piwik no script img

Mietenwahnsinn in BerlinHaus für Obdachlose wird abgerissen

Das bekannte Haus in der Habersaathstraße darf einem Neubau weichen. Es gibt scharfe Kritik an der Einigung zwischen Bezirk und Eigentümer.

Transparente am im Winter besetzten Haus in der Habersaathstraße 40-48 in Berlin-Mitte Foto: Stefanie Loos

Berlin taz | Nach jahrelangem Rechtsstreit will das Bezirksamt Mitte den Abriss der Wohnhäuser Habersaatstraße 46 und 48 unter Auflagen genehmigen. Dies geht aus einem von Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) unterzeichneten Brief an die Mie­te­r*in­nen hervor, der der taz in Auszügen vorliegt.

Die Initiative „Leerstand hab ich Saath“ kritisierte die Einigung des Bezirks mit dem Eigentümer Arcadia Estate GmbH am Montag als „skandalöses Vorgehen des Bezirks: Trotz jahrelanger illegaler Zweckentfremdung wird ein Abriss genehmigt und somit die Zweckentfremdungsverbotsverordnung missachtet“. Ähnlich äußerte sich Niklas Schenker, Sprecher für Mieten und Wohnen der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, auf taz-Anfrage: „Die bestehende Miet­obergrenze aus dem Zweckentfremdungsverbot wird vom Bezirk ausgehebelt und damit ein gefährlicher Präzedenzfall für Berlin geschaffen.“

Laut von Dassels Brief will der Bezirk den Abriss unter folgenden Bedingungen genehmigen: Die verbliebenen Alt­mie­te­r*in­nen sollen Umsetzwohnungen bekommen und zehn Jahre lang zu ihrer alten Miete wohnen können, alternativ können sie 1.000 Euro Abfindung pro Quadratmeter erhalten. Der Eigentümer verpflichtet sich, 30 Prozent der neu gebauten Wohnungen zu „günstigen“ 6,50 bis 8,50 Euro kalt pro Quadratmeter zur Verfügung zu stellen; der Bezirk hat ein „Vorschlagsrecht“ für diese Mieter*innen.

Seit Jahren will der Eigentümer die Häuser abreißen und neu bauen lassen. Ein Großteil der 120 Wohnungen steht leer, bis auf neun Alt­mie­te­r*in­nen haben mit der Zeit alle aufgegeben. Nach mehreren gescheiterten Versuchen, die Wohnungen für Obdachlose zu besetzen, konnten einige zum Jahreswechsel tatsächlich in Wohnungen einziehen – „übergangsweise“ bis zu einer Einigung mit dem Eigentümer hatte der Bezirk dem zugestimmt. Was mit diesen 50 Menschen geschehen soll, steht nicht in der Einigung.

Eigentümer klagt gegen den Bezirk

Laut Berliner Zweckentfremdungsverbotsverordnung dürfen Hauseigentümer nur abreißen, wenn sie Ersatzwohnungen in gleicher Zahl für maximal 7,92 Euro Kaltmieter pro Quadratmeter schaffen. Dies will der Besitzer aber nicht. Darum hat der Bezirk bislang die Genehmigung zum Abriss verweigert, wogegen der Besitzer schon länger juristisch vorgeht.

Dass der Bezirk mit der außergerichtlichen Einigung nun den Anspruch auf 100 Prozent Ersatzwohnungen im „günstigen“ Preissegment aufgibt, hält Linken-Politiker Schenker für falsch. „Das ist ein fatales Signal für die Stadtgesellschaft. Der Bezirk hätte das durchfechten sollen“, findet er. Wenn nur 30 Prozent der Wohnungen im geregelten Preissegment sind, der Rest also frei vermietet werden kann, „wird damit faktisch bezahlbarer Wohnraum vernichtet“. So werde mit der Einigung auch die Strategie des jahrelangen Leerstands belohnt.

Das Abreißen und Neubauen erfreut sich bei Hausbesitzern aufgrund der hohen Neuvermietungspreise zunehmender Beliebtheit. Von 2018 bis 2021 wurden 1.724 Anträge auf Wohnungsabrisse gestellt, heißt es in der Antwort auf eine Anfrage von Schenker vom Januar, 60 Prozent wurden von den Bezirken genehmigt. Allerdings entstehen nur selten die geforderten Ersatzwohnungen zum gleichen Preis.

Die müssten die Bezirke einfordern. Allerdings gibt es hier offenbar eine gewisse Zurückhaltung, nachdem das Verwaltungsgericht 2019 die Vorgabe, Ersatzwohnungen dürften nur 7,92 Euro pro Quadratmeter kosten, gekippt hat. Eine obergerichtliche Entscheidung dazu steht noch aus.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Das ist wieder mal der absolut falsche Ansatz um den Mietwahnsinn zu minimieren.



    Wie wäre es mit Gesetzesänderungen?



    Der Eigentümer darf abreißen, aber nur mit der Auflage 70% des Neubestands zu sozial verträglichen Bedingungen zu bauen (und das für immer und nicht nur für die nächsten 10 Jahre) und mit den restlichen 30% kann er machen was er will.



    Diamant Verglasung, Vergoldete Badezimmer, etc. und die dann so teuer vermieten wie er möchte.



    Die meisten wollen sich durch ihre finanziellen Mitteln nicht von anderen abheben oder wären dazu garnicht in der Lage. Den meisten geht es darum ein bezahlbares Dach über dem Kopf zu haben um etwas sorgenfreier ihre Existenz sichern zu können.



    2. Gesetzesänderung: der Staat/ die Stadt muss ein Vorkaufsrecht erhalten zu günstigeren Preisen, da die Steuern auch von dem Volk bezahlt werden die Politikern ihre Entscheidungsgewalt ermöglichen und es für diese normalen Steuerzahler bald keine Möglichkeit mehr gibt überhaupt noch Wohnraum zu finden.



    Dann können sie in Zukunft neben dem Leerstand zelten.



    3. Wenn Investoren damit drohen, nach diesen Entscheidungen wo anders zu investieren, dann sollen sie das machen. In DEU müssen dann nur alle Verantwortlichen an einem Strang ziehen (was dann höchst wahrscheinlich andere Probleme hervorruft, aber alles step by step)

    • @Traumtänzer:

      Sie haben Ihren Profilnamen mit Bedacht gewählt. Gratulation

  • Der Artikel ist nicht besonders gründlich recherchiert.

    Der Leerstand war rechtsgültig und nicht rechtswidrig.

    Die Anwendung des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes hingegen scheitert hingegen regelmäßig vor Gericht.

    Da stellt sich die Frage, was denn rechtswidrig ist und was nicht...

  • Die Berliner Zweckentfremdungsverordnung ist hinsichtlich der Miethöhe für Ersatzwohnraum rechtswidrig. Es gibt ein Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin dazu, das auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verweist.



    Das wurde auch schon in der TAZ berichtet.

    Die Verweigerung der Abrissgenehmigung ist durch das BA Mitte ist vor diesem Hintergrund sehr fragwürdig.

    Jedenfalls aber kann es keine Zweckentfremdung sein, wenn der Leerstand darauf beruht, dass eine Abrissgenehmigung rechtswidrig verweigert wird.

  • Das Problem beim Zweckentfremdungsverbotsgesetz ist halt, dass es ohne Unterscheidung angewendet werden soll. Für Villen genauso wie für Mietskasernen. Daran scheiterten bereits die Eur 7.92 und daran werden auch alle anderen Verfahren scheitern. Solange der Senat nicht im der Lage ist gescheite Gesetze zu erlassen, solange gehen die Verfahren vor Gericht hält auch verloren.

    Im Übrigen war der Leerstand im betreffenden Objekt nie rechtswidrig.