Prozent mehr Busse und Bahnen bis 2030 und eine „Mobilitätsgarantie“: Ein Konzept für den Einstundentakt auf dem Land soll „noch in dieser Wahlperiode“ entwickelt werden. Immerhin: In Radwege fließt künftig nicht weniger Geld als in Landesstraßen. 1.000 Kilometer neue Radwege sollen bis 2027 entstehen. Die Initiative „Aufbruch Fahrrad“ fordert 50 Prozent mehr.

Innere Sicherheit

Ganz bitter: Das Kapitel „Sicherheit in einer offenen Gesellschaft“ hat offenbar der alte und neue Innenminister, CDU-Hardliner Herbert Reul, geschrieben. Sein repressives Polizeigesetz, das die Grünen in der Opposition heftig kritisiert haben, bleibt in Kraft. Sein ebenso repressives Versammlungsgesetz wird Ende 2023 nur „evaluiert“ – dabei schränken beide die Demonstrationsfreiheit massiv ein und richten sich gegen die Klimabewegung. Stattdessen gibt’s „jährlich 3.000“ neue „Polizeikräfte“.

Umwelt

Nicht nur der Naturschutzbund Nabu ist „maßlos enttäuscht“: Die Grünen haben die Agrarwirtschaft der CDU überlassen. Das Ministerium, in dem Umwelt, Landwirtschaft und Naturschutz bisher zusammengedacht wurden, wird zerschlagen. Um die agrarindustriellen Interessen des Bauernverbands darf sich künftig die unbekannte Christdemokratin Silke Gorißen kümmern, bisher Landrätin in Kleve. Und der Umweltverband BUND kritisiert, dass der Flächenfraß weitergehen darf – dabei werden in NRW jeden Tag 18 Fußballfelder zubetoniert. Zum Stopp des dramatischen Artensterbens fehlen den Um­welt­ak­ti­vis­t:in­nen auch mehr Naturwälder, Wildnisgebiete und wiedervernässte Moore.

Fazit

Der Koalitionsvertrag bedient geschickt viele angesagte Keywords, bleibt aber selbst bei den grünen Kernthemen Umwelt, Klima und Verkehr erschreckend schwammig: „Wir wollen“, „es sollen“, „wir prüfen“, heißt es in dem Papier immer wieder maximal unverbindlich. Wenn die Grünen ihre Kerninhalte durchsetzen wollen, droht Dauerzoff. Und dazu kommt: Die größte Spaltung der Gesellschaft – in Arm und Reich – hat die neue Landesregierung kaum im Blick. Treffen wird das die unteren 50 Prozent, die schon heute kaum etwas haben. Andreas Wyputta