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Lehrer-Verein für mehr UmweltbildungLernen, die Welt zu verändern

Die „Teachers for Future“ wollen Schü­le­r:in­nen dabei unterstützen, die Probleme unserer Zeit zu lösen. Schulen müssten sich dafür radikal wandeln.

Schü­le­r:in­nen bei einer Fridays-For-Future-Demo in Brüssel 2021 Foto: Alexey Vitvitsky/SNA/imago

Leipzig taz | Während des Films hatte ich immer wieder Tränen in den Augen“, sagt Lara. Die Schülerin – blaues Sweatshirt, schwarze Schlaghose, Zopf – sitzt auf einem Tisch vor der Aula des Anton-Philipp-Reclam-Gymnasiums in Leipzig, neben ihr stehen mehrere Klassenkamerad:innen. Die Tränen, sagt Lara, seien keine Tränen der Trauer gewesen, sondern Tränen der Empörung, der Wut. „Was bitte läuft in unserer Welt alles falsch?“, fragt die Schülerin aufgebracht.

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Lara ist 17 Jahre alt und geht in die elfte Klasse. Zusammen mit knapp 100 Mit­schü­le­r:in­nen hat sie gerade den Dokumentarfilm „Dear Future Children“ von Franz Böhm gesehen. Darin geht es um drei junge Aktivistinnen aus Uganda, Chile und Hongkong, die für eine bessere Zukunft kämpfen – und sich dabei großen Gefahren aussetzen.

Der Film begleitet die Ak­ti­vis­tin­nen von 2019 bis 2020. Pepper, die in Wahrheit anders heißt, geht in Hongkong gegen die Peking-nahe Politik der Regierungschefin Carrie Lam auf die Straße und riskiert dabei jedes Mal, von der Polizei zusammengeschlagen und für Jahre ins Gefängnis gesperrt zu werden.

Rayen aus Santiago protestiert gegen die extreme soziale Ungleichheit in Chile. Bei den Demos steht sie an vorderster Front, mit Gasmaske und Schutzbrille. Denn die Polizei geht mit Tränengas, Gummigeschossen und Wasserwerfern gegen die De­mons­tran­t:in­nen vor. Hunderte Menschen, so erzählt es Rayen in der Doku, haben bei den Protesten ein Auge verloren, weil die Po­li­zis­t:in­nen ihnen ins Gesicht geschossen haben.

Drei junge Aktivistinnen als Vorbilder

Lara, die Schülerin aus Leipzig, kann sich besonders mit Hilda identifizieren, der dritten Aktivistin. Hilda lebt in Uganda und kämpft dort gegen die Plastikverschmutzung und die fatalen Folgen der Klima­krise. Extreme Dürre und Überschwemmungen haben breite Landstriche Ugandas unbewohnbar gemacht – auch Hildas Heimatdorf, das sie deswegen mit elf Jahren verlassen musste.

„Hilda hat einen ganz prägnanten Satz gesagt, der sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt hat“, sagt Lara. „Warum lernen oder stu­dieren, wenn die Zukunft ungewiss ist?“ Dann fragt Lara mit ernster Miene: „Warum gehe ich zur Schule, wenn ich nicht weiß, wie die Welt in 20 Jahren aussieht?“

Der Verein Teachers for Future hat sich zur Aufgabe gemacht, Schü­le­r:in­nen genau das beizubringen: die Zukunft mitzugestalten. „Wenn wir uns all die Missstände und Ungerechtigkeiten auf der Welt anschauen, dann brauchen wir Schulen, wo Schü­le­r:in­nen lernen, sich gesellschaftlich einzumischen und die Welt zu verändern“, sagt die Vorsitzende Nora Oehmichen. Doch wie genau sieht eine solche Schule aus? Und wie bringt man Schü­le­r:in­nen bei, die Welt zu verändern?

Wenn wir uns all die Missstände und Ungerechtigkeiten auf der Welt anschauen, dann brauchen wir Schulen, wo Schü­le­r:in­nen lernen, sich gesellschaftlich einzumischen und die Welt zu verändern

Nora Oehmichen, „Teachers for Future“

Oehmichen, 49, ist Lehrerin für Französisch, Geschichte und Ethik an einem Gymnasium bei Stuttgart. Im Juni 2021 hat sie den Verein Teachers for Future mit gegründet. Die Gruppe von knapp 30 Leh­re­r:in­nen will „Bildung für nachhaltige Entwicklung“, kurz BNE, stärker an Schulen etablieren. BNE ist ein Lernkonzept, das Schü­le­r:in­nen dazu befähigen soll, die großen Probleme unserer Zeit – Klimakrise, Naturzerstörung, Artensterben, soziale Ungerechtigkeit – zu erkennen und sich dagegen einzusetzen.

„Es geht nicht darum, die Schü­le­r:in­nen zu motivieren, ihren CO2-Fußabdruck zu verringern und auf Fleisch oder Flugreisen zu verzichten“, erklärt Oehmichen. Sie sollen lernen, wie sie etwas auf struktureller Ebene bewirken können – zum Beispiel, indem sie Petitionen starten, mit dem Bürgermeister sprechen oder Demos anmelden. „Eine Schule, die Schü­le­r:in­nen wirklich etwas ‚fürs Leben‘ beibringen möchte, muss genau diese Kompetenzen vermitteln“, sagt die Lehrerin.

Dazu müsse Unterricht „komplett neu gedacht“ werden. Schü­le­r:in­nen bräuchten viel mehr Freiräume, in denen sie sich mit Themen beschäftigen können, die sie für wichtig erachten, sagt Oehmichen, etwa mit Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, psychischer Gesundheit oder eben der Klimakrise.

Keine Noten, keine Fächer am „Freiday“

Solche Freiräume könnten Schulen zum Beispiel schaffen, indem sie einen sogenannten „Freiday“ einführten. Der funktioniert so: „Einmal pro Woche werden vier aufeinanderfolgende Schulstunden von Fächern und Noten freigeräumt, in dieser Zeit können sich die Schü­le­r:in­nen dann den Themen ihrer Wahl widmen.“

Grundsätzlich, sagt Oehmichen, müsse man sich von der Vorstellung festgelegter Lehrpläne lösen. Schü­le­r:in­nen sollten selber mitbestimmen, was sie lernen. Bei BNE gehe es neben Unterrichtsinhalten aber auch und vor allem um Lehrmethoden. Die wichtigste Methode ist laut Oehmichen Projekt­arbeit, da Schü­le­r:in­nen dabei Selbstwirksamkeit und Partizipation erlebten. Darüber hinaus solle Unterricht nicht nur im Klassenzimmer oder Schulgebäude stattfinden, sondern auch an „außerschulen Lernorten“.

Um BNE stärker ins Blickfeld der Schulen zu rücken, hat Oehmichen, die gerade ein Sabbatjahr macht, das Projekt „17/17 – Auf dem Weg zur Schule der Zukunft“ gestartet: Pro Bundesland besucht sie eine Schule und thematisiert dort jeweils eines der 17 Sustainable Development Goals (SDGs), der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. In Sachsen war Oehmichen beispielsweise an Laras Gymnasium und hat die Doku „Dear Future Children“ gezeigt. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand das UN-Ziel Nummer 16: Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen.

Die SDGs wurden 2015 von allen UN-Mitgliedstaaten verabschiedet und sollen bis 2030 erreicht werden – von den Industrieländern ebenso wie von den Entwicklungsstaaten. Übergeordnetes Ziel ist es, den Klimawandel aufzuhalten sowie Armut, Hunger und Ungerechtigkeiten zu verringern.

Die Institution Schule müsste sich radikal verändern

Oehmichen vertritt die Ansicht, dass die Mitgliedstaaten die SDGs nur dann erreichen können, wenn sich die Schulen radikal ändern und BNE die Basis des Lernens wird. „Es kann nicht sein, dass sich die Gesellschaft wandelt, die Schulen aber bleiben, wie sie sind“, sagt die Lehrerin.

Schaut man sich die Bildungspläne der Länder an, dann sieht man, dass im Bereich BNE in den vergangenen Jahren bereits einiges passiert ist. Nicht nur die Teachers for Future, auch die Kultusministerien wollen Demokratie- und Klimabildung an Schulen stärken – und machen das zu großen Teilen auch schon.

In Berlin zum Beispiel können Schulen Klimavereinbarungen mit dem Senat vereinbaren oder an einer jährlichen Klimakonferenz teilnehmen, wo Wis­sen­schaft­le­r:in­nen Workshops geben und gemeinsam mit Schü­le­r:in­nen Projekte planen. Niedersachsen hat seine Schulen im Sommer 2021 per Erlass dazu verpflichtet, BNE systemisch in Unterricht und Schulkultur zu verankern – und das Modellprojekt „Zukunftsschulen“ gestartet. Dabei werden 65 Schulen fünf Jahre lang bei einem selbst erarbeiteten „Innovationsvorhaben“ mit dem Schwerpunkt BNE begleitet und wissenschaftlich unterstützt.

Auch in anderen Bundesländern ist BNE schon fest im Bildungsplan verankert, etwa in Baden-Württemberg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen, wo die 17-jährige Lara zur Schule geht. Dort wurden die Lehrpläne zum Schuljahr 2019/2020 im Hinblick auf BNE und politische Bildung stark überarbeitet. Sowohl BNE als auch politische Bildung seien inzwischen „gelebte Bestandteile des Schulalltags“, teilt das sächsische Kultusministerium der taz mit. Auch andere Länder haben in den vergangenen Jahren die politische Bildung gestärkt – unter anderem, um die Bereitschaft zu erhöhen, sich für die Demokratie zu engagieren.

Nicht alle Lehrkräfte unterstützen die neuen Ideen

Fragt man jedoch Maria Kasparek, Laras Ethiklehrerin, wie gut BNE am Reclam-Gymnasium in Leipzig realisiert wird, hört sich das anders an: „BNE ist zwar in vielen Fächern immer mal partiell enthalten, aber da ist noch Luft nach oben.“ Kasparek würde sich wünschen, dass häufiger fachübergreifend unterrichtet und mehr Raum für „große Projekte“ geschaffen werde.

Derzeit diskutieren sie und ihre Kol­le­g:in­nen darüber, den „Freiday“ für die Klassenstufe fünf einzuführen. Schulleiterin Petra Seipel befürwortet die Idee. Wie hoch die Chancen für dessen Einführung stehen, könne sie aber noch nicht sagen. Viele Kol­le­g:in­nen sähen den Freiday kritisch, weil die Schulstunden einen „ganz anderen Ansatz“ hätten als der „traditio­nelle Unterricht“.

Nora Oehmichen von Teachers for Future kritisiert, dass BNE – obwohl es in einigen Bundesländern im Lehrplan verankert ist – oftmals nicht oder nicht ausreichend umgesetzt werde: „BNE wird nur an den Schulen realisiert, an denen engagierte Leh­re­r:in­nen unterrichten.“ Sie schätzt, dass mehr als die Hälfte aller Leh­re­r:in­nen und Schulleitungen in Deutschland noch nie etwas vom Lernkonzept BNE gehört hätten. Daher fordert die Pädagogin die Kultusministerien dazu auf, verpflichtende BNE-Fortbildungen für alle Leh­re­r:in­nen einzuführen und BNE im Lehramtstudium zu thematisieren.

„Wir gehen in unserer Freizeit sowieso auf Demos“

Lara und ihre Mit­schü­le­r:in­nen wünschen sich, im Unterricht mehr über „Ungerechtigkeiten unserer Zeit“ zu lernen und darüber, was sie als Schü­le­r:in­nen dagegen tun können. Probleme wie die Klimakrise oder soziale Ungleichheit sollten aber nicht erst in den höheren Klassen thematisiert werden, sondern schon ab der ersten Klasse. „Wir beschäftigen uns in unserer Freizeit sowieso mit diesen Themen und gehen auf Demos, jüngere Schü­le­r:in­nen tun das nicht“, sagt eine Klassenkameradin von Lara.

Die Doku „Dear Future Children“ habe sie dazu motiviert, von nun an „noch öfter“ demonstrieren zu gehen. Das seien sie den mutigen Ak­ti­vis­t:in­nen aus der Doku schuldig. „Wir müssen schließlich keine Angst davor haben, dass uns die Polizei unsere Augen zerschießt.“

Gelegenheit, ihre Vorsätze umzusetzen, hat sie schon diese Woche. Für Freitag haben die Fridays for Future wieder zu einem weltweiten Klimastreik aufgerufen. Lara und ihre Mit­schü­le­r:in­nen haben bereits entschieden, hinzugehen.

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6 Kommentare

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  • 9G
    93851 (Profil gelöscht)

    "Oehmichen, die gerade ein Sabbatjahr macht" kann auch gerne noch 4 oder 5 davon machen, mit welchem Recht eigentlich?



    Purer Luxus also, Schüler:innen beizubringen, wie man Demos anmeldet, Petitionen startet etc., was letztlich nicht viel ändert und nicht wenig im "digitalen Nirwana" versandet...



    Sehr ermunternd, wirklich.

  • "Sie sollen lernen, wie sie etwas auf struktureller Ebene bewirken können – zum Beispiel, indem sie Petitionen starten, mit dem Bürgermeister sprechen oder Demos anmelden."



    Vor allem würde es helfen, Schüler*innen keine Illusionen zu machen, dass Petitionen, Bürgermeister*innen ansprechen etc. viel in der noch verbleibenden Zeit ändern würden. Da würden eher Sitzblockaden vor Schlachthäusern, Raffinerien, Autofabriken etc. etwas helfen. Hier liegt womöglich auch ein Knackpunkt. Angepasste Lehrer*innen werden den Schüler*innen kaum etwas in die Richtung weitervermitteln können. Die Schule ist womöglich auch ein Hindernis, da es eine staatliche Institution ist, die im System eingebunden ist. Schüler*innen sollten sich nicht von den Erwachsenen einlullen und in falscher Sicherheit wiegen lassen. Aber ich schätze, viele der jungen Menschen haben das bereits verstanden ...

  • Um die Welt zu verändern wäre es sinnvoll wenn an deutschen Schulen endlich das Erlernen mindestens eines Programmiersprache Standard wäre. Habe in den letzten Jahren noch nie einen Schülerpraktikanten bei uns gesehen der irgendwelche brauchbaren Vorkenntnisse mitgebracht hätte. Man könnte fast auf den Gedanken kommen etwas weniger Schwerpunkt auf performatives Gedöns könnte nicht schaden.

    • @Šarru-kīnu:

      Und das Verändert die Welt wie genau?

      • @PartyChampignons:

        Sie scheinen nicht zu wissen wo in den letzten Jahrzehnten die großen Innovationen entstanden sind. Das ist kein Vorwurf denn Sie sind ja auch ein Produkt des deutschen Bildungssystems. Wir brauchen ganz schnell jede Menge technische Innovationen um zum Beispiel den Klimawandel zu bekämpfen. Diese Innovationen werden aber wahrscheinlich nicht von DemonstrantInnen kommen sondern eher aus dem Silicon Valley. Nur das wollte ich damit sagen.

        • @Šarru-kīnu:

          Um den Klimawandel zu bekämpfen brauchen wir keine Nerds die den ganzen Tag vor dem Computer hocken , wir brauchen wieder eine Verbindung zur Natur , die ist uns abhanden gekommen und da hilft auch keine Programmiersprache und da helfen auch noch so viele technische Innovationen nichts, wenn der Mensch den Wert der Natur nicht mehr zu schätzen weiß