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Verantwortung des Globalen NordensUnser brutaler Egalismus

Gastkommentar von Tino Pfaff

Die G7-Staaten stehen für die Aufrechterhaltung einer Dekadenz, die sich als legitimer Wohlstandsanspruch tarnt.

Keine Angst, die wollen doch nur konferieren, aber ganz sicher nichts ändern Foto: Ludovic Marin/reuters

D ie Staaten der „großen Sieben“, sind Ursache essentieller Problemstellungen auf dem Planeten. Sie sind für einen Großteil der aktuellen und den Großteil der historischen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Sie und gewalttätige Konzerne sind die historischen Hauptakteure der ökologischen Zerstörung im globalen Maßstab. Sie sind die Urhebenden und Nutznießenden rassistischer, patriarchaler Unterdrückung, kolonialer Ausbeutung und kultureller Zerstörungen, die bis heute andauern.

Ihre Aufgabe ist die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Gesellschaftsform und dies setzt voraus, dass diese Strukturen weiter existieren. Schließlich ist es der kapitalistischen Ideologie immanent, ein Außen zu definieren und dieses auszubeuten.

Die aktuelle Zusammenkunft dieser historischen Täterstaaten in Elmau gleicht einem Treffen von weißen alten Männern, die über Geschlechtergerechtigkeit, Abschaffung von Ungerechtigkeit und das Ende kapitalistischer Selbstzerstörung verhandeln wollen.

Die wohl größte Bremse, wenn es darum geht, globale Problemstellungen zu bewältigen, sind jene, die für die Lösungsfindung Abstriche bei sich selbst machen müssen. Dazu kommt, dass die Regierenden der G7 sich per Wahl dazu verpflichtet haben, das Wohl der Gesellschaft stets im Sinne zu haben.

privat
Tino Pfaff

Umwelt­aktivist, Sozialarbeiter und Sozial­pädagoge. Er studiert derzeit im Masterstudiengang Gesellschaftstheorie an der Universität Jena.

Wenn auch zu unterstellen ist, dass mit dem „Wohl der Gesellschaft“ mehrheitlich die Befriedigung von Konzerninteressen und die Wegbereitung weiteren Wirtschaftswachstums gemeint ist, zählt dies dennoch als Prämisse. So wird es niemals möglich sein, dass diese „Großen“, deren Existenz auf dem Leid Anderer beruht, antreten, um zerstörerische Verhältnisse aufzulösen.

Die G7, abgeschottet in einem riesigen Schloss, als ein separates Klassentreffen der coolsten Rich-Kids, werden nie dazu imstande sein, die klimatischen, ökologischen und sozialen Katastrophen der Weltgemeinschaft zu lösen.

Es ist kein Verzicht, die Maschinerie der Zerstörung zu stoppen, sondern eine Reparation.

Wofür sie antreten, mögen sie sich auch anders darstellen, ist die Aufrechterhaltung der Dekadenz, getarnt als legitime Wohlstandsansprüche und durchgesetzt mittels eines bedingungslosen Egalismus.

Die Absurdität der Verzichtsdebatte

Während naturbedingte Katastrophen mittlerweile auch in Regionen des Globalen Nordens über die Menschen hereinbrechen, verbleiben öffentliche Diskurse im gewohnten Tenor. Die mediale Öffentlichkeit ist voll von ahistorischen Verzichtsdebatten. Sie skizzieren Situationen, in denen es einzig darum geht, etwas aus dem eigenen Besitz abzugeben und dafür nichts oder nur wenig zurückzubekommen. Doch das ist falsch.

Der Wohlstand in Deutschland ist erbaut aus geraubten Ressourcen. Gesellschaften in Regionen des Globalen Südens wurden und werden Ressourcen geraubt, um im eigenen Land davon zu profitieren. Was bleibt, sind zerstörte Ökosysteme und Naturkatastrophen. Leid, Armut, Krankheit und Tod sind für viele der Bessergestellten in Deutschland vernachlässigbare Nebenprodukte.

Doch es ist kein Verzicht, die Maschinerie der Zerstörung zu stoppen. Wenn es also darum geht, auf individueller Ebene oder auf wirtschaftlicher Ebene Veränderungen vorzunehmen, dann ist die Debatte des Verzichts nicht nur historisch, sondern auch moralisch fehlgeleitet.

Indem Menschen langsamer fahren, in einer Stadt ohne eigenes Auto leben, in Urlaub nicht mit dem Flugzeug fliegen, oder indem sinnlose Produktionsketten abgestellt, öffentliche Infrastruktur vergesellschaftet oder Konzerne zur Rechenschaft gezogen werden, ist dies kein Verzicht. Es ist der Beginn einer Reparation, die unverzichtbar für das Fortbestehen menschlicher Zivilisationen ist.

Vom ersten Tag an des seit über 500 Jahren andauernden westlichen Kolonialismus ist es überfällig, das zurückzugeben, was den Gesellschaften, Staaten und Konzernen des Globalen Nordens nie gehört hat.

Dies trifft aktuell ganz besonders auf das stark beschleunigte und von Völlerei geprägte Leben der Ober- und Mittelschicht in Deutschland zu. Was viele Menschen in Ländern des Globalen Nordens führen, ist ein Leben auf Pump: Gegenüber zukünftigen Generationen, ganz besonders aber gegenüber Menschen in Regionen des Globalen Südens.

Vieles lässt sich mittlerweile nicht mehr zurückzahlen, da es unwiederbringlich verloren ist. Ein Grund mehr, alles dafür zu tun, die noch verblieben Lebensgrundlagen auf dem Planeten zu erhalten. Statt des Redens über Verzicht braucht es eine historisch begründete Gerechtigkeitsdebatte. Statt etwas abzugeben, geht es darum, etwas zurückzugeben. Etwas, das uns nie gehört hat.

Tagtäglich gelebte Selbstzerstörung

Die deutsche Verzichtsdebatte ist so sehr von Dekadenz geprägt, dass Appelle an die Vernunft im Gepolter von Produktion und Konsum klanglos untergehen.

Eine große Mehrheit ist nicht fähig, daraus auszubrechen. Und so wird die bittere Realität, in der es für viele Millionen Menschen um Leben und Tod geht, von Debatten um angemessene Fahrtgeschwindigkeit, Hubraumgröße oder die Pünktlichkeit der Deutschen Bahn überlagert.

Diese tagtäglich gelebte Selbstzerstörung fußt auf einem Fundament, das weit über den je eigenen Egoismus hinausgeht. Dieser Egoismus beruht auf der fixen Idee, zu wenig abzubekommen. Doch der Egalismus, der uns nicht erkennen lässt, wie absurd die Debatten sind, die wir führen, während Menschen in Kriegen getötet werden und vor nie dagewesenen Naturkatastrophen in die Knie gehen, ist etwas ganz anderes.

Dieser Egalismus unterminiert unseren Selbsterhaltungstrieb – von den G7 bis auf die individuelle Ebene. Die G7 sind das Sinnbild für das Versagen der Moral. Sie verteidigen eine Moderne, die so blutig ist, dass es sprachlos macht, sofern man bereit ist, sich auf die historische Realität einzulassen.

Am Horizont ziehen große Schatten auf und bald wird kein menschengebauter Scheinwerfer diese mehr verschwinden lassen können. Die Egalität ist der westliche Lebensentwurf des 21. Jahrhunderts. Seine Zukunfts-Affinität geht gegen Null.

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25 Kommentare

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  • Die Aussagen Ihres Links darf man allerdings hinterfragen. In meinen Augen ist das reine Haltet den Dieb Folklore, die man gerne vernimmt, wenn man Subsistenzwirtschaft als Lösung aller Probleme betrachtet und dabei die Augen vor den wirklichen Herausforderungen in Afrika verschließt. Dann ergibt es auch Sinn, jeglichen Fortschritt nur als Umdeutung von kolonialistischer Gewalt zu interpretieren.

  • Das war doch endlich einmal ein erholsames Wochenende unter Männern, die überall die gleichen Probleme mit sich herumtragen: Mangelnde Akzeptanz ihrer Bevölkerung, keine Idee, wie sich die ökonomische Krise eindämmen lässt, Putins Stinkefinger und dann noch die so drängelnden Klimafragen, bei denen sie gar nicht mehr wissen, wo sie bei den so zahlreichen Baustellen zuerst den Menschen kondolieren sollen. Da war es ganz gut -und die Frauen im Hintergrund hatten auch nix zu meckern- einmal in Ruhe, abgeschottet noch einmal die frische Bergwelt schnuppern zu dürfen. Ausser Spesen nix gewesen, ach ja: Scholz hat sich vergewissert, dass auch mit den anderen das Klimaproblem weiter verschoben werden kann: Ein bisschen CO² geht ja noch und die Leute wollen doch immer noch Autofahren....



    Vorbild Deutschland!

  • Und nun?

    Trotzdem weiterstudieren?



    Reicht es die vorgebliche Kollektivschuld von 500 Jahren durch einen Verzicht aufs Auto in der Stadt zu kompensieren?

    In den 500 Jahren ist viel passiert, aber auch im Globalen Süden und nicht nur Negatives. Sonst wären die Lebensbedingungen überall noch so wie vor 500 Jahren. Es gäbe viel mehr Erkrankungen, geringe Lebenserwartung, aber auch keine Überbevölkerung. Man wüsste sogar kaum voneinander. Nur über Erzählungen von Seefahrern in den Hafenstädten.

    • @fly:

      Schon mal aufgefallen, das dort die Geburtenraten am höchsten sind wo die Armut am größten, die Lebensbedingungen am schlechtesten und die Lebenserwartung am niedrigsten sind? Da gibt es auch viele Erkrankungen die zwar behandelbar aber leider nicht bezahlbar sind für arme Menschen. Die meisten wissen auch so nichts von der Realität der Betroffenen. Ob Erzählungen von Seefahrern oder das Märchen von der der Weltbank über die Überwindung der globalen Armut durch den Kapitalismus. Beides Seemannsgarn. Aber viele in den reichen Ländern die davon profitieren möchten es einfach für das eigene Seelenheil glauben.

  • "Die G7, abgeschottet in einem riesigen Schloss, als ein separates Klassentreffen der coolsten Rich-Kids, werden nie dazu imstande sein, die klimatischen, ökologischen und sozialen Katastrophen der Weltgemeinschaft zu lösen."

    Gegenfrage: Wer soll es denn sonst machen? Oder besser: Wer will es denn machen, wer soll es machen und wer kann es besser machen?

    Ja, die G7 haben extrem viele Fehler gemacht und werden es auch weiter tun. Aber was ist die Alternative? Darüber schweigt sich der Autor aus.

    Anklagen ist sehr leicht, gute Lösungsvorschläge extrem schwer. Wie wäre es mit ein Artikel über realistische Alternativen?

    • Tino Pfaff , Autor*in des Artikels,
      @Müller Christian:

      Naja, diese sogenannten G7, sollten sich zumindst nicht alleine zu Lösungsfindungen zusammensetzen.:)

      • @Tino Pfaff:

        Auch wenn ich Teilweise einen anderen Standpunkt habe als Sie muss ich Ihenen erstmal Respekt bekunden. Ich finde es klasse dass Sie auf die Kommentare eingehen und antworten. Machen ganz wenige Kolumnisten (z. B. Thomas Fischer von Spiegel-Online), finde ich aber für eine gute Debattenkultur extrem wichtig. Danke dafür.

  • Es ist der übliche Trick, man beginnt mit dem Kolonialismus vor 500 Jahren. Was waren wir vor 2000 Jahren glücklich, bevor der globale Süden über uns herfiel. Die Karthager, die Römer, dann der Islam, der uns zeigte was man alles anstellen konnte im Namen der Religion, die uns zeigten wie man durch Sklaverei und Ausbeutung zu Wohlstand kommt. Wer kennt sie nicht , die Geschichten über den Reichtum der Römer, der Wesire, dem Goldland Gabun usw.. Nach diesen Vorbildern handelten unsere Vorfahren, es ist eben keine Neuerfindung, kein einmaliges Ereignis, wie es uns der studierte Sozialarbeiter weismachen will. Das Übel kam aus dem globalen Süden und aus dem Osten( Mongolensturm, Goldene Horde) Die G7- Staaten sind dagegen Musterknaben.

    • @Pepi:

      Offen raus gesagt: Ihr Kommentar irritiert mich sehr. Bei aller eigenen Kritik am Artikeltext - aber ist Ihr Kommentar jetzt satirisch spiegelnd gemeint oder sind Sie tatsächlich der Auffasssung, "der Westen" (Europas) hätte "das Böse", "das Schlechte", "alle Schuftigkeit" vom Osten erst lernen müssen? Also nicht: Aus dem Osten kommt das Licht (ex oriente lux, wie es wohl heißt)? Nein das Licht war es auch nicht. Ich denke mal, all das eben genannte Schlechte findet sich bei allen Menschen in allen Gesellschaftsformationen zu allen Zeiten. Leider. Aber wir Menschen sind eben nicht blos "gut". Die "Germanen", von denen man sowieso bis heute nicht weiß, ob man die gemeinten Stammesverbände überhaupt unter diese Bezeichnung zusammenfassend benennen kann, mussten doch nicht von den Römern lernen, wie man so richtig "schlecht" ist. Das konnten die schon allein. Hermann der Cherusker wurde von seiner eigenen Sippe umgebracht, von denen war vorher keiner in Geiselhaft in Rom. Es geschah nach dem Sieg über Varus Legionen, wohl aus Sorge, der Arminius wolle eine Alleinherrschaft über seinen u. a. Stämme anstreben. Soweit mir bekannt. Da hätte er sich allerdings die Römer zum Vorbild genommen...



      Ehrlich, eine solche Vorstellung wäre mir zu „nibelungisch raunend“. Wo da ein Dietrich von Bern, unter Vasallenherrschaft geraten, am Hofe des asiatischen Despoten Etzel, den Wilden überhaupt erst mal geduldig „ritterliche Tugend“ lehrte als Entwicklungshelfer. So las ich es in Interpretationen des Nibelungenliedes. Das wurde aber im Mittelalter schriftlich niedergelegt. Auch mit Blick auf die verkommenen Zustände dieser Zeit. Und da brauchte es Positiv- wie Negativbeispiele.

      • @Moon:

        Satire

        • @Pepi:

          Alles klar. Zur Satire gehört, wenn sie beißen und zwicken soll, dass man auch mal darauf reinfällt. In diesem Falle ich. Falls Sie möchten, schmunzeln Sie ruhig über mich. Ich tue es nämlich über mich selbst auch.

  • der Autor hätte mal erwähnen sollen, dass er Egalismus als Gleichgültigkeit ("mir egal") definiert und nicht im Sinne von Gleichheit (der Menschen) -- however, man kann es ausm dem Kontext erschließen ...

    • @gumbo:

      Fand ich auch sehr irritierend. Ist aber die einzige Erklärung.

  • Schade um den zornigen Text. Zornige Texte müssen nämlich sein. Das hier ist auch einer. Hätte sich Tino Pfaff doch bloß die Mühe gemacht, mir seinen Begriff von Egalität wenigsten in einem Satz zu verdeutlichen. Anstatt es einem Leser zu überlassen, das aus dem Kontext des Textes zu deuten. Kann sein, dass ich zu unbelesen bin. Das trifft zu. Aber selbst wenn es nicht so wäre, die Inhalte des Textes sind zu wichtig, um sie allein der Interpretation des Lesers zu überlassen. Das schafft Unklarheit die zu Missverständnissen führt. Es hätte Tino Pfaffs Anliegen viel besser getan, seine Vorstellung von Gerechtigkeit erklärend sinnfällig zu unterstreichen. Noch eines. Das Wort vom „weißen alten Mann“ ist nun wirklich seiner ursprünglichen (im durchaus positiven Sinn aktivistischen) Intention und Bedeutung inflationär beraubt. Der Autor trägt seine Anliegend konzentriert und zusammenhängend vor. Da wirkt das Wort wie modisch-metaphorisch oben drauf gesetzt. Es erklärt gar nichts von den Zusammenhängen, die Pfaff sich vorgenommen hat, dem Leser nahezulegen. Nur dass es eben wieder einmal bloß ideologisch negativ auf eben diese dargestellten Zusammenhänge zurück wirkt. Sie eigentlich in ihrer Bedeutung mehr schmälert als sie sinnfällig zu unterstreichen. Anders gesagt: Gerade weil z. B. die Schulbücher von so manchen „schlechten“ Wörtern befreit werden sollen, wie viele fordern, schreibt das Wort vom „weißen alten Mann“ mal da hinein, was wie ich glaube auch so manche wollen. Und dann wartet mal ein paar Jahre ab, was dann passiert. Ich glaube zwar, dass es auch so einige gibt, die es gar nicht abwarten wollen, was dann passiert und sich ihre Vorstellung davon gern machen. Aber ich sage, wartet mal ab. Seufz. Anders kann ich meinen Unmut über den gedankenlosen Gebrauch des Wortes hier nicht formulieren. Ist eben auch ein zorniger Text das hier.

  • 0G
    06792 (Profil gelöscht)

    Manchmal sehne ich mich auch nach einfachen Feindbildern.

    Aber wenn man etwas drüber nachdenkt, sind die meisten Dinge irgendwie doch nicht so einfach.

  • Ich versteh den negativen Bezug auf Egalismus nicht so ganz muss ich gestehen. Kann mich jemand aufklären?

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Rolle:

      Sie sollen glauben, es sei alles egal. Kapitalismus, Kolonialismus, Sozialismus, Autoritarismus…



      Zur Bildunterschrift: „Keine Angst, die wollen doch nur konferieren, aber ganz sicher nichts ändern“



      Ja. „Wirtschaft, Horatio! Wirtschaft! das Gebackne vom Leichenschmaus gab kalte Hochzeitsschüsseln..“ (Hamlet)

    • Tino Pfaff , Autor*in des Artikels,
      @Rolle:

      Hallo, darf ich zuforderst fragen, welchen positiven Bezug Sie bezüglich dieses Begriffs haben?

  • Ein sehr lesenwerter Artikel!!



    Der Autor hat die Nebelwand der permanennten Verschleierung aufgerissen.



    Ein klarer Blick auf die Realität tut sich auf.