Verkehrswende läuft: Hamburg will Fußgänger ernst nehmen
Der rot-grüne Senat erweitert sein Bündnis für den Radverkehr. Künftig will er so bauen, dass sich alle Verkehrsteilnehmer sicher fühlen.
Tschentscher wie Tjarks hatten im Bürgerschaftswahlkampf 2019/2020 große Versprechen in der Verkehrspolitik gemacht. Tschentscher kündigte einen Hamburg-Takt an: Niemand solle mehr als fünf Minuten zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel brauchen. Tjarks entwarf eine Zukunftsvision für einen modernen, teils digital gestützten Fahrradverkehr.
Dazu kommt, dass sich die Bürgerschaft Anfang 2020 mit der Volksinitiative Radentscheid einigte. Deren Hauptziel war es, den Radverkehr so sicher zu machen, dass mehr Menschen das Rad nutzen. Dem will der Senat nun folgen.
Kirsten Pfaue, die Radverkehrskoordinatorin des Senats sprach in diesem Zusammenhang von einem „Paradigmenwechsel bei der Planung der Infrastruktur“. Sie bezog sich auf eine Meinungsumfrage im Auftrag des Berliner Tagesspiegels, die ergab, dass sich Fahrrad- wie Autofahrer sicherer fühlen, wenn ihre Fahrspuren baulich voneinander getrennt werden.
Dazu will der Senat Schwellen oder Kantsteine auf die Fahrbahn setzen. Er will die Radwege verbreitern und auf Kreuzungsdesigns verzichten, bei denen der Radweg zwischen den Autospuren geführt wird. Um das Radeln attraktiv zu machen, sollen weitere Fahrradbügel aufgestellt und Fahrradparkhäuser gebaut werden. Zudem soll der Fahrradverkehr besser mit dem Busnetz verzahnt werden, etwa durch die Wegeführung oder die Platzierung von Leihrädern.
Beete, Blindenstreifen und Barriereabbau
An U-Bahnhöfen und Bushaltestellen, wo Radler auf Fußgängerströme treffen, werden noch Lösungen gesucht. Überhaupt ist das Konzept für den Fußverkehr zurzeit noch im Stadium eines Versprechens. Immerhin gibt es neben der Radverkehrskoordinatorin jetzt auch eine Fußverkehrskoordinatorin und das Bündnis für den Radverkehr, das der Senat mit seinen Behörden und öffentlichen Stakeholdern geschlossen hat, wird um den Fußverkehr erweitert.
Konkret sollen die Fußwege attraktiver werden durch Büsche, Bäume und Beete, bessere Beleuchtung, Blindenleitstreifen, den Abbau von Barrieren und eine klare Ausschilderung. Verkehrssenator Tjarks kann sich auch vorstellen, dass Radfahrer ähnlich wie Autofahrer an manchen Stellen gegenüber Fußgängern zurückstecken müssen, etwa indem ein Zebrastreifen auf einer Veloroute angelegt wird.
Bürgermeister Tschentscher erteilte dem Vorschlag, die Straßenbahn in Hamburg wieder einzuführen, erneut eine Absage. Das sei ein altmodisches Verkehrsmittel. „Keine Großstadt baut eine neue Straßenbahn ins Zentrum“, sagte er. Dafür brauche eine Straßenbahn zu viel Platz und erzeuge entsprechend Widerstand bei den Bürgern. Davon kann der vormalige schwarz-grüne Senat ein Lied singen, der die Straßenbahn von 2008 bis 2011 einzuführen versuchte.
Überall mit dem Auto hinkommen zu wollen, sei schlicht unrealistisch, sagte Tschentscher. Der Autoverkehr sei überhaupt nur möglich, wenn die Straßen entlastet würden. „Alle, die umsteigen, machen Straßenraum frei für andere“, sagte der Bürgermeister.
„Zu Fuß und mit dem Rad bewegen sich Verkehrsteilnehmende nicht nur klimaschonend, sondern auch besonders flächeneffizient und praktisch emissionsfrei“, betonte auch der Naturschutzbund Hamburg (Nabu). Insofern sei die Politik des Senats zu loben. Allerdings bleibe der Senat beim dritten entscheidenden Pfeiler – der Umverteilung von Raum – weit hinter seinen Möglichkeiten zurück. „Den Umweltverbund zu stärken, nur um freiere Straßen für den Individualverkehr zu haben, sollte nicht Ziel sein“, kommentierte der Nabu-Landesvorsitzende Malte Siegert.
CDU erkennt Zweiklassengesellschaft
Dagegen sprach Richard Seelmaecker von der CDU-Bürgerschaftsfraktion von einer Zweiklassengesellschaft in Hamburgs Verkehrspolitik. „Die Interessen der auf das Auto angewiesenen Hamburger werden erneut völlig ignoriert und fallen dem Fahrradpopulismus des Verkehrssenators erneut zum Opfer“, kritisierte der Abgeordnete.
Tatsächlich hat der Senat bereits jetzt vielerorts Radwege auf die Straße verlegt – und so nebenbei mehr Platz für Fußgänger geschaffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um Neuwahlen
Inhaltsleeres Termingerangel
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Überwachtes Einkaufen in Hamburg
Abgescannt
Lehren aus den US-Wahlen
Wo bleibt das linke Gerechtigkeitsversprechen?
Obergrenze für Imbissbuden in Heilbronn
Kein Döner ist illegal
Folgen des Koalitionsbruchs
Demokraten sind nicht doof – hoffentlich