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Vertreibungsaktion am Bremer BahnhofGroßaufgebot gegen Drogenabhängige

Die Polizei geht mit einer Hundertschaft gegen die Trinker- und Drogenszene am Bremer Bahnhof vor. Unklar ist, wohin die Leute sonst bleiben sollen.

Schon im November 2021 hat die Polizei im und um den Bremer Hauptbahnhof kontrolliert Foto: Karsten Klama/dpa

Bremen taz | Kemal ist wieder da. Gestern hätten ihn „die Bullen mitgenommen“, erzählt er, bis sechs Uhr früh war er auf der Polizeiwache in Gewahrsam. „Alle nett dort, es gab was zu essen.“ So richtig verbrochen hatte er nichts, oder naja: Er war am falschen Ort. Während einer Polizeigroßaktion gegen die Drogen- und Trinkerszene am Bremer Hauptbahnhof am Montag stand er am nahen Tivoliplatz – trotz eines früheren Platzverweises. Das reichte, um mitgenommen zu werden.

An diesem Dienstag jedenfalls bricht er sein Verbot erneut: Er muss seinen Dealer treffen. Ein Polizeiwagen nähert sich. „Komm, wir gehen ein bisschen rüber“, meint Kemal. Besser ist es wohl.

Wenn es nach Bremens Innensenator Ulli Mäurer (SPD) geht, soll Kemal dauerhaft verschwinden – ebenso wie Peter, Andy, Wassiliy und viele, viele andere aus der Trinker- und Drogenszene, die selbst ihren Vornamen lieber nicht sagen wollen. „Mein Ziel ist es“, wird Mäurer von seiner Pressestelle zitiert, „den verschiedenen Szenen, die durch ihr Verhalten die öffentliche Ordnung und die Sicherheit massiv stören, den Aufenthalt am Bahnhof dauerhaft zu verleiden.“

Eine ganze Hundertschaft wurde dafür am Montag am Bahnhof eingesetzt, öffentlichkeitswirksam mit vorheriger Einladung an die lokale Presse. Insgesamt, so schreibt die Polizei, „kontrollierten die eingesetzten Kräfte knapp 100 Personen, erteilten 52 Platzverweise und leiteten in 14 Fällen strafrechtliche Ermittlungen ein“. „Ein voller Erfolg“, findet Mäurer. „Ein Flop auch aus polizeilicher Sicht“, sagt dagegen der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Nelson Janßen angesichts der Zahlen.

Kampf gegen Drogen- und Trinkerszene

Der Drogen- und Trinkerszene hat Bremens SPD-Innensenator bereits 2021 den Kampf angesagt. Mäurers Plan, ein neues Ortsgesetz, das es der Polizei erlauben sollte, schneller gegen Obdachlose vorzugehen, scheiterte aber an den Koalitionspartnern: Die Linke wollte keinem Konzept zustimmen, das einseitig auf Vertreibung setze. Der „Aktionsplan Hauptbahnhof“, der dann im Januar nach langem Ringen von den Regierungsfraktionen in der Bürgerschaft verabschiedet wurde, besteht stattdessen aus 31 Punkten, zu denen auch soziale Maßnahmen gehören.

Aber eben auch Ordnungspolitik: Die Bußgelder, etwa fürs Wegwerfen von Zigarettenkippen, wurden erhöht; Und die Kontrollen sollen verstetigt werden. Das Ortsgesetz wurde nicht verschärft, aber schließlich bietet auch die bestehende Regelung schon einige Möglichkeiten: Nicht nur der Drogenkonsum auf öffentlichen Flächen ist im bremischen Ortsgesetz verboten, sondern auch „sich dauerhaft zum Zwecke des Alkoholkonsums auf Straßen, der Öffentlichkeit zugänglichen öffentlichen Flächen oder Bänken niederzulassen“.

Der blonde Mann im Berlin-Hoodie winkt ab. Kontrolliert und gegängelt werde er auch, wenn er nichts getrunken habe, so wie heute. Er sitzt mit ein paar Bekannten an der kargen Rasenfläche vor dem Überseemuseum. Die Bremer Suppenengel kommen hierhin, um wohnungslosen und anderen Bedürftigen eine warme Mahlzeit auszugeben. Wer nicht nur Grünkohl, sondern auch die Wurst dazu will, sollte besser früh – und damit auch „dauerhaft“ – da sein. Einige Polizisten verstünden das. „Aber die handeln nach Vorschrift. Wenn das jetzt Ansage wird, vertreiben die uns trotzdem.“

Andere Maßnahmen greifen noch nicht

Bei einigen anderen Maßnahmen des Aktionsplans gibt es durchaus Bewegung: Neue Treffpunkte könnten entstehen. Gespräche gibt es laut Sozialressort mit Vermietern von leerstehenden Geschäften im Tivoli-Hochhaus, wo auch die Sozialsenatorin ihren Dienstsitz hat. Bis Ende Juni soll dort auch ein Urinal aufgestellt werden, und die Öffnungszeiten des Szenetreffs, des sogenannten „Käfigs“, werden ausgedehnt.

Auch die Gesundheitsbehörde berichtet von Fortschritten: Man habe seit Januar zusätzliche Street­wor­ke­r*in­nen eingestellt, etwa zur psychosozialen Begleitung Substituierter. Und zumindest eine Bedarfsanalyse für sogenannte Toleranzflächen, auf denen der Aufenthalt wohnungsloser Menschen geduldet würde, habe stattgefunden: Aktuell favorisiert wird eine Lösung in der bahnhofsnahen Friedrich-Rauers-Straße.

Angekommen ist davon in der Szene aber noch nichts. Warum die Vertreibungsaktion schon stattfindet, bevor es gute alternative Orte gibt – dazu steht nichts in der Pressemitteilung des Innensenators. „Der Wahlkampf startet“, meint Cornelia Barth, Leiterin der Drogenberatungsstelle „Comeback“. Ein Drogenproblem sieht sie in Bremen – die Zahl der Toten steige –, „aber so eine großartige Polizeiaktion verfolgt nur das Ziel: weg ist weg“.

Vertreibung ist nicht neu

Auch die Koalitionsfraktion der Linken ist nicht besonders glücklich über das Vorgehen des Innensenators. „Ein Polizeibahnhof mit dauerhafter Verdrängung ist nicht das, was wir uns vom Aktionsplan erhofft haben“, sagt deren sozialpolitische Sprecherin Sophia Leonidakis, „wir hatten Toleranzflächen gefordert“.

Ein paar Hundert Meter abseits des Bahnhofs, an den Wallanlagen vor der Finanzbehörde, sitzen fünf Männer und eine Frau mit Bier in der Hand. Der Hauptbahnhof ist nichts für sie – die Cracksüchtigen seien ihnen zu aggressiv. Die Polizeiaktion sehen sie trotzdem extrem kritisch. „Bremens Drogenpolitik ist von vorgestern“, befindet einer von ihnen, „man setzt auf Vertreibung.“ Er erinnert sich: „Vor zwanzig Jahren wollte man die Szene aus dem Viertel weg haben, dann ging’s zum Bahnhof. Jetzt sind wir dort nicht mehr erwünscht. Bin ja gespannt, wo’s als Nächstes hingeht.“

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2 Kommentare

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  • "Unklar ist, wohin die Leute sonst bleiben sollen."

    OK, also besser nichts tun oder gar die Leute wegsperren?



    Für therapeutische Maßnahmen fehlt schlicht das Geld und Personal.



    Nicht jeder Dealer ist ein vom Leben arg gebeutelter Mensch, der immer alles gegeben hat.

  • Man bekämpft die Elenden und nicht das Elend.

    Mehr Druckräume, housing first, man könnte etwas anderes tun, als die Betroffenen dem Blick der Öffentlichkeit zu entziehen.