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Konzerte für die Natur in UlrichshusenGeigen für den Wald

Auf die Hymne folgt der Abgesang: Bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern feiern Patricia Kopatchinskaja und das Ensemble Resonanz die Natur

Bäume in einem Wald in Mecklenburg: Solche Bilder gibt es zur Musik zu sehen Foto: Jens Büttner/dpa

Ulrichshusen taz | Sie ist so unglaublich wütend. Traktiert und quält ihre Geige, lässt sie jammern und quietschen, guckt zum Schluss geradeaus ins Publikum: ob sie auch verstanden sei. Denn die Wut der moldawischen, in Bern lebenden Geigerin Patricia Kopatchinskaja, die das gleichnamige Stück für Violine und Streichensemble schrieb, ist keine persönliche. Es ist eine gesellschaftspolitische, gerichtet gegen die Trägheit der Menschen angesichts des Klimawandels.

„Wir müssen unbedingt Druck auf die Politik ausüben. Wir müssen anpacken, sonst wird es eine unglaubliche Katastrophe, überall“, hat sie einmal in einem Interview gesagt. Damit meint sie auch die MusikerInnenszene und sich selbst: Sie reise zu viel mit dem Flugzeug und überlege gerade Alternativen, sagt sie. Gemeinsam mit den KonzertveranstalterInnen müsse man Tourneen künftig so planen, dass man nicht im Zickzack um den Globus fliege. Dass man Konzerte dort gebe, wo man mit dem Zug hinfahren könne. „Wir müssen all unsere Gewohnheiten ändern und aufhören, unsern Planeten zu verletzen“, fordert sie.

Deshalb hat sie 2012 gemeinsam mit MusikerInnen der Staatskapelle Berlin das „Orchester des Wandels“ gegründet, das zugunsten von Umweltprojekten spielt – etwa für ein selbst gegründetes Projekt zur Wiederherstellung der Natur am Flussdelta des Pruth in Moldawien. Ein anderes ist das „Eben!Holz“-Projekt in Madagaskar, das der Aufforstung aussterbender Ebenhölzer dient. Denn aus ihnen werden jährlich 100 Millionen Griffbretter für Gitarren und Streichinstrumente hergestellt.

Ein konzertantes Wochenende für den Wald

Verständlich also, dass die eigenwillig-provokante Kopa­tchinskaja für das Motto „Im Walde. Ein Wochenende im Zeichen de Natur“ der Musikfestspiele Mecklenburg-Vorpommern sehr empfänglich war. Gemeinsam mit dem Hamburger Ensemble Resonanz – ein 18-köpfiges Streichensemble und das Residenzorchester der Elbphilharmonie, das ältere und zeitgenössische Musik kontrastiert – wird sie in zwei Konzerten den Wald feiern und betrauern.

Dort vorab präsentiert das Ensemble Resonanz ein intermediales Prélude: die Klanginstallation „Kunstraum Wald“. Grundlage war das Stück „Wald für vier Streichquartette“, komponiert von Enno Poppe. Wobei man den Titel nicht wörtlich nehmen solle, sagt Tim-Erik Winzer, Erster Bratschist und dramaturgischer Vorstand des Ensembles. „In der abendländischen Musik steht das Streichquartett für die geistreiche Unterhaltung von vier Menschen“, sagt er. Die Komposition für 16 Musiker sei also ein Hyper-Streichquartett mit „unglaublich vielschichtiger Polyphonie, ein vielgestaltiges Gespräch“.

„Kunstraum Wald“: Vernissage der Klanginstallation: Sa, 9. 7., 15 Uhr, Remise Ulrichshusen

„Klangraum Wald“: Sa, 9. 7., 20 Uhr, Festspielscheune Ulrichshusen

„Musica naturalis: Abschied vom Wald“: So, 10. 7., 16 Uhr, Festspielscheune Ulrichshusen

Und da jeder der 16 Musiker eine eigene Stimme habe, sei man auf die Idee gekommen, das Stück begehbar zu machen, indem man jeden aufnahm, filmte und aus den so entstandenen großen Screens eine begehbare Installation schuf. „Das war auch der Coronapandemie und dem Lockdown geschuldet, denn so konnte man dem Musiker kontaktlos sehr nahe kommen“, sagt Winzer. Erstmals gezeigt wurde die Installation im Herbst 2021 im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Jetzt kann man sie in Ulrichshusen sehen und begehen.

Staunen über die Natur

Die beiden folgenden Konzertabende wirken dramaturgisch folgerichtig „Klangraum Wald“ heißt der erste, „Musica naturalis – „Abschied vom Wald“ der zweite. „An diesem ersten Abend – einer Mischung aus zeitgenössischer Musik, Schubert und Mendelssohn – überwiegt das Staunen über Naturphänomene und das Überwältigtsein“, sagt Winzer, der das Programm maßgeblich mitkonzipierte.

Das spiegele sich etwa in den Werken Giacinto Scelsis und Claude Viviers. Deren Stücke, entstanden 1967 bzw. 1980, hätten auf den ersten Blick nichts mit Natur zu tun, zeigen aber, wie KomponistInnen dieser Zeit die Natur immer wieder in ihre Kompositionen hineinwirken ließen – was damals nicht sehr üblich gewesen sei. So etwas galt als zu direkt, zu wenig verfremdet.

„Dabei hatten diese beiden längst ihre Handschrift außerhalb des Kanons gefunden“, sagt Winzer. „Scelsi improvisierte erst und schrieb es dann auf, wie man es eher aus dem Jazz kennt. Und Viviers integrierte dezent japanische, teils auch balinesische Klänge in seine Kompositionen.“

Gefährdung wird deutlich

Beim zweiten Konzertabend stehe die Gefährdung der Natur schon deutlicher im Raum, sagt Winzer. Was auch daran liege, das weniger Zeitgenössisches und mehr Barockmusik erklinge, die Naturgeräusche imitiere und also beschreibe, was derzeit vergehe. Dazu Jean-Féry Rebels „Le Cahos“ aus „Les éléments“von 1738 sowie Andrzej Panufniks „12 Evocations for 12 Strings“ aus „Arbor Cosmica“ über einen Lebensbaum, der auf dem Kopf steht. Eine Komposition von 1983, als man bereits alle Informationen zum Klimawandel hatte, der sich heute manifestiert.

Auch sonst ist der Abend schlau konzipiert: Auf Kopa­tchinskajas besagte „Wut“ folgen Haydns Abschiedssinfonie sowie Anne Boyds „As I crossed a Bridge of Dreams“ für Chor a cappella. Vielleicht ein Funken Hoffnung. Und auch das Ensemble Resonanz kommt noch mal auf die Bühne. Alle halten eine Blume in einem kleinen Topf in der Hand.

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