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Lage in MariupolGemetzel mit Ansage

Kommentar von Barbara Oertel

In der ukrainischen Stadt Mariupol nimmt eine Tragödie unaufhaltsam ihren Lauf. Die Welt sieht zu – wohl nicht zum ­letzten Mal.

Rauch über dem Stahlwerk Asowstal in Mariupol am 19. April. Aufnahme aus einem Drohnenvideo Foto: Mariupol City Council/reuters

Hilfe, holt uns hier raus!“ Dieser flehentliche Aufruf eines ukrai­ni­schen Marinekommandeurs auf Facebook an die internationale Öffentlichkeit umschreibt das Grauen, das sich seit Wochen in Mariupol abspielt.

Die unerbittliche Schlacht, die die Hafenstadt in eine Ruinenlandschaft verwandelt und Zehntausende Menschen das Leben gekostet hat, geht in ihre finale Phase. Es ist wohl nur noch eine Frage von Tagen, wenn nicht gar Stunden, bis russische Truppen mit dem Stahlwerk Asowstal die letzte Bastion erobert haben werden. Oder um im Moskauer Sprachduktus zu bleiben: Die Maulwürfe ausräuchern und dann aus ihren Löchern treiben.

Die „Maulwürfe“, das sind auch rund 1.000 Frauen, Kinder und alte Menschen, die in der Fabrik unter unmenschlichen Bedingungen ausharren. Die Öffnung von humanitären Korridoren wäre die einzige Möglichkeit, um wenigstens diese Leben zu retten.

Doch ebendiese „humanitären Korridore“ sind es, die ihren Namen nicht verdienen – in einem russischen Vernichtungskrieg, in dem jedes auch noch so kleine Fünkchen Menschlichkeit schon längst abhanden gekommen ist. Die Anzahl der Versuche, Einwoh­ne­r*in­nen aus Mariupol zu evakuieren, sind kaum noch zu zählen. Dafür wurden Zi­vi­lis­t*in­nen immer wieder Ziel von russischen Angriffen.

Wer garantiert ihnen, dass das jetzt anders sein sollte? Im „besten“ Fall werden die Menschen in den besetzten Donbass oder gleich ganz nach Russland zwangsdeportiert. Ebenso realistisch ist allerdings auch, dass sie gleich an Ort und Stelle niedergemetzelt werden.

Und die Soldaten – warum sollten die sich ergeben? Sie alle haben ohnehin ihren sicheren Tod vor Augen. So zynisch es klingt: Sie werden den Kampf in die Länge ziehen und mit dieser Verzweiflungstat, die russische Truppen in Mariupol aufhält, versuchen, den Kampf ihrer Kameraden an anderen Abschnitten der Front zu unterstützen. Derweil nimmt diese absehbare Tragödie unaufhaltsam ihren Lauf. Die Welt sieht zu – und das wohl nicht zum ­letzten Mal.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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14 Kommentare

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  • Wie aktuell zu lesen ist, soll die Einnahme oder Erstürmung des Stalwerks von russischer Seite nicht durchgeführt werden. Heißt soviel wie, das die sich dort befindlichen Menschen ohne Versorgung, isoliert dem schleichenden Tode überlassen werden.

    Damit ginge Mariupol wohl als Stalingrad des 21 Jhds. in die Geschichtsbücher ein.

    Es bleibt zu hoffen, das Weltkonzerne der Konsumgüterindustrie, allen voran Nestlé, P&G, Unliver, Henkel uva., in Reflektion zu Mariupol, endlich aufhörten Güter des täglichen Bedarfs sowie medizinische Güter in Russland produzierten und verkauften. Die Ausrede der Konzerne, der russischen Bevölkerung die Grundversorgung sicherstellen zu wollen, zieht einfach nicht mehr.

    Die russische Bevölkerung hat die Regierung sowie den Präsidenten legitim gewählt und steht folglich hinter diesem Krieg und seinen unsäglichen Begleitumständen. Da braucht es keine Empathie für Babynahrung, Tampons, Spülmittel, Medikamente u.a.

    Es bleibt nur, das Beste für die verbliebenden Menschen im Stahlwerk von Mariupol und der Stadt selbst zu hoffen. Das gilt natürlich auch für alle weiteren betroffenen Orte in der Region.

    • @Gorch:

      In Stalingrad gab es Überlebende. Was mit den Verteidigern von Mariupol passiert hat Russland und der Tschetschenen- Fürst klargemacht. Mariupol taugt nicht als Stalingrad- Metapher, eher dann schon Warschau oder Grosny.

      • @Pepi:

        Strategisch ist die Schlacht mit den Termopylen oder Alamo zu vergleichen, sie hat die russische Invasion massiv aus-gebremst, große Verluste hinzugefügt und die Moral der Angreifer geschädigt und gleichzeitig inspirierte es die Verteidiger im Rest des Landes.

  • Solange sie weiter kämpfen sterben russische Soldaten und sind russische Verbände gebunden. Es geht nicht darum zu gewinnen, diese Schlacht wird in der Geschichte in einer Reihe stehen mit den Thermopylen oder Warschau '44. Maropol ist eine Festung gegen den russischen Faschismus.

    • @Machiavelli:

      Verteidigt von der faschistischen Asow-Brigade.