piwik no script img

Hohe Coronazahlen in Schleswig-HolsteinDer Norden als Hotspot

In Schleswig-Holstein gehen die Coronazahlen gerade durch die Decke. Die Inzidenz liegt bei über 1.000. War die Kieler Woche ein Superspreader-Event?

Auf Gedränge und Geschiebe folgt nun Corona: die Kieler Woche Ende Juni Foto: Wolfgang Diederich/imago

Kiel taz | Geschiebe an der Uferpromenade, Schlange stehen rund um Schwenkgrills und Mitgrölen vor den Bühnen der vielen Bands, die im Kieler Stadtgebiet auftraten: Rund drei Millionen Menschen aus 70 Nationen drängten sich zwischen 18. und 26. Juni während der Kieler Woche in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt. Wenige Tage nach dem Volksfest mit Segel-Event gingen die Coronazahlen durch die Decke und stehen heute auf dem bundesweit höchsten Niveau: Eine Sieben-Tage-Inzidenz von 1.015 vermeldete das Robert-Koch-Institut (RKI) am Montag für Schleswig-Holstein, gefolgt von Niedersachsen mit 908. Der Bundesschnitt beträgt 650 Erkrankte pro 100.000 Einwohner*innen.

Die Kliniken im Norden spüren die Folgen: „Insgesamt ist die Lage sehr angespannt“, sagt Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken (CDU). Rund 430 Personen werden landesweit aufgrund einer Covid-Infektion behandelt, vor allem aber fallen Beschäftigte aus, weil sie selbst in häuslicher Quarantäne sitzen. Als „nennenswert bis schwierig“ bezeichnete der Geschäftsführer der Kranken­hausgesellschaft Schleswig-Holstein, Patrick Reimund, die Lage. Allein im größten Krankenhaus des Landes, dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, fehlten laut Auskunft eines Sprechers knapp 500 Beschäftigte.

Dass das Volksfest an der Förde dem Virus bei seiner Verbreitung half, scheint plausibel. Aber ist die Kieler Woche allein schuld? Nein, glaubt Kiels Sprecherin Kerstin Graupner. Gegenüber dem TV-Sender Sat.1 sprach sie von „Pech“, dass die Großveranstaltung mit dem Ende von Kontaktverboten und Feiersperren zusammenfiel. Auch FDP-Parteivize Wolfgang Kubicki, der aus Schleswig-Holstein stammt, nannte die hohe Zahl an Neuinfektionen im Deutschlandfunk ein „Problem temporärer Natur“.

Aktuell zeigen die Zahlen des RKI eine Linie zwischen alten und neuen Bundesländern: Die Infektionszahlen in den westlichen Ländern – neben den beiden Ausreißern Schleswig-Holstein und Niedersachsen – bewegen sich zwischen 626 in Bayern und 820 im Saarland. Die östlichen Länder liegen weit darunter: Thüringen hat mit 283 die bundesweit niedrigste Inzidenz, Brandenburg steht bei 453. Einzig Mecklenburg-Vorpommern liegt mit 635 gemeldeten Corona-Fällen auf 100.000 Personen ähnlich hoch wie Bayern.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Warum das so ist, darüber rätseln Ex­per­t*in­nen und Medien. Denn bereits im Januar lagen die Zahlen in Thüringen oder Sachsen unter dem Bundesschnitt, obwohl dort in vielen Regionen die Zahl der Geimpften niedriger ist als anderswo. Im Januar lautete eine Theorie, dass die Omikron-Welle von Dänemark nach Schleswig-Holstein schwappte und damit zuerst dort für höhere Zahlen sorgte. Doch seit fünf Monaten ist Omikron die dominierende Variante, vor allem der Subtyp BA.5 wird nachgewiesen.

Die auseinandergehenden Inzidenzen könnten „durch ein unterschiedliches Testverhalten erklärt werden“, heißt es im Wochenbericht des RKI. Denn wer nur einen Abstrich zu Hause macht oder Symptome ignoriert, bleibt unter dem Radar. Zudem macht sich der Altersschnitt einer Region bemerkbar. Laut RKI-Wochenbericht steigen die Infektionszahlen vor allem bei den 10- bis 14-Jährigen an. Aktuell bleiben Kiel und die angrenzenden Landkreise Rendsburg-Eckernförde und Plön weit oben auf der Liste der Coronahotspots. Dort sind durch die hohen Infektions­raten auch Dienste wie Badeaufsicht und Feuerwehr betroffen. Ministerin von der Decken bittet darum, dass sich Betroffene bei Symptomen auf keinen Fall zur Arbeit schleppen:„Wer infiziert ist, sollte zu Hause bleiben, um die Weitergabe der Infektion zu bremsen.“ (mit dpa)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

23 Kommentare

 / 
  • "wenn es so weiter geht, dann sind wir im Herbst mit Omikron durch …"

    Die jetzt hinzugewonnene Immunität wirkt sich definitiv positiv auf den Herbst aus. Der wichtigste Punkt ist die Verringerung derer, die noch keine natürliche Erstinfektion hatten und damit noch komplett ohne die anfängliche Viruslast abbremsende Schleimhautimmunität dastehen. Momentan passiert trotz sehr großer Virusverbreitung wenig Besorgniserregendes, da das Immunsystem im Sommer ohnehin besser aufgestellt ist.

    Wären im Winter noch viele ohne diese Erstinfektion, wäre das definitiv ein großer Nachteil, sowohl für die Betroffenen als auch für die Gesellschaft, weil es auch Maßnahmen wieder wahrscheinlicher werden ließe.

    Aber: Da es weder durch Impfung noch durch Infektion eine sterile Herdenimmunität gibt, sind wir nie "durch". Infektionswellen wird es immer wieder geben. Bis zum endemischen Gleichgewicht werden diese aber immer milder, außer wenn zwischendurch nochmal eine merklich andere, gefährlichere Variante auftauchen sollte.

  • Hr. Günther und Hr Garg haben ja bereits im Frühjahr dafür gesorgt, das SH plötzlich Spitzenreiter bei den Inzidenzen wurde.



    Sie haben unser schönes Bundesland zur Unzeit geöffnet und der Tourismusbranche geopfert.

  • Vielleicht sind hohe Impfquoten im Westen die Antwort. Omikron B5 war ja in Portugal besonders erfolgreich, obwohl (oder tatsächlich weil?) dort die Impfquoten so hoch sind.

    Aber egal: das Problem sind mittlerweile die Quarantänen oder Isolationen, die Klinikpersonal binden und weniger die Belegungen der ITSen.

    Vielleicht gut so, wenn es so weiter geht, dann sind wir im Herbst mit Omikron durch …

  • Wie war das Wetter, die Windstärke und damit der luftaustausch bei den Veranstaltungen während der Kieler Woche?



    Wurde bei der Auswahl der Veranstaltungsorte (soweit nicht zwingen am Meer) auf guten Luftaustausch geachtet?

    Was lief in Innenräumen?

  • Es wirft Fragen auf warum bei einer Impfquote von Annähernd 85% immer noch so viele auch kritische Infektionen geschehen und das teilweise höher als im Jahr 2020. Wie kann es sein, dass so viel Personal erkrankt obwohl diese alle geimpft sind und die Impflicht mit dem Argument eingeführt worden ist u.a. Ausfälle zu verhindern.

    • @Alfred Sauer:

      Weil gerade diese Menschen sehr früh geimpft wurden und der Impfschutz mit der Zeit nachlässt - und überdies Omikron eine Immunfluchtvariante ist.

    • @Alfred Sauer:

      "immer noch so viele auch kritische Infektionen geschehen"

      Es gab dieses Jahr bereits etwa 10mal so viele Infektionen wie in der gesamten Pandemie vorher. Die Anzahl der kritischen Infektionen wird dagegen immer geringer. Unter anderem dank der hohen Impfquote. Dass diese keinen signifikanten Einfluss auf die Verbreitung hat, sollte mittlerweile jeder mitbekommen haben.

      Vermutlich kann der Kombiimpfstoff mit Omikron-Komponente hier etwas bessere Resultate vorweisen. Aber Wunder sollte man auch da nicht erwarten.

  • Das Blöde an hohen Raten allgemein ist, ja, dass dieses perfide Stückchen RNA mit jeder Ansteckung *mutieren* kann. *Deswegen* sollte die Zahl der Infektionsvorgänge überhaupt klein gehalten werden. Denn was passiert, wenn wir eine Variante kriegen, die die Verbreitungsfreude von Omikron mit der Tödlichkeit von Delta verbindet...?

    • @miri:

      Jede Mutation, die eine signifikante Wahrscheinlichkeit hat zu entstehen, wird auch entstehen.

      Das können Sie bei einem weltweit zirkulierenden Virus nicht verhindern.

  • "Rund 430 Personen werden landesweit aufgrund einer Covid-Infektion behandelt"



    Für diese Aussage wäre es zwingend nötig, dass mittlerweile zwischen aufgrund von Covid eingelieferten Patienten und Zufallsfunden unterschieden wird. Da es hierzu bislang keine Meldung gab, gehe ich davon aus, dass es sich hier um einen Fehler handelt.



    Dieser Fehler führt dazu, dass die reale Krankheitslast beim Lesen des Artikels massiv überschätzt wird.

    "vor allem aber fallen Beschäftigte aus, weil sie selbst in häuslicher Quarantäne sitzen. Als 'nennenswert bis schwierig' bezeichnete der Geschäftsführer der Kranken­hausgesellschaft Schleswig-Holstein, Patrick Reimund, die Lage. Allein im größten Krankenhaus des Landes, dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, fehlten laut Auskunft eines Sprechers knapp 500 Beschäftigte."

    So lange Corona eine Sonderbehandlung im Vergleich mit anderen Atemwegsinfektionen zukommt, wird es auch ein dauerhaft wiederkehrendes systemisches Problem in den Krankenhäusern darstellen. Das ist leider so.

    • @Co-Bold:

      Ja, irgendwann muss diese besondere Angst vor COVID (im Vergleich zu anderen Krankheiten) endlich aufhören. Sonst sind wir in 10 Jahren noch in Quarantäne wegen eines leichten Kratzen im Hals.

  • "Auch FDP-Parteivize Wolfgang Kubicki, der aus Schleswig-Holstein stammt, nannte die hohe Zahl an Neuinfektionen im Deutschlandfunk ein „Problem temporärer Natur“."



    Nope. Infektionen können auch in LongCOVID und POSTCOVID übergehen und die sind nicht "temporärer Natur" (PostCOVID) sondern bleiben bzw. sind sie über viele Monate hinweg längerer "temporärer Natur" (LongCOVID).



    Ein Blick auf den Impfstatus - empfohlen sind derzeit 3 Impfungen bzw. für vulnerable Personen und Personen über 60 4 Impfungen. Allerdings haben nur 61,7 % sich dreimal impfen lassen. Von daher können die Folgen einer Infektion schon gravierender sein. Zumal es nun andere Varianten gibt. Insofern finde ich die Aussage Kubickis verharmlosend.

    • @Uranus:

      Die Zahl der Dreifachimpfungen ist niedriger, weil immer mehr zweifach Geimpfte mittlerweile durch Viruskontakt nachimmunisiert wurden.

      Von daher ist es weder nötig, noch zu erwarten, dass die Quote der dreifach Geimpften nochmal merklich ansteigt.

      Wichtig für den Herbst ist, dass möglichst viele der für einen schweren Verlauf anfälligen Personengruppen den neuen Kombiimpfstoff bekommen.

      • @Co-Bold:

        Omikron führt aber kaum zur Immunisierung. Das Immunsystem merkt sich Omikron nur kurz, deswegen gibt es mit dieser Variante auch jede Menge Re-Infektionen.

        Zumindest mit Omikron gibt es leider einfach keine Herdenimmunität.

        • @Suryo:

          Keine Infektion und kein Impfstoff können eine klinische Herdenimmunität herstellen, aber alle Formen beiten einen guten Schutz vor schweren Verläufen.

          Je vielfältiger die Reize, die das Immunsystem aus der vorhandenen Auswahl bereits kennt, um so besser ist dieser Schutz.

          Dass es jede Menge Re-Infektionen mit Omikron gibt, ist einfach der hohen Ansteckungsneigung geschuldet und der Tatsache, dass es nun bereits die dritte Variante gibt, die sich in Deutschland durchsetzt.

          Beim Übergang vom von Alpha zu Delta war es sehr ähnlich. Auch da konnte man sich re-infizieren. Dass das weniger oft der Fall war, liegt nur daran, dass insgesamt weniger Personen infiziert waren, ein rein statistischer Unterschied.

          Das entscheidende ist, dass Omikron per se schon um eine Größenordnung ungefährlicher ist. Nur deshalb können wir die Wellen mittlerweile ohne merkliche Einschränkungen laufen lassen und bekommen dennoch keine signifikanten Probleme mehr.

          • @Co-Bold:

            "Dass es jede Menge Re-Infektionen mit Omikron gibt, ist einfach der hohen Ansteckungsneigung geschuldet und der Tatsache, dass es nun bereits die dritte Variante gibt, die sich in Deutschland durchsetzt."



            Das heißt doch aber auch, dass das Risiko für vulnerable Personen und auch das Risiko für Long- und PostCOVID erhöht ist, oder nicht?



            Wobei was als 'signifikant' einzuordnen ist, schwierig auszudiskutieren ist - Verlust von Verwandten, Eltern, Freund*innen ... durch COVID19-Infektion.

            • @Uranus:

              "Das heißt doch aber auch, dass das Risiko für vulnerable Personen und auch das Risiko für Long- und PostCOVID erhöht ist, oder nicht?"

              Das hieße es, wenn die Wahrscheinlichkeit für bleibende Problematiken unabhängig von der Virusvariante wäre. Was man mittlerweile weiß, ist, dass die Wahrscheinlichkeit für Long/Post Covid bei in 2020 Infizierten Menschen mit leichteren Verläufen ungleich geringer war als bei Verläufen mit Arbeitsunfähigkeit von über 2 Wochen.

              Da es bei Omikron nur noch sehr vereinzelt solche schweren Verläufe gibt, ist von einer geringeren Wahrscheinlichkeit auszugehen, die von Infektion zu Infektion weiter zurückgeht, da eine Schleimhautimmunität die eintretende Viruslast dann direkt am Einfallstor bereits verringert.

              Die Gefahr nimmt nun hauptsächlich über Infektionen beständig ab, da die Immunität in der Bevölkerung zunimmt.

              Und "signifikant" war für mich die Gefahr in 2020, die dazu führte, dass wir die Verbreitung einschränken mussten. Mittlerweile sind wir davon sehr weit entfernt, den ersten Schritt dahin - die Impfung - haben wir letztes Jahr selbst erreicht. Beim zweiten Schritt - der deutlich weniger krankmachenden Omikron-Variante - haben wir einfach nur Schwein gehabt.

              Dass Menschen im schlimmsten Fall an einer Virusinfektion sterben können, lässt sich nicht gänzlich verhindern.

    • @Uranus:

      Sie haben die Aussage wohl anders verstanden als ich. Das bezieht sich nicht auf COVID allgemein, sonder explizit auf zahlen in SH. Hier liegt die Quote mit 3. Impfung bei 69,7%, während sie dafür in Sachsen nichtmal 50% erreicht.

      • @Lukas Norden:

        Zum einen ist Schleswig-Holstein sehr touristisch und gerade die Kieler Woche Anziehungspunkt - so steht es ja auch im Artikel. Es kommen also Menschen von außerhalb - auch Menschen mit schlechterem Impfstatus.



        Zum zweiten sind auch 69,7 % nicht Alle, denen Impfungen empfohlen werden.

    • @Uranus:

      In Skandinavien, wo man kaum noch testet und man als symptomloser sogar zur Arbeit gehen darf, stecken sich die Leute jetzt immer wieder an. Ich kenne alleine drei Menschen, die in Norwegen leben und jetzt binnen sechs Monaten das dritte Mal Covid hatten. Es gibt mit omikron keine Herdenimmunität, weil es schon so gut wie keine individuelle mit dieser Variante gibt.

      • @Suryo:

        Als vulnerable Person muss solche Arbeitsumgebung "richtig Spaß machen". /Sarkasmus/

  • Wie viele Tests werden denn nun gemacht?

    In SH hält man sich meiner Erfahrung nach seit Beginn der Pandemie sehr viel disziplinierter als in Sachsen an die Maßnahmen. Deswegen gab es dort auch sehr viel weniger Tote.

    Vermutlich bildet SH einfach nur eine realistischere Inzidenz ab als andere Länder. Wer glaubt zB, dass die Werte in Berlin wirklich so niedrig sind?

    • @Suryo:

      Die Inzidenz ist ein sehr ungenauer Faktor, Haupteinflussfaktor ist in der Tat die Testanzahl, die von Bundesland zu Bundesland stark variieren kann.