Journalismus in Mexiko: Unter Einsatz ihres Lebens
Obwohl im Land kein Krieg herrscht, sind die Bedingungen für Medienschaffende wie in einem solchen. Viele fliehen, um sich und ihr Umfeld zu schützen.
B leiben und schweigen? Oder flüchten, um nicht zu sterben? Das Zuhause verlassen, die Freund*innen, die feste Arbeit? Die Familie zurücklassen, um sie nicht zu gefährden? Angesichts der zunehmenden Gewalt gegen Journalist*innen müssen sich immer mehr Medienschaffende in Mexiko diesen Fragen stellen.
„Wir müssen akzeptieren, dass wir verletzlich sind, die Schuld loslassen und verstehen, dass das erzwungene Weggehen das letzte Mittel ist, um am Leben festzuhalten“, schreibt die Reporterin Daniela Pastrana auf dem Portal „Pie de Página“. Und die Anthropologin Jessica Arellano López ergänzt: „Das Verlassen der Heimat ist ein Kampf dafür, das Wort und die Familie zu behalten.“
Elf Journalist*innen sind in diesem Jahr bereits ermordet worden, 153 starben seit 2000 eines gewaltsamen Todes. Tendenz steigend. Nicht wenige Pressearbeiter*innen, die von der Mafia, korrupten Polizisten oder mächtigen wirtschaftlichen Kräften bedroht werden, entschließen sich deshalb, zu flüchten. Die einen gehen – meist vorübergehend – nach Europa, um sich eine Auszeit zu nehmen, andere ziehen in die Hauptstadt, wo sie sich unter Millionen von Menschen etwas sicherer fühlen.
Das Phänomen ist nicht neu. Doch da die Lage immer bedrohlicher wird, ist die Flucht mittlerweile zu einer weiteren von vielen Komponenten geworden, mit denen sich kritische Medienschaffende in Mexiko auseinandersetzen müssen.
Die Angst endet auch außerhalb der Gefahrenzone nicht
Die Organisation Aluna, die Menschenrechtsaktivist*innen und auch Journalist*innen psychosoziale Begleitung bietet, hat deshalb vergangene Woche ein Buch veröffentlicht, das den entmutigenden Titel „Die Angst geht dort weiter“ trägt. Es ist das Ergebnis einer Untersuchung von Arellano López, in der Reporter*innen über ihre Fluchterfahrung sprechen.
Aluna lässt keine Zweifel daran, dass es sich bei den geflüchteten Kolleg*innen gemäß der UNO-Definition um „gewaltsam intern Vertriebene“ oder um Exilierte handelt. Und tatsächlich endet ihre Angst nicht, wenn sie nicht mehr in der Gefahrenzone leben. Da ist die zurückgebliebene Tochter, der Druck auf die Familie, die Bilder von Leichen im Kopf, die tiefsitzende emotionale Belastung, die Furcht, dass die Verfolger überall sind.
Zugleich betonen die Befragten, dass die Angst ihnen das Leben gerettet und geholfen habe, fragwürdige Berufsklischees zu hinterfragen. So etwa Patricia Mayorga, die im europäischen Ausland leben musste, nachdem ihre Kollegin Miroslava Breach ermordet wurde. „Du hast kein Recht zu fühlen, zu weinen, zu nichts“, sagt sie über die Erwartungen der Redaktionen. Heute lässt sie sich auf solche Kriterien nicht mehr ein, auch wenn es sie den Job kosten könnte.
Der eigene Körper wird zum umkämpften Territorium, das es zu verteidigen gilt. Das zu verstehen und damit umgehen zu lernen zählt heute zu den Grundanforderungen an kritische mexikanische Journalist*innen. Ohne emotionalen Selbstschutz und Monitoring durch Dritte während Recherchereisen ist die Arbeit kaum mehr denkbar.
Der Druck wächst – vor allem für Freischaffende
Zu Recht erklärte die Reporterin Marcela Turati, sie und ihre Kolleg*innen hätten lernen müssen, als Kriegsreporter*innen zu arbeiten. Und das in einem Land, in dem offiziell kein Krieg herrscht und dennoch täglich hundert Menschen gewaltsam ums Leben kommen.
Vor allem für freischaffende Reporter*innen wächst der Druck. Manche Redaktionen wollen Blut sehen, die Honorare sind lächerlich gering und die soziale Absicherung ist gleich null. Nicht wenige geben auf. Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador hat nun angekündigt, 25 Prozent des bislang für staatliche Werbung ausgegebenen Geldes dafür zu nutzen, selbstständigen Journalist*innen eine soziale Absicherung zu garantieren.
Ein richtiger Schritt, vorausgesetzt, das Geld steht auch seinen Kritiker*innen zur Verfügung. Noch wichtiger wäre es, dass der Staatschef endlich aufhört, Medienschaffende an den Pranger zu stellen und sie damit zusätzlich jenen Gefahren auszusetzen, die sie das Leben kosten können.
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