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Nach Schlägereien in BerlinAngstort Freibad

Innenministerin Nancy Faeser fordert mehr Polizei in Freibädern. Sie bedient damit das Narrativ des Freibades als gefährlichen Ort.

Ein Freibad in Deutschland: Wie gefährlich ist es hier wirklich??? Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Ende Juni kommt es im Columbiabad in Berlin-Neukölln zu einer Schlägerei, laut Medienberichten sollen 250 Menschen beteiligt gewesen sein. Begonnen haben soll es im Streit mit Wasserpistolen an der Wasserrutsche, geendet hat es mit dem Nasenbruch einer 21-Jährigen. Zuvor hatte es auch im Sommerbad am Insulaner in Berlin-Steglitz eine Schlägerei mit etwa 100 Personen gegeben, wieder waren Wasserpistolen der Auslöser. Die empörten Reaktionen in sozialen Medien ließen nicht lange auf sich warten. Wer sie liest, bekommt den Eindruck, Freibäder seien der gefährlichste Ort Deutschland: Eigentlich könne man keines mehr betreten, ohne es mit gebrochener Nase wieder zu verlassen.

Unterstützt wird das Narrativ vom Freibad als Angstort, das häufig rassistisch argumentiert wird, durch Medien und Politik. In der Bild warnt Peter Harzheim, Präsident des Bundesverbands Deutscher Schwimmmeister, vor einem Freibadbesuch. Er sagt: „Ich habe selbst drei kleine Enkelkinder – wenn ich mit denen da hereingehen würde, würde ich schlicht unverantwortlich handeln!“

Und jetzt legte auch noch Bundesinnenministerin Nancy Faeser nach. Im Interview mit Bild Live sagte sie am Mittwochabend: „Für mich ist wichtig, dass der Rechtsstaat durchgreift, dass es genug Personal gibt, damit so etwas nicht passiert. Da muss hinreichend Polizeipräsenz hin, wenn es solche Probleme gibt. Ich werde das auf der Innenministerkonferenz ansprechen.“ Dass mehr Polizeipräsenz automatisch für mehr Sicherheit sorgt, sei an dieser Stelle einmal dahingestellt. Doch vor allem mit Folgenden reiht sie sich fröhlich in das Angstort-Narrativ ein: „Familien und Kinder müssen unbeschwert ins Schwimmbad gehen können in Deutschland.“

Die Schlägereien sind natürlich zu verurteilen, doch dass man in Deutschland nicht mehr unbeschwert ins Freibad gehen kann, hat wenig mit der Realität zu tun. Es ist ein Mythos, der Jahr für Jahr aufs Neue beschworen wird – zu den Angstschürern gehören in der Regel die AfD und die Bild.

Wie auch in Vorjahren stellen die Berliner Bäder-Betriebe auch heute fest, dass es kein „grundsätzliches Sicherheitsproblem“ in ihren Bädern gebe. Und auch ein Faktencheck der „Tagesschau“ von 2019 widerlegt das Bild des Gefahrenorts Freibad. In Deutschland lässt sich also weiterhin gefahrenlos planschen, wenn man denn noch ein Ticket ergattert.

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6 Kommentare

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  • Hm also entweder das ganze war nur ein Rumgeschubse und Gerangel, oder ich habe falsche Vorstellungen von einer Massenschlägerei ohne nennenswerten Körperschutz. 1 gebrochene Nase bei 100 nackten Kampfbeteiligten?

    Wo sind die gebrochenen und kurios verrenkten Unterkiefer wichtigtuerischer Halbstarker? Wo die ertrunkenen, weil bewusstlos ins Becken gefallenen halben Hähne oder die zerkratzten Visagen von peroxidgebleichten ehemaligen Vorstadtschönheiten?

    Ist das eine Ente? Ist schon Sommerloch?

  • "Da muss hinreichend Polizeipräsenz hin, wenn es solche Probleme gibt."

    Genau. WENN. Damit ist doch alles gesagt. Gibt es keine solchen Probleme, brauchts auch keine Polizei. Dafür ist auch nicht genug Personal vorhanden.

    Finden in bestimmten Einrichtunghgen mehrfach Situationen, wie oben beschrieben statt, kann ich nachvollziehen, wenn Eltern mit Kindern dort Angst haben.

    Und ganz ehrlich, vom "Narrativ Freibad als gefährlichen Ort" hab ich zum ersten Mal hier in diesem Artikel gelesen. Halte die Angst vor ständiger Polizeipräsenz in Freibädern schlicht für aufgeblasen.

  • "Nach Schlägereien in ̲ ̲B̲e̲r̲l̲i̲n̲"



    Auffällig finde ich bestenfalls, dass man solches nur von Berlin hört, wie man so vieles Bedenkliche meist aus Berlin hört.



    Was ist nur los in dieser einst so Weltoffenen Stadt.



    In unserem Freibad geht es friedlich zu.

  • Wer schon mal mit einem Vorschulkind in einem Berliner Freibad war, das von Polizei in Kampfmontur geräumt wurde, weiß, was er/sie nicht noch mal möchte. Das kann für kleinere Kinder ein ziemlich schockierendes Erlebnis sein. Ich hätte mein Kind bis zum Ende der Grundschulzeit nicht alleine dort hingelassen. Die Situation ist unübersichtlich, gewalttätig, bedrohlich, beängstigend. Wir haben das mehrere Male erlebt. Daraus eine generelle "Gefahrenort"-Debatte abzuleiten, ist Quatsch. So zu tun, als sei das alles herbeigeredet, ist aber genau so Quatsch. Massenschlägereien sind gefährlich. Wer das noch nie erlebt hat, hat vielleicht einfach falsche Vorstellungen.

  • Sicherlich ist das Freibad kein gefährlicher Ort und es ist auch nicht jedes Freibad gleich. Aber es ist ein Ort wo sich die Jugend trifft, so wie auf dem Rummel oder die örtlichen Freilufttreffpunkte.



    Die Wahrscheinlichkeit von Konfliktsituationen ist dort einfach höher, als auf dem Wochenmarkt... es ist Quatsch die Freibäder als Gefahrenort zu titulieren, aber ganz harmlos sind sie (zumindest manche) eben auch nicht. Man muß nur mal die eigenen Jugendlichen fragen, wo sie ungern hingehen, dann erfährt man ganz schnell wo die Luft dicker ist als anderswo. Jugendliche wissen, wie man sich verhalten muß, um keinen Ärger zu bekommen und das ist an einigen Orten auffälliger als an anderen. Die werden dann unlieber besucht.



    Daraus aber eine Polizeiaktion herbeifabulieren zu wollen ist eh Quatsch, kriegt die Polizei doch eh erst mit, wenn die Fäuste fliegen, dann käme sie sowieso. Die ganze Dynamik mit den verdeckten Hierarchien bemerken die gar nicht und könnten sie auch gar nicht beeinflussen. Es ist Quatsch nach Polizei zu rufen, genauso, wie es Quatsch ist zu leugnen, dass es da Dynamiken gibt, die den Jugendlichen bewußt sind. Schlauer ist es Jugendlichen zu trauen, dass sie wissen, was geht und was nicht.



    (Nur noch mal ganz deutlich: Freibäder sind keine Gefahrenorte)

  • "das Narrativ vom Freibad als Angstort" kann ich leider nur bestätigen. Zumindest was das Bad in Pankow betrifft. Dort machen, zumindest zum Teil und temporär, Gruppen von Kindern/Jugendlichen die Regeln auf der Liegewiese und an der Rutsche. Wer nicht folgsam gehorcht, wird oft gleich vor Ort oder später an seinem Liegeplatz zumindest verbal bedroht. In den Medien erscheinen natürlich nur die großen polizeibekannten Fälle, aber der ganze Kleinkram, der sich dort tagtäglich abspielt, verschwindet in der Versenkung.



    Seit meine Kinder dort nicht mehr hingehen, gehen wir auch lieber an einen See. Sonst sind wir oft mit ihnen nach der Schule dort hin gegangen und haben das alles live miterlebt.



    Statt Polizei würde ich dort gerne Sozialarbeiter sehen, denn die Bademeister sind ja nicht dazu da, Verhaltensauffälligkeiten einzelner zu beheben.