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Ukraine gewinnt den ESCSieg mit Laienstimmen

Das Kalush Orchestra gewinnt den 66. Eurovision Song Contest – vor allem dank des Televotings. Deutschlands Malik Harris wird Allerletzter.

Viel Konfetti, viele Punkte: Das Kalush Orchestra feiert den Gewinn des Eurovision Song Contest Foto: Jens Büttner/dpa

In den europäischen Wettbüros galt ihr Sieg als gewiss, am Ende traf diese Prognose auch zu: Das Kalush Orchestra aus der Ukraine gewann in der Nacht zum Sonntag in Turin den 66. Eurovision Song Contest überlegen vor Großbritanniens Sam Riley, der Spanerin Chanel und der Schwedin Cornelia Jakobs.

Der ukrainische Act performte den Titel „Stefania“ zu großem Jubel in der Olympiahalle der norditalienischen Stadt. Sänger Oleh Psyuk rief am Ende ihrer dreiminütigen Vorstellung: „Ich bitte Euch alle“, sagte der Sänger nach der Darbietung auf der Bühne, „bitte helft der Ukraine, Mariupol und den Menschen im Asow-Stahlwerk – jetzt!“ Beifall in der Halle!

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Unter allen ‚normalen‘ Eurovisionsumständen hätten dieses Statement mindestens zu einer öffentlichen Rüge gereicht – allen 25 Fi­nal­künst­le­r*in­nen war zuvor strikt untersagt worden, auch nur die kleinste politische Bekundung auszubringen, auf einen Tadel gegen die Ukrainer wurde verzichtet.

Bei der Punktewertung sah es zunächst nicht besonders triumphal für die Künstler aus dem von Russland militärisch überfallenen Land aus: Die Juries aus den 39 anderen Ländern – bestehend aus Profis, Künstler*innen, Mu­sik­ma­na­ge­r*in­nen und -Produzent*innen – sahen den HipHop-Elektro-Folk-Song durchschnittlich nur auf dem vierten Platz.

Aber beim Televoting, der Volxabstimmung der Laien in allen beteiligten ESC-Ländern, holte das Kalush Orchestra 439 von 468 möglichen Punkten – eine Erdruschwertung, die die Band noch auf den erhofften und geweissagten ersten Platz hievte.

Sogar aus Serbien gibt es 7 Punkte

„Stefania“ war das einzige Lied, das aus allen Länder Zustimmung per Televoting erhielt, fast alle gaben ihre 12 Punkte an die Ukraine, der niedrigste Wert kam aus Serbien mit sieben Zählern – immerhin so viele aus diesem Land, dessen politische Elite eher zu Wladimir Putin als zur Ukraine hält. Die Profi-Jury in Belgrad gab Oleh Psyuk & Co. keinen einzigen Punkt.

Angesprochen auf das nächste Jahr, zu dem sich der ukrainische Fernsehsender NTU vertraglich verpflichtet hat, Gastgeber des ESC zu sein, hieß es in Turin, man werde das Festival ausrichten, wie schon zweimal zuvor (2005 und 2017).

Der deutsche Malik Harris, eher mit einer lichtschluckenden Geschichte („Rockstars“) beim ESC am Start, wurde Letzter. Die sechs Punkte, zuerkannt von den Televotern mit je zwei Punkten aus der Schweiz, Österreich und Estland, nährten das seit vielen Jahren ersichtliche Indiz, dass Deutschland Pop international einfach nicht kann – und der NDR dies weder zu sehen bereit noch durch mutige Vorentscheidungsverfahren zu ändern fähig ist. Malik Harris, der begabte junge Künstler aus Bayern, sagte hernach nur, er sei ohnehin für die Ukraine gewesen.

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12 Kommentare

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  • "This is the end my friend" !

  • Was für eine Farce.



    Wäre ich einen Tag ARD-Intendant, so würde ich den ESC meistbietend an einen Privatsender verhökern.

  • Die ganze Veranstaltung spiegelt das Niveau unserer Zeit wieder. Immer Mehr, immer schriller, immer bunter ... mich erinnert das an "Tanz auf dem Vulkan"



    Schade, ein totaler Stromausfall und eine Fortsetzung - unplugged bei Kerzenlicht - hätte vielleicht mal gezeigt, wer von den Interpreten Singen kann....

  • Warum haben wir nicht die Antilopengang nach Turin geschickt?

  • Der NDR schickt immer wieder irgendwelche jungen no name-Künstler, die einfach weder die Erfahrung noch den Spirit und die Ausstrahlung haben, die Bühne zu rocken. Dazu eine völlig unscheinbare Bühnenshow- war es überhaupt eine Show?- , im Vorfeld kaum Promotion, so dass selbst in Deutschland kaum jemand den Künstler kennt. Der Auftritt gestern war so einschläfernd, dass man mal eben in die Küche gehen konnte. Und dann gibt es eben auch keine Punkte. Es braucht ein professionelles Management und gezielte Arbeit von Hitschreibern.

  • Man muss den NDR wohl mit der Nase drauf stoßen: Wer Hits will, braucht Hit-Schreiber und keine Amateurkomponisten.

    • @Trigger:

      Ich vermute, dass die meisten Menschen in Deutschland diesen merkwürdigen Wettbewerb sowieso nur mit einer beträchtlichen Portion Ironie (und ausreichend Alkohol) ertragen. Ohne das Schämen über den Deutschen Beitrag und die Schadenfreude über den letzten Platz des deutschen Teilnehmers würde das Ganze doch überhaupt keinen Spaß machen. Insofern hat der NDR alles richtig gemacht.

      • @Ruediger:

        Interessante Perspektive. Und ich Dummerchen bin bisher immer davon ausgegangen, wer da teilnimmt, möchte am Ende auch gewinnen ...

  • "Allerletzter", dieses Wort kenne ich nur aus der Kita, Grundschule und von Kindergeburtstagen. Meist wurde es von denen gebraucht, die auch als Petzen bekannt waren.

  • na, ja der ESC ist ingesamt kein Maßstab für musische Qualität (ansonsten müsste man annehmen ganz Europa kann kein Pop mehr). Schlechter als die allermeisten Songs, die dort dargeboten wurden war die deutsche Nummer jedenfalls nicht. Wie es scheint geht es da seit vielen Jahren eh nur ums Flaggenschwenken und die Verteilung von politischer Solidarität, was man bekanntermaßen nicht äußern darf, auch wenn es manchmal schon in Ordnung ist oder wäre, wie im Fall der Ukraine oder mit Palästina (letztes Mal in Israel, wofür es Strafzahlungen gab). Besser wäre es wenn es aber auch noch mit guter Musik glänzen könnten – nicht nur in der auf jedem ESC breitgetretenen Historie (ABBA, ABBA, ABBA)

  • Deutschland singt und keiner mag es hören. Deutschland schreibt, doch die Bekanntheit seiner Schriftsteller geht im Ausland gegen Null. Wenigsrens im Kino sind wir eine Macht und erst in der Malerei, Bildhauerei....



    Dann die klassischen Musik! Der in Deutschland weltberühmte Igor Levit (Jahrhunderttalent!) und der andere, wie hieß er nochmal? Oder war es Die Mutter? Man sieht vor lauter Wald Bäume nicht.

  • Mensch mag den ESC oder nicht. Wird natürlich genauso unpolitisch gelebt wie die unpolitischen Olympischen Spiele.