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Mögliche türkische Offensive in SyrienErdoğan gegen alle

Der türkische Präsident bereitet offenbar eine neue Offensive gegen die kurdische YPG in Syrien vor. Davor warnen Russland und die USA.

Da waren sie schon: türkische Panzer im syrischen Manbidsch im Oktober 2019 Foto: Ugur Can via ap

Istanbul taz | Der türkische Staatsrundfunk ist bereit. Sie haben in Kilis, einer Stadt direkt an der syrischen Grenze ihr Studio eingerichtet und warten nun darauf, dass der von Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Mittwoch angekündigte erneute militärische Einmarsch in das Nachbarland beginnt.

Es wäre die vierte Militäroperation der Türkei in Syrien, nach dem Einmarsch in Dscherablus im August 2016, der Eroberung der kurdischen Region Afrin im Januar 2018 und zuletzt der Besatzung eines Streifens östlich des Euphrats im Oktober 2019, nachdem US-Präsident Trump überraschend seine Truppen dort zurückgezogen hatte.

Noch ist aber nichts passiert. Der Reporter von TRT interviewt mangels aktueller Ereignisse Generäle im Ruhestand, dazu zeigt der Sender Bilder der vorangegangenen Militäroperationen. Vereinzelten Raketenbeschuss in der Nähe der Stadt Manbidsch bezeichnete das türkische Verteidigungsministerium gegenüber dpa als alltägliche Routine. „Noch ist keine größere Operation gestartet worden“, sagte ein Sprecher des türkischen Militärs.

Die aber soll nun zeitnah erfolgen. Am Mittwoch hatte Präsident Erdoğan im Parlament verkündet, die Armee solle zunächst einmal die beiden Orte Tall Rifaat und Manbidsch von „Terroristen“ säubern, danach werde man dann Schritt für Schritt in andere Regionen vordringen.

USA und Russland warnen die Türkei

Eine Einnahme dieser beiden Städte hätte allerdings politische Implikationen, die offenbar noch nicht geklärt sind. In beiden Städten sind neben den kurdischen Milizen der YPG, die das Ziel eines türkischen Angriffs wären, auch Truppen der regulären syrischen Armee des Diktators al Assad stationiert. Dessen Protektor, der russische Präsident Wladimir Putin, hat einer türkischen Operation gegen Tall Rifaat und Manbidsch aber bislang nicht zugestimmt.

Am Donnerstagabend sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, die russische Regierung hoffe, dass Ankara von Maßnahmen absieht, die „die gefährliche und ohnehin schwierige Lage in Syrien weiterhin verschlechtern könnten“. Ausnahmsweise ist in diesem Fall Russland mit den USA mal wieder einer Meinung. Zuvor hatte schon US-Außenminister Antony Blinken gesagt: „Wir warnen die Türkei vor einer Militäroperation in Syrien. Das könnte unsere Truppen dort gefährden und die Stabilität in der Region untergraben“.

Ist die neuerliche Ankündigung Erdoğans, in Syrien einmarschieren zu wollen, also nur ein Bluff? Sowohl Manbidsch als auch Tall Rifaat grenzen direkt an das Gebiet an, das die Türkei bereits 2016 erobert hat. Schon beim Einmarsch 2016 wollte Erdoğan die kurdische YPG Miliz westlich des Euphrats nach Osten zurückdrängen, was aber nicht ganz gelang, da schon damals sowohl die USA wie auch Russland dagegen war. Kurz vor Manbidsch mussten die türkischen Truppen halt machen.

Danach setzte Erdoğan im Januar 2018 noch einmal nach und ließ die Kurdenregion Afrin besetzen und den größten Teil der YPG-Miliz und tausende kurdische Zivilisten von dort vertreiben. Nur in Tall Rifaat, der Ort liegt relativ nah an Aleppo, konnte die YPG sich halten. Seitdem beklagt Erdoğan, dass aus Tall Rifaat und Manbidsch immer wieder türkische Truppen oder mit der Türkei verbündete syrische Milizen angegriffen werden. Das soll nun beendet werden.

Militärisch wäre die türkische Armee wohl dazu in der Lage. Die Frage ist, ob Erdoğan einen solchen Schritt politisch durchsetzen kann. Er hofft anscheinend, dass Russland in Ukraine soweit beschäftigt ist, dass Putin ihm in Syrien freie Hand lassen würde.

Auch die USA wollen den türkischen Autokraten nicht vor den Kopf stoßen, weil angesichts des Ukraine-Krieges die Türkei gebraucht wird.

Dennoch sind die politischen Widerstände noch nicht ausgeräumt und die Kriegsreporter von TRT warten noch darauf, dass die türkischen Panzer rollen werden. Zunächst wird die türkische Armee sich aber wohl auf Aktionen niedrigerer Intensität beschränken. Der TRT Mann meldete gestern, dass es dem türkischen Geheimdienst gelungen sei, in Tall Rifaat einen hochrangigen Kommandeur der kurdischen YPG Miliz zu töten.

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4 Kommentare

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  • US-Außenminister Antony Blinken sagt: „Wir warnen die Türkei vor einer Militäroperation in Syrien. Das könnte unsere Truppen dort gefährden und die Stabilität in der Region untergraben“.



    Verstehe ich das richtig? US-Truppen dürfen völkerrechtswidrig das Staatsgebiet von Syrien besetzt halten, aber die Türkei nicht, obwohl diese einen nachvollziehbaren Grund für die Intervention angibt, nämlich die sichere Rückführung der millionen syrischen Flüchtlinge in ihre Heimat.



    Eine wirkliche Alternative zur militärischen Intervention der Türken in Syrien wäre, dass sich die EU bzw. Deutschland bereit erklärt, 2 Mio. syrische Flüchtlinge aus der Türkei aufzunehmen. ich als Gutmensch wäre dafür. Aber vorher landen Außerirdische auf der Erde.



    Also, nur nein sagen geht nicht, was soll die Türkei mit 4,5 Mio. Flüchtlingen aus Syrien tun, wenn inzwischen der Widerstand der türkischen Bevölkerung (auch der AKP Wähler) gegenüber den Flüchtlingen immer mehr zunimmt?

  • Irgendwer muss Erdogan klarmachen, dass er als NATO-Mitglied keine Angriffskriege (auf Territorium außerhalb der Türkei) führen darf..

    Wie wir heute wissen, war es ein riesengroßer Fehler, die scheinbar kleinen Kriege Putins ohne deutliche Reaktionen hinzunehmen.

    Wenn Erdogan jetzt meint mit der gleichen Strategie verfahren zu können, birgt das ein erhebliches Sicherheitsrisiko.

    Die Türkei unter Erdogan ist offenbar kein verlässlicher NATO-Partner mehr.

    Wenn er so weiter macht, kann die Türkei, meiner Meinung nach nicht Mitglied des Defensivbündnisses namens NATO bleiben...Incirlik hin oder her.

    Wobei ich ziemlich sicher bin, daß Erdo einlenken wird, wenn man ihm diese Option mal etwas genauer erklärt...

  • Schwere Waffen für die Kurd*innen jetzt!



    Es gilt gleiches Recht für alle: Sanktionen gegen die Türkei, bis deren Wirtschaft am Boden liegt. Abbruch aller Beziehungen. Lieferung von Marder und Gepard, Panzerhaubitzen und Mehrfachraketenwerfern sowie bewaffneten Drohnen an die kurdische Regionalregierung. Engste Zusammenarbeit der Geheimdienste, um türkische Generäle treffen zu können. Ermittlung von Kriegsverbrechen der Türkei.



    Frau Baerbock, Herr Scholz, Frau Strack-Zimmermann: handeln Sie jetzt!

  • Wo bleiben hier die Sanktionen des Wesrens?