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CDU-Spitzenkandidat in NiedersachsenMit Kindergewalt Wahlen gewinnen

Kommentar von Robert Matthies

Bernd Althusmann will nach der Gewalttat von Salzgitter über Strafmündigkeit von Kindern diskutieren. Das ist Populismus auf Kosten von Gewaltopfern.

Wie Kinder zu mehr Verantwortung führen? Bernd Althusmann (CDU) mit Kindern und Zebrastreifen-Zebra Foto: Holger Hollemann/dpa

M it der sich vor der Landtagswahl im Herbst in Hochkonjunktur befindlichen Ökonomie der politischen Aufmerksamkeit in Niedersachsen kennt sich Bernd Althusmann als dortiger Wirtschaftsminister und CDU-Spitzenkandidat gut aus.

Vergangene Woche forderte er passgenau zur Ferienbeginn-Berichterstattung den Einsatz der Bundespolizei gegen ein drohendes Koffer-Chaos an Flughäfen. Jetzt schaltet er sich mit einer maximal auf Aufmerksamkeit getrimmten These in die medial immer gut laufende Debatte um spektakuläre Gewalt von Kindern und Jugendlichen ein.

Mit einem perfiden Argument und einer genau dosierten Grenzüberschreitung: Wo über mehr Rechte für Kinder und eine Absenkung des Wahlalters diskutiert werde, da sei es doch eine „logische Konsequenz“, dass Kinder und Jugendliche auch mehr Verantwortung für unsere Gesellschaft übernehmen.

„Dazu gehört für mich auch die Frage nach der Strafmündigkeit, die in vielen Staaten bereits unter 14 Jahren liegt“, pressemitteilt Althusmann nach dem gewaltsamen Erstickungstod einer 15-Jährigen in Salzgitter und meint Länder wie Großbritannien oder die Schweiz, wo schon 10-Jährige strafmündig sind.

Herabsetzung der Strafmündigkeit

Am Dienstag vergangener Woche war die Leiche der Jugendlichen entdeckt worden. Die mutmaßlichen Täter sind zwei Jungen. Ein 14-Jähriger sitzt in Untersuchungshaft, ihm drohen bis zu zehn Jahre Jugendhaft, im besonders schweren Fall auch mehr. Der 13-Jährige ist noch strafunmündig, er ist in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie untergebracht und wird psychiatrisch begutachtet.

Forderungen nach Herabsetzung der Strafmündigkeit gibt es regelmäßig, zuletzt nach der Vergewaltigung einer 18-Jährigen durch drei Jugendliche und zwei Kinder im Juli 2019 in Mülheim an der Ruhr. Dass sie alle versanden, hat gute Gründe. Wer strafrechtliche Konsequenzen für Kinder propagiert, so schrecklich ihre Taten auch sein mögen, verabschiedet sich vom Erziehungsgedanken – und vom damit verbundenen Menschenbild: Eine demokratische Gesellschaft übt keine Vergeltung, sie erzieht zum Besseren.

Dass Strafen dafür das schlechteste Mittel sind, auch für Erwachsene, ist empirisch-kriminologisch vielfach nachgewiesen. Daran ändern auch spektakuläre, aber eben sehr seltene Gewalttaten und aktuelle kriminalpolitische Trends nichts.

Die logische Konsequenz: Es wird trotz aller noch so lauten Rufe von notorischen Polizeigewerkschaftern und CDU-Spitzenkandidaten so bleiben. Althusmanns Forderung ist nur billiger Populismus, gesetzgeberische Konsequenzen wird sie nicht haben: ein Mittel, um mit der Straflust Aufmerksamkeit zu erlangen, auf Kosten der Opfer von Gewalt. Dass so was schändlich ist, weiß auch Althusmann. Die dafür nötige Einsichtsfähigkeit besitzt er.

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Redakteur taz nord
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