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Lukaschenko und der Ukraine-KriegUngebetene Ratschläge aus Minsk

Kommentar von Barbara Oertel

Selenski solle Moskaus Bedingungen für einen Frieden annehmen, rät der belarussische Autokrat Lukaschenko. Er selbst hat sich schon unterworfen.

Kennt sich mit Kapitulation aus: Alexander Lukaschenko mit Wadimir Putin kürzlich im Kreml Foto: Mikhail Klimentyev/ap

R usslands Präsident Wladimir Putin mag der Wirklichkeit mittlerweile komplett entrückt sein, wer weiß? Auf seinen Lakaien Alexander Lukaschenko jedoch trifft diese Diagnose ganz gewiss zu. Der selbst ernannte belarussische Staatschef erklärt gerne die Welt – zuletzt gegenüber einem japanischen Fernsehsender.

Seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodimir Selenski, der im Gegensatz zu ihm demokratisch gewählt ist, empfahl er, Russlands Bedingungen für einen Friedensschluss zu akzeptieren. Sonst sei die Kapitulation nur noch eine Frage der Zeit. Belarus werde sich vom Westen nicht in diesen Konflikt hineinziehen lassen, er schließe aber eine Beteiligung belarussischer Soldaten an den Kampfhandlungen im Falle einer Eskalation nicht aus.

Nun ja, Lukaschenko kennt sich eben mit Kapitulationen aus. Vor Putin hat er schon längst die Waffen gestreckt. Moskaus freundliche Übernahme auf der Grundlage des wieder zum Leben erweckten Unionsvertrages von 1999 ist in vollem Gange und dürfte demnächst abgeschlossen sein.

Dass Lukaschenko eine Niederlage nebst unrühmlichem Abgang zu Hause bislang abwenden konnte, ist um den Preis heftigster Repressionen gegen die eigene Bevölkerung erkauft. Der UN-Menschenrechtsrat spricht in seinem jüngsten Bericht von über 13.000 Menschen, die wegen der Proteste gegen die gefälschte Präsidentenwahl von 2020 festgenommen wurden – Folter, Vergewaltigungen und Schauprozesse inklusive. Wen wundert es da noch, dass die Be­la­rus­s*in­nen nicht mehr auf die Straße gehen?

Doch ob diese Friedhofsruhe noch lange währt, ist fraglich. Es ist hinreichend belegt, dass belarussische Truppen bereits in der Ukraine unterwegs sind. Auch der Umstand, dass täglich verwundete und tote russische Soldaten in Belarus eintreffen, lässt sich nicht länger geheim halten und verfehlt seine abschreckende Wirkung nicht.

Angesichts der dünnen Personaldecke bei den russischen Truppen könnte die belarussische Armee aus dem Kreml schon bald ein „offizieller“ Einberufungsbefehl ereilen, sollte die „Spezialoperation“ in der Ukraine noch länger dauern. Das wäre dann, nach 2020, die zweite Kriegserklärung an die belarussische Bevölkerung. Und diesmal vielleicht tatsächlich der Anfang vom Ende Lukaschenkos.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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4 Kommentare

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  • "Es ist zum Heulen", ein eigentlich nicht ermunternder Lamento-Satz, wenn was richtig daneben ging. Vielleicht aber muss man am Ende sprichwörtlich "mit den Wölfen heulen", um in dem Russland-Ukraine-Konflikt wieder einen "Fuß in die Tür" zu bekommen und den Aggressor erden zu können. Sich mit den russlandkritischen oder indifferenten erklärten Autokraten und Antidemokraten vorübergehend gemein machen, um als Ultima Ratio den Atomkrieg als finale Apokalypse zu verhindern, das scheint diplomatisch geboten. Die zumindest partiell pazifistisch intendierten Primate deutscher Realpolitik sind auch das Erbe eines diktatorischen Nazi-Regimes. Dieser verantwortungsvoll demokratischen und auf Kooperation setzenden Ausrichtung für den Frieden fühlt sich auch die Enkelgeneration der Mittäter:innen und Mitläufer:innen noch zu Recht mehrheitlich stark verpflichtet. Den Nachgeborenen hierzulande erscheint Propaganda und Krieg wohl hoffentlich absurd abscheulich, sie haben oft transnationale Verbindungen und Freundschaften geknüpft, wurden und sind vom Blockdenken und kruden Ideologien befreit. Weil in der Ukraine die Sirenen permanent heulen, ist wirklich vieles "wieder zum Heulen".



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    taz.de/Krise-im-Kosovo/!5280609/



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    taz.de/Lemberg-als-Fluchtort/!5840667/



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    taz.de/Leben-in-Kiew/!5838923/



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    • @Martin Rees:

      In der Ukraine gab es keinen "Konflikt" weder ethnisch noch sprachlich bis der Primat aus dem Kreml den 2014 erschaffen hat. Daran hat sich prinzipiell nichts geändert. Kooperation, Dialog, Demokratische Werte etc kann es nur mit Leuten geben die sich diesen prinzipiell verpflichtet fühlen und sie nicht ausnutzen, korrumpieren, pervertieren wollen. Unsere Langmütigkeit und ja, auch die Korrumpierbarkeit einiger unsere Leute, die immer nur das Geschäft sehen wollten haben dieses Desaster angerichtet. Jetzt so weiterzumachen wie bisher ist keine Option - erst einmal muss Putin seine Armee abziehen u den Schaden bezahlen, ansonsten kann es keine Rückkehr zum Status quo ante geben. Es darf auch nicht akzeptiert werden, dass sich der Kreml den Raub der Krim, der Oblasten Lugansk, Donetzk und vielleicht noch weiterer im Rahmen eines "Friedensvertrages" v der Ukraine überschreiben lässt und damit "legalisiert" Diese Gebietsaneignungen sind durch einen illegalen Angriffskrieg zustandegekommen und dürfen deshalb unter keinen Umständen anerkannt werden, selbst dann nicht wenn die Ukraine dies unter Zwang in Bälde formal tun sollte. Erst nach Rückgabe sämtlicher Territorien inkl der Krim und Beendung der Gewalt sollte es eine vollständige Aufhebung der Sanktionen geben. Bis dahin sollte Putin persona non grata sein. Kein Präsident und Außenminster sollte ihn besuchen oder empfangen u seine Person aufwerten. Emissäre sind genug.

      • @ingrid werner:

        Und wie sieht der mögliche Kompromiss aus? Wie schwer eine Appeasement-Politik zu ertragen ist, wissen viele Betroffene weltweit. Ich kann mich nicht an die Kuba-Krise erinnern, aber Fachleute schätzen die Brisanz jetzt höher ein. 1983 standen wir kurz vor dem "Day After". 26.9.1983, ein (!)russischer Offizier schrieb Geschichte. Auf Glück würde ich hier und heute nicht hoffen wollen.

        • @Martin Rees:

          nicht Bange machen lassen. Dass Putin tatsächlich so irre sein sollte, auf den roten Knopf zu drücken weil er seine Kriegsziele nicht erreicht – ohne dass es eine unmittelbare Bedrohung gibt, glaube ich nicht. Das ist absolut abwegig. Selbst die Einrichtung einer Flugverbotszone und sogar das Einrücken von westlichen Bodentruppen wäre sehr kritisch, aber mit enger Rückkopplung mit dem Kreml – sieh her, wir greifen kein russisches Gebiet an, halte ich für gar nicht so abwegig. Mir kommt da nur Erdogan in den Sinn, der am Anfang des Syrienkrieges auch einen russischen Kampfjet hat abschießen lassen – schön wie Putin darüber geschäumt hat, er hat dann auch Sanktionen auf türk. Landwirtschaftsprodukte verhangen, davon ist er aber schnell wieder abgerückt, da er zuvor schon Sanktionen auf EU- Agrarprodukte verhangen hatte und auch Russland ein paar davon aus dem Ausland braucht. Dann hat Erdogan auch sogar Truppen reingeschickt, obwohl schon russische Truppen drinstanden. Wie sich jetzt gezeigt hat, ist die russische Armee doch nicht so gut auf größere Operation vorbereitet, trotz aller Manöver und Aufrüstung. Mit unserer Bundeswehr könnte man sich den Russen natürlich nicht entgegenstellen, aber andere Armeen wenn sie gut koordiniert zusammen vorgehen, könnten mglw wirksam gegen die russ. Armee vorgehen, dazu muss gar nicht mal so viel auf die geschossen werden, man kann sie aber mglw von Geländegewinnen abhalten oder sogar zurückgedrängen einfach indem man Gelände "zustellt", strategische Punkte besetzt bevor die Russen da sind - mal sehen ob er sich dann trauen würde amerikanische Truppen anzugreifen. Und wie gesagt, so lange man Putin bedeutet, wir werden die russische Grenze nicht überschreiten, ist es abwegig dass er einen Atomkrieg initiiert. Man muss mehr Mut haben, davor hat Putin Respekt, da tritt auch er ein oder zwei Schritte zurück und lässt mit sich handeln. Da schäumt er mal, aber dann gibt er auch wieder Ruhe. Siehe Erdogan.