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Drogenpolitik in BremenHilfe und Härte

Am Bremer Hauptbahnhof grassieren Drogenhandel und -konsum. Die Politik versucht, mit einem Drogenkonsumraum und härteren Kontrollen gegenzusteuern.

Hartes Vorgehen als ein Mittel der Wahl: Polizeikontrolle am Bremer Hauptbahnhof Foto: dpa / Karsten Klama

Bremen taz | Gegenläufige Tendenzen in der eigenen Politik versucht der Bremer Senat gerade unter einen Hut zu bringen. Beim Streitthema Hauptbahnhof und den dortigen Umgang mit Drogenhandel und Suchterkrankten setzt die Stadt einerseits auf die Errichtung neuer Aufenthaltsorte mit Möglichkeiten für sicheren Konsum. Anderseits ist da die harte Hand des Innensenators Ulrich Mäurer (SPD), der Abhängigkeit mit vermehrten Kontrollen und Verweisen durch die Polizei begegnet. In einer Anhörung der Deputationen für Gesundheit und Verbraucherschutz, Soziales und Integration sowie Inneres wurde vergangenen Donnerstag über das Zusammengehen von Akzeptanz und Vertreibung diskutiert.

Seit September 2020 gibt es in der bahnhofsnahen Friedrich-Rauers-Straße einen temporären Drogenkonsumraum. Obwohl ein Ausbau der Räumlichkeiten erst für Herbst dieses Jahres vorgesehen war, soll der Ort nun besonders im Hinblick auf die Zunahme des Crack-Konsums um „kurzfristige Hilfsmaßnahmen“ ergänzt werden, so heißt es in der Pressemitteilung des Senats. Zu Wort kam bei der Anhörung neben Bremer Hilfsorganisationen und einem Suchtforscher auch ein Vertreter der Polizei.

Betreiberin des Konsumraumes ist die gemeinnützige Comeback GmbH. „Wir betreuen diejenigen, die komplett aus dem System rausfallen“, sagte Leiterin Heidi Mergner. Neben dem sicheren Konsum sei wichtig, Suchterkrankten einen Ruheort zu bieten. Oftmals seien sie stundenlang auf den Beinen.

Am besten sei es, auch Tagesaufenthalte zu ermöglichen, so der aus Bremen stammende Suchtforscher Heino Stöver vom Institut für Suchtforschung in Frankfurt am Main.

Zur Entspannung der Situation für Suchterkrankte und einer Entlastung des öffentlichen Raumes habe sich in der Schweiz eine Duldung von Kleinsthandel an Aufenthaltsorten bewiesen, so Stöver – vor allem bei Crack, wo der Suchtdruck groß sei.

Duldung unvorstellbar

Denn wer Crack raucht, befindet sich innerhalb von Sekunden in einem Rauschzustand, allerdings für gerade einmal fünf bis fünfzehn Minuten. Die Kürze des Rausches sorgt dafür, dass schnell Nachschub beschafft werden muss – und den gibt es eben da, wo Drogen verkauft werden: Am Bremer Hauptbahnhof etwa.

Eine Duldung von Drogenhandel jedweder Art ist für die Bremer Polizei aber unvorstellbar. Sie müsse eingreifen – „auch wenn das Grämmchen noch so klein ist“, erklärte Christian Modder, Koordinator des Sicherheitsprogramms Hauptbahnhof der Bremer Polizei, bei der Anhörung.

Zuletzt erfuhr die Bremer Polizei Aufmerksamkeit durch Großkontrollen und Sondereinsätze, bei denen im Sommer sogar eine Fußgängerbrücke am Bahnhof gesperrt wurde. In Einklang mit Forderungen des AfD-Bürgerschaftsabgeordneten Thomas Jürgewitz kündigte Mäurer Ende 2022 ein noch härteres Vorgehen gegen Dealer an: Abschiebungen. Die Razzien hätten gezeigt, dass viele Dealer aus Guinea stammten und kein Aufenthaltsrecht besäßen.

Beatrix Meyer, Leiterin der Ambulanten Suchthilfe Bremen (ASH) kritisierte hingegen die Präsenz der Polizei, besonders weil es so zu einer schnellen Kriminalisierung Drogenkonsumierender komme. Dazu kommt, dass Menschen mit Fluchterfahrung ohnehin kein gutes Verhältnis zur Polizei haben und chronisch verängstigt seien. „Klient*innen wollen von der Polizei einfach in Ruhe gelassen werden“, sagte Mustafa Mashadi, Streetworker bei der ASH. Das sei auch ein Grund, warum Betroffene den Konsumraum willkommen heißen.

Sitzangebote für Tagesaufenthalte

Ungefragt wies Modder Vorwürfe des Racial Profilings von der Bremer Polizei zurück. „Wir achten nicht auf das Aussehen der Menschen, sondern auf das Verhalten“, sagte Modder. Hinzu: Niemand werde vertrieben und Platzverweise nur dann ausgesprochen, wenn sich nicht gesetzeskonform verhalten werde.

Die kurzfristigen Maßnahmen zum Ausbau des Konsumraumes werden zeitnah abgeschlossen, verspricht der Senat nun. Der Umbau orientiere sich an fachlicher Expertise der Hilfsorganisationen und umfasse Sitzangebote für Tagesaufenthalte, einen Ruhebereich, eine Vergabestelle von Materialien zum sauberen Drogenkonsum und einen Beratungsbereich.

Stöver betonte, wie wichtig es sei, dass bestehende Angebote zusammenarbeiten. Idealerweise mit einer Organisationseinheit, in der „alle Fäden zusammenlaufen“. Das klang, als bräuchte es dafür zunächst einen Richtungswechsel bei der Polizei.

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