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Die Große Moschee von Touba ist das Zentrum der Muriden-Bruderschaft und ein wichtiger Pilgerort Foto: Katrin Gänsler

Glaubensgemeinde in SenegalDie Macht der Bruderschaften

Sufi-Bruderschaften haben großen Einfluss auf die Gesellschaft im Senegal. Ein Grund, warum das Land bisher vom islamistischen Terror verschont blieb.

Von Katrin Gänsler aus Dakar, Touba, Djourbel

M ustafa Mbacke kennt jeden Winkel der Großen Moschee von Djourbel. Es ist ein großer Bau in einem hellen Beige, unterbrochen von dunkelroten Zierleisten. Der gepflasterte Vorplatz in denselben Farben ist sauber gefegt. Auf dem sandigen Gelände drumherum liegt keine Plastiktüte, kein Müll. Stattdessen sind Bäume gepflanzt, die Wartenden Schatten spenden.

Aus Respekt zieht Mbacke seine Sandalen aus und läuft barfuß über den heißen, dunkelgelben Sand. „Hier gibt es viel zu entdecken“, sagt er. Es ist die Moschee von Cheikh Ahmadou Bamba, dessen letztes Wohnhaus gegenüber dem Hauptportal liegt. Bamba – ein Vorfahre von Mustafa Mbacke, der eigentlich gerade in Deutschland studiert – ist Begründer der wohl einflussreichsten Sufi-Bruderschaft im Senegal, der Muriden.

Sufi-Bruderschaften gibt es in vielen Ländern. Sie sind Zusammenschlüsse von Muslim*innen, die einem Gründer folgen, dem sie sich oft über Generationen eng verbunden fühlen. Einige haben weltweit engmaschige Netzwerke mit Schulen, Wirtschaftskontakten und Verbindungsbüros – bei den Muriden heißen diese Dahira – aufgebaut und verfügen über gute Kontakte in die Politik.

Andere Bruderschaften sind eher lose Verbindungen. Nirgends prägen sie den religiösen Alltag so sehr wie im Senegal, wo sich etwa 95 Prozent der knapp 18 Millionen Ein­woh­ne­r*in­nen zum Islam bekennen. Neben den Muriden verzeichnen die Tidjanes und die Khadiriya die größten Anhängerzahlen. An der Spitze der Muriden steht seit 2018 Serigne Mountakha Bassirou Mbacke, ein Nachfahr Bambas.

Während der Kolonialzeit wurde Bamba ins Exil verbannt

Aus Bambas Familie zu stammen reklamiert auch Mustafa Mbacke für sich. Er geht um die Moschee von Djournbel herum und erzählt von Bamba als seinem Großvater. Schon Bambas Vater war Marabout. So heißen in Westafrika traditionelle Islamgelehrte, die mitunter wie Heilige verehrt werden.

Mustafa Mbacke sagt: „Die Bruderschaft steht für Frieden“ Foto: Katrin Gänsler

Eine solche Verehrung erhält auch Bamba, von dem genau ein einziges unscharfes Bild in Schwarz-Weiß existiert, das überall in Senegal zu sehen ist. Es zeigt einen hageren, schlichten Mann im weißen Gewand und mit halb verdecktem Gesicht, der keinesfalls so aussieht, als würde er einmal an der Spitze einer einflussreichen, sich immer stärker ausbreitenden Bewegung stehen.

Dass er trotzdem schnell zahlreiche Un­ter­stüt­ze­r*in­nen fand, merkte die französische Kolonialverwaltung und verbannte ihn ins Exil nach Gabun. Erst 1912 durfte er zurückkehren und stand schließlich in Djourbel bis zu seinem Tod 1927 unter Hausarrest.

Blutige Aufstände blieben allerdings aus. Das hat Bamba populär gemacht. „Er hat mit anderen Mitteln gekämpft, mit friedlichen. Wer anderswo mit Gewalt gegen den Kolonialismus gekämpft hat, ist am Ende selbst gestorben.“ Mbacke ist mittlerweile am Hauptportal angekommen und zeigt auf Bambas letztes Wohnhaus gegenüber. Als er hier unter Hausarrest stand, musste er täglich zu Fuß zur Präfektur gehen und sich dort melden. Mbacke wertet das ebenfalls als einen Akt der Demut und Friedfertigkeit.

Bisher keine islamistischen Anschläge im Senegal

Anders als viele andere westafrikanische Länder mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung hat Senegal bisher keine islamistischen Terroranschläge verzeichnet. Dabei breiten sich islamistische Bewegungen wie der „Islamische Staat in der Größeren Sahara“ (EIGS), die „Gruppe für die Unterstützung des Islam und der Muslime“ (JNIM) und Ansarul Islam aus Mali und Burkina Faso in Richtung der Nachbarländer aus.

Jahrelang hielten Terrorexperten es für ausgemacht, dass Senegal bald das nächste Terrorziel werden würde. Der Staat in Dakar ist seit Jahren in Alarmbereitschaft. Es gibt regelmäßig Konferenzen und Kooperationen zur Terrorbekämpfung. Nach der Verhaftung von vier mutmaßlichen Terroristen im vergangenen Jahr sagte Präsident Macky Sall: „Wir befürchten eine Ausbreitung.“ Ziel der Terroristen sei es, die Atlantikküste zu erreichen.

Längst gibt es in Senegal wahhabitische Strömungen, die sehr konservativ sind. Dazu gehören die An­hän­ge­r*in­nen von Ibadou Rahmane. „Es ist ein Islam ohne Hie­rarchie, in dem jeder Gläubige nur gegenüber Gott verantwortlich ist. Er ist aber auch sehr strikt, beispielsweise mit Befolgung der Scharia“, sagt Ute Gierczynski-Bocandé, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung in Dakar.

Vorbereitungen zum Fastenbrechen in der großen Muriden-Moschee in Dakar, Senegal Foto: rtr

Bisher würden sich die Wahhabiten alle im Rahmen des Rechtsstaates bewegen. „Man weiß aber nicht, was passieren würde, wenn sie auch politisch aktiv werden würden.“

Wird sich Senegals Jugend gegen die Konservativen auflehnen?

Doch auch die traditionellen Bruderschaften lassen sich als Gegenentwurf zum laizistischen senegalesischen Staatskonzept interpretieren, in dem es Wahlen und die Beteiligung von Frauen gibt. Seit 2010 besteht ein Gesetz zur Parität. Heute sind knapp 42 Prozent der Parlamentsmitglieder Frauen.

In regelmäßigen Abständen wird darüber spekuliert, wann sich Senegals Jugend – das Durchschnittsalter der Bevölkerung Senegals, ähnlich wie in den meisten Ländern Westafrikas, liegt bei nur etwas über 19 Jahren – gegen das alte System auflehnt.

Denn die Bruderschaften stehen auch für gesellschaftlichen Konservatismus. Hauptstadt der Muriden ist Touba, eine Autostunde von Djourbel entfernt. Steuern zahlt dort niemand, stattdessen Abgaben für Arme. Bars, Diskotheken und Alkohol sind verboten. Bei der Einfahrt in die Millionenstadt heißt es auch für Frauen, die keine Musliminnen sind: Bitte die Haare verdecken.

Für Mustafa Mbacke ist es undenkbar, dass diese Ordnung einmal nicht mehr bestehen wird. Diese Meinung teilen auch viele, die keine enge Verbindung mit einer Bruderschaft haben. Kritik wird nicht geäußert, stattdessen mit Respekt von ihnen gesprochen. Die Zugehörigkeit kann auch aus wirtschaftlichen Gründen interessant sein. In der Bruderschaft unterstützt man sich gegenseitig. Zu den Muriden gehören überaus erfolgreiche Geschäftsleute.

Die Bruderschaften vermitteln bei Konflikten

Der gesellschaftliche Einfluss der Bruderschaften auf die Jugend wurde im Frühjahr 2021 deutlich. Vor allem junge Menschen demonstrierten damals gegen die scharfen Coronamaßnahmen der Regierung sowie die Verhaftung von Oppositionspolitiker Ousmane Sonko, der heute Bürgermeister von Ziguinchor ist. Die Bruderschaften vermittelten, und die De­mons­tran­t*in­nen verließen die Straße.

Mit dieser Vermittlerrolle sind sie ein starker, ausgleichender Teil der senegalesischen Gesellschaft. Auch ihr politischer Einfluss ist groß: Wer in Senegal Wahlen gewinnen will, muss sich mit den Bruderschaften gut stellen, vor allem mit den Muriden als größte von ihnen. Wie sich die Mbacke-Familie politisch positioniert, entscheidet mit über die Zukunft des ganzen Landes.

Auch die Gefahren, die vom Terrorismus ausgehen, seien den Bruderschaften bestens bekannt, sagt Babacar Diop Buuba, emeritierter Professor für Alte Geschichte an der Universität Cheikh-Anta-Diop. „Die Terroristen bedrohen ihre Existenz.“ Da die Bruderschaften in allen Lebensbereichen – Schulen, Universitäten, Gewerkschaften, Armee – Mitglieder haben, könnten sie sehr viele Menschen beeinflussen. Auch würden sie über Milizen verfügen, ein offenes Geheimnis. „Das wissen auch die Terroristen“, sagt der Wissenschaftler.

Könnten Senegals Bruderschaften auch jenseits der Grenzen vermitteln? Ex­per­t*in­nen betonen längst, dass die schwere Sicherheitskrise der Sahelzone nicht durch Militäroperationen beendet wird.

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5 Kommentare

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  • Nun in Afghanistan waren die Sufis auch die Mehrzahl bis sie es irgendwann nicht mehr waren, das gleiche in Pakistan, Tschetschenien etc. Saudi-Arabien finanziert weltweit seine wahhabitischen Missionare, deren primäres Ziel ist die Auslöschung aller anderen Formen des Islams, anschließend die aller anderen Religionen. Im Moment mag das im Senegal noch nicht so wirken aber warten wir mal ein paar Jahre ab.

  • Schön zu lesen, wie gelebter Mystizismus aussehen kann. Die Mystiker aller drei Buch-Religionen waren der "Amtskirche" immer ein Dorn im Auge und oft der Häresie verdächtig (so wie jetzt Demokratieverfechter in der Türkey wg. "Terrorismus" verurteilt werden ...). Dabei leben sie die wahre Religion.



    Die sind mir lieber als die Atheisten, die an das grenzenlose Wirtschaftswachstum glauben, ob mit oder ohne Nachhaltigkeit ...

    • @Christian Lange:

      Mir hat der Artikel auch sehr gut gefallen, aber wenn ich ein bisschen pedantisch sein darf: weder im Christentum noch im Islam (über jüdische Mystik weiß ich leider nicht genug, um mich qualifiziert zu äußern) waren Mystiker immer verdächtige Außenseiter oder gar besonders friedfertig (denken Sie an Bernhard von Clairvaux!). Ähnliches gilt übrigens für die Rationalisten, die ihren Glauben philosophisch rekonstruieren wollten. Worauf ich hinaus will: die grundsätzlichen Zugänge zur Religion - Mystik, Rationalismus, "Fundamentalismus" im eigentlichen Sinne des Wortes - können ganz unterschiedliche Erscheinungsformen annehmen, deshalb wäre ich vorsichtig damit, eine davon per se als besonders erstrebens- oder ablehnenswert zu betrachten.

    • @Christian Lange:

      Hast du den Artikel überhaupt gelesen? Um kapitalismusfernen Mystizismus geht's da jedenfalls nicht unbedingt...

      Und was hat bitte überhaupt der Glaube "an das grenzenlose Wirtschaftswachstum" mit Atheismus zu tun? Das basiert doch auf der problematischen Zuschreibung, dass religiöse Menschen moralischer wären, als nichtreligiöse...

  • „Er hat mit anderen Mitteln gekämpft, mit friedlichen. Wer anderswo mit Gewalt gegen den Kolonialismus gekämpft hat, ist am Ende selbst gestorben.“



    Für diese (vorbildliche) Einstellung wird man heute, bei vergleichbaren Konstellationen, nieder gemacht und an den Pranger gestellt.