piwik no script img

Mangelwirtschaft und InflationDer Preis ist nicht für alle gleich

Krise? Klingt so, als säßen wir alle im selben Boot. Egal ob Babymilchmangel in den USA oder teure Gurken in Deutschland – es war nie falscher als jetzt.

Die Preisanstiege belasten viele Menschen immer stärker Foto: Christoph Hardt/imago

N eulich im Eisladen habe ich es zum ersten Mal gesagt: „Aber jeder nur eine Kugel!“ Zuvor hatte ich ungläubig das Preisschild über der Kühltheke angestarrt: 1,60 Euro pro ­Kugel, Karamellsauce 20 Cent extra. Eins-sechzig? Da hört selbst bei der Lieblings-Eisdiele der Spaß auf. Die Kinder nickten und beobachteten mich vorsichtig: Würde ich wieder laut fluchen wie zuvor an der Gemüsetheke im Supermarkt? 2,50, in Worten zwei-fünfzig für die Biogurke?

Und schon wieder kein Sonnenblumenöl und kein Mehl im Regal, auch nicht das allerbilligste, wenn es das denn gäbe! Nein, diesmal hatte ich mich im Griff. Daran, dass alles teurer wird und manches nicht immer verfügbar ist, hat man sich ja schon fast gewöhnt. Inflation plus pandemiegeschwächte Lieferketten plus tobender Krieg plus saftig steigende Energiepreise. Das gibt dann halt Mondpreis-Gurken und schlechte Laune im Eisladen.

Aber wenigstens die eine Kugel pro Person ist bei uns noch locker drin, wohingegen es Menschen gibt, für die schon der Kauf einer Wassermelone über der Geldbeutelgrenze liegt, wie die vielen Twitter-Posts unter dem Hashtag #IchBinArmutsbetroffen offengelegt haben. Na ja, das sei halt der Preis „der vielen Krisen“ unserer Zeit, war diese Woche vielerorts zu lesen.

Krisen, das klingt so schicksalhaft, als säßen wir im selben Boot. Was aber nie falscher war als jetzt. Denn manche zahlen schon lange den Preis dafür, dass den anderen gestiegene Preise nichts ausmachen. Schon meine Situation (ich fluche, greife aber doch zur ungespritzten Biogurke, weil meine Kinder die gern mit Schale essen) unterscheidet sich sehr von jener der Userin namens LuffyLumen, die keine Wassermelone kaufen kann.

Sich stapelnde Be­rufs­pend­le­r:in­nen

Menschen, die Geld aus den staatlichen Sicherungssystemen beziehen, werden jetzt „entlastet“ durch eine Einmalzahlung von 200 Euro, auch einen Kinderbonus soll es geben. Irgendwann im Juli wird ausgezahlt – wann genau, hat die Regierung vergessen zu sagen. Dabei wäre es für diejenigen, die jetzt schon jeden Cent umdrehen müssen, für die ­Ferienplanung einigermaßen wichtig, das zu wissen.

Wohingegen ein Studienfreund, der jetzt eine gutgehende Agentur hat, mehrere Ferienhäuser und Aktien, seine ganze Familie mit 9-Euro-Tickets eingedeckt hat – weil Zugfahrten durch Deutschland für ihn, der sich sonst per teurer Klimaschleuder durch die Republik bewegt, mal eine neue Erfahrung ist: auf Tuchfühlung mit den Berufspendler:innen, die sich mangels Alternative seit Jahr und Tag in den Öffentlichen stapeln.

Meine Prognose: Er wird es nicht lange durchhalten, aber die paar mal neun Euro sofort wieder vergessen haben. Ich wage noch eine Prognose: „LuffyLumen“ wird sich nicht gleich auf das im Vorverkauf freigeschaltete 9-Euro-Ticket gestürzt haben. Denn wozu ein Ticket kaufen, das Ausflüge „ins Grüne“ verspricht, wenn fraglich ist, ob man sich den Eintritt fürs Schwimmbad oder auch nur die Melone fürs Picknick am See leisten kann?

Babymilch aus Ramstein

Dass in den modernen Krisen nicht alle den gleichen Preis zahlen, war diese Woche eindrücklich in den USA zu sehen. Dass aufgrund eines wegen Verunreinigung geschlossenen Werks Mangel an Babymilchpulver herrscht, trifft vor allem die Mütter, die eben nicht „einfach stillen“ können, wie manche Kom­men­ta­to­r:in­nen besserwisserisch vorschlugen. Vor allem viele Afroamerikanerinnen haben weder garantierten Mutterschutz noch ausreichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Sie müssen schnell wieder arbeiten gehen und sind jetzt auf die Babymilch-Luftbrücke aus Ramstein angewiesen.

In Texas, wo ein 18-Jähriger mit Sturmgewehren in eine Grundschule eindrang und 21 Menschen erschoss, sind es die Kinder, die den Preis für die „Freiheit“ der Erwachsenen zahlen, Waffen zu tragen. „Wann in Gottes Namen werden wir uns der Waffenlobby entgegensetzen?“, fragte hilflos Präsident Biden. Doch fehlende Waffenregulierungen sind kein Schicksal, es gibt Senator:innen, die sie aktiv verhindern. Das zweite Amendment der US-Verfassung trägt ein blutiges Preisschild.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Nina Apin
Redakteurin Meinung
Jahrgang 1974, geboren in Wasserburg am Inn, schreibt seit 2005 für die taz über Kultur- und Gesellschaftsthemen. Von 2016 bis 2021 leitete sie das Meinungsressort der taz. 2020 erschien ihr Buch "Der ganz normale Missbrauch. Wie sich sexuelle Gewalt gegen Kinder bekämpfen lässt" im CH.Links Verlag.
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • ganz klarer Fall von 'Mangelwirtschaft'. Eis (Tipp: 6x Waffelhörnchen gibts bei Aldi für 1.49), Sonderangebote statt Gurke (Frage: wer hat vorher tatsächlich Sonnenblumenöl literweise verbraucht und leidet jetzt unsäglich am 'Mangel'?) und klar: öffentlicher Nahverkehr nur 'mangels Alternative'... Aber solang man sich noch Gedanken über die 'Ferienplanung' (ist schliesslich verbrieftes Menschenrecht, die Ferienreise) machen kann, kanns so schlimm im Wohlstandsland nicht sein. Tipp: Picknick geht auch ohne Melone (die, das nur ganz nebenbei, von Illegalisierten für einen Hungerlohn von südlichen Feldern). Leben im Wohlstand schafft halt schlimme Probleme.

  • Sehr guter Beitrag. Dem ist nichts hinzu zu fügen!!!

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Es kann jetzt nur so falsch laufen wie nie, weil der Anlauf dazu vorher schon so lang war. Und dieser Anlauf hatte eigentlich kein anders Ziel als - wie sagte Silenski es - Wirtschaft, Wirtschaft und nochmal Wirtschaft.

  • Und in Italien ist das Eis 3 mal so gut und dafür nur halb so teuer wie hier. Seltsam. Ich glaube hier wird viel einfach mitgenommen, was geht. Nicht weil sie die Preise haben müssten.

    • @BerlinerausBerlin:

      Weder noch. Preise auf gleichem Niveau wie hier oder gar teurer (1,20€ - 1,80€ pro Kugel, Milchprodukte sind dabei in Italien häufig tw. deutlich teurer als hierzulande), und eine gute Eisdiele (Tipps für Bremen: Molin, Cercena, Eiscafé Daniel, Eislabor) kann easy mit einer "Gelateria Artigianale" mithalten. Ist ja auch keine Zauberei.

      Zum Artikel: ja, wow, wir haben soziale Ungleichheit? Ich bin schockiert! Ich erwarte auch mit Grusel die nächste Nebenkostenabrechnung. Mein Chef leidet aber auch ganz schön, Ferrari hat auch die Preise ziemlich angezogen. Und Töchterlein will schließlich nach dem Abi auch noch ein Jahr Weltreise finanziert haben. Quasi Work&Travel, nur ohne Work.