Kriminalisierte Medien in Lateinamerika: Unsicherheit und Angst schüren

Angriffe auf die Presse- und Meinungsfreiheit mehren sich in Lateinamerika. Nicaragua liefert eine unrühmliche Blaupause.

Eine Person sitzt vor einem Laptop und hält eine Zeitung in den Händen

In den Redaktionsräumen der Zeitung La Prensa im Februar 2020 Foto: Eduardo Verdugo/ap

Genau ein Jahr ist es her, seit die letzte oppositionelle Tageszeitung Nicaraguas das Erscheinen ihrer Printausgabe einstellen musste. Am 13. August 2021 stürmten die Schergen des Staatschefs Daniel Ortega und dessen Ehefrau sowie Vizepräsidentin Rosario Murillo die Redaktionsräume von La Prensa, angeblich, um Beweise für Geldwäsche und Zollbetrug zu finden.

Vorher hatte das Regime 75 Wochen lang Papier und Druckerschwärze zurückbehalten, um die Herausgabe des Blattes zu verhindern. Seither erscheint La Prensa nur noch online. So wie auch die Zeitung Confidencial, der TV-Sender 100 % Noticias und alle anderen Medien, die Ortegas und Murillos Macht angreifen.

Vor wenigen Wochen schlug die Regierung wieder zu: Zwei Mitarbeiter wurden verhaftet und die Wohnungen von Jour­na­lis­t*in­nen durchsucht, nachdem La Prensa über die Ausweisung von Nonnen des Mutter-Teresa-Ordens berichtet hatte. Kurz darauf meldete das Portal, das Personal der Zeitung sei ins Exil gegangen. Die Kol­le­g*in­nen berichten nun, wie alle anderen oppositionellen Medien Nicaraguas, aus dem Ausland.

In einem Land, in dem über 1.200 Nichtregierungsorganisationen (NGO) verboten wurden, politische Gefangene gefoltert werden und 150.000 Menschen ins Exil gehen mussten, ist dieser Terror gegen die Jour­na­lis­t*in­nen kaum verwunderlich. Man muss kritische Stimmen zum Schweigen bringen, will aber auch Angst und Unsicherheit schüren – die „wichtigste Waffe der Diktatur“, wie Vilma Núñez von der Menschenrechtsorganisation CENIDH beschreibt.

Journalisten beschimpfen

Erschreckend ist jedoch, dass das Vorgehen mittlerweile zur Blaupause für andere Regierungen in der Region geworden ist. So wurde Ende Juli in Guatemala der Leiter der Morgenzeitung El Periódico, José Rubén Zamora, verhaftet, nachdem er den Präsidenten Alejandro Giammattei und seine Entourage der Korruption beschuldigt hatte. Auch ging es um angebliche Geldwäsche.

In El Salvador bemüht sich Staatschef Nayib Bukele ausdauernd darum, das Onlineportal El Faro zu kriminalisieren. Vergangene Woche beschimpfte er den Journalisten Juan José Martínez d’Aubuisson, weil dieser sich lange Zeit unter kriminellen Banden bewegt hatte. Was man eben tun muss, um ordentlich zu recherchieren. D’Aubuisson hatte aufgedeckt, dass im Kampf gegen die „Maras“ Menschen willkürlich verhaftet wurden. Just als Reaktion auf diese El-Faro-Recherchen wird nun erneut über eine juristische Maßnahme diskutiert, die zunächst ad acta gelegt worden war: die Einführung des „Gesetzes über ausländische Agenten“.

Dieses Gesetz steht derzeit in vielen Ländern hoch im Kurs, in denen Presse- und Meinungsfreiheit nichts zählt. Die Akteure müssen sich registrieren, sollen überdimensional hohe Steuern zahlen und sind mit absurden Verwaltungsauflagen konfrontiert. Viele nicaraguanischen NGOs und Medien wurden kriminalisiert, weil sie von internationalen Geld­ge­be­r*in­nen unterstützt wurden und angeblich nicht bereit waren, ihre Finanzen offenzulegen.

Ausland unter Generalverdacht

Auch Guatemala hat eine Pflicht zur Registrierung beschlossen, und in Kuba tritt diese Woche ein Gesetz in Kraft, das Haftstrafen von vier bis zehn Jahren vorsieht, wenn Oppositionelle Hilfe aus dem Ausland erhalten.

In erster Linie zielt die Kategorie des „ausländischen Agenten“ natürlich auf autoritäre Kontrolle. Zugleich nährt sie das nationalistische Narrativ, nachdem internationale „Feinde des Volkes“ für oppositionelle Bestrebungen verantwortlich seien. Vielleicht muss man noch mal darauf hinweisen: Wir sprechen nicht von Spionage, Sabotage oder dem Aufbau bewaffneter Contras, wie die CIA das in den 1980er Jahren in Nicaragua betrieb. Es geht um das gesprochene oder geschriebene Wort.

Bleibt zu hoffen, dass die nicaraguanische Schriftstellerin Giaconda Belli recht behält mit dem, was sie letzte Woche nach dem Attentat auf ihren Freund Salman Rushdie in der spanischen El País schrieb: „Die Finsterlinge können Schaden anrichten, aber sie werden nicht siegen.“

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Wolf-Dieter Vogel, Jahrgang 1959, ist Print- und Radiojournalist sowie Autor. Er lebt in Oaxaca, Mexiko. Seine Schwerpunkte: Menschenrechte, Migration und Flucht, Organisierte Kriminalität, Rüstungspolitik, soziale Bewegungen. Für die taz ist er als Korrespondent für Mexiko und Mittelamerika zuständig. Er arbeitet im mexikanischen Journalist*innen-Netzwerk Periodistas de a Pie und Mitglied des Korrespondentennetzwerks Weltreporter.

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