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Proteste am Tagebau bei LützerathGegen Braunkohle als Gasersatz

Umweltverbände warnen vor der Illusion, russisches Gas gegen Kohle austauschen zu können. Nötig sei ein massiver Ausbau erneuerbarer Energieträger.

Die Bundesregierung hält am Kohleausstieg fest Foto: Fabian Steff/imago

Bochum taz | Umweltschutzverbände und Klimaschutzinitiativen halten nichts von Vorschlägen, Energielieferungen aus Russland durch eine verstärkte Braunkohleverstromung zu ersetzen. „Das ist eine vollkommene Geisterdebatte“, sagt Dirk Jansen, Geschäftsleiter des Umweltverbands BUND in Nordrhein-Westfalen. Von einer „Scheindebatte“ sprachen am Mittwoch auch Kli­ma­schüt­ze­r:in­nen bei einer Pressekonferenz im vom Braunkohle-Tagebau akut bedrohten Dorf Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier.

Anlass der Warnungen sind Empfehlungen der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, ausfallende Gaslieferungen aus Russland durch „disponible Leistung aus heimischer Kohle“ zu ersetzen. Da die Förderung von Steinkohle in Deutschland Ende 2018 ausgelaufen ist, kann es dabei nur um den verstärkten Einsatz von Braunkohle gehen.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte am Dienstag dagegen erklärt, die Bundesregierung halte am geplanten Kohleausstieg fest. „Wir werden allerdings alle Kohlekraftwerke, die vom Netz gehen, in der Reserve halten“, schränkte Habeck jedoch ein. Vorerst werden Kohleblöcke damit wohl nicht vollständig stillgelegt oder gar abgerissen.

Um­welt­schüt­ze­r:in­nen warnen, Kohlekraftwerke könnten Gas nicht ersetzen. „Gas wird vor allem zum Heizen und für Industrieprozesse genutzt“, sagt BUND-Geschäftsleiter Jansen. 15 Prozent des in Deutschland verbrauchten Gases gingen in hocheffiziente Kraftwerke, die neben Strom auch Heizwärme lieferten.

Kaum Wärme aus Kohle

Kohlekraftwerke etwa im Rheinischen Revier zwischen Köln und Aachen lieferten dagegen kaum Fernwärme. Denn die extrem klimaschädliche Braunkohle hat einen Wassergehalt von mehr als 50 Prozent. Ein Transport über längere Strecken lohnt nicht. Die Kraftwerke zur Verstromung stehen deshalb in unmittelbarer Nähe der Tagebaue und damit Dutzende Kilometer von Großstädten entfernt – ein nennenswertes Fernwärmenetz existiert nicht.

Sinnlos sei aber auch, verstärkt Steinkohle einsetzen zu wollen, warnt etwa Greenpeace: Aktuell bezieht Deutschland nicht nur 55 Prozent seines Gases, sondern auch 50 Prozent seiner Steinkohleimporte aus Russland.

Stattdessen müssten die erneuerbaren Energieträger massiv ausgebaut werden, sagt nicht nur BUND-Mann Jansen – und zusätzlich müsse Energie gespart werden. „Der Energieverbrauch muss drastisch sinken“, forderten an der Tagebau-Abbruchkante auch Klimaaktivist:innen. So sei etwa ein Tempolimit auf Autobahnen überfällig.

In Lützerath ist einer der riesigen Braunkohlebagger nur noch 119 Meter vom Dorf entfernt – obwohl die schwarz-gelbe Landesregierung 2021 eine Leitentscheidung verkündet hatte, die einen Mindestabstand von 400 Metern vorsieht. Zusammen mit dem Lützerather Landwirt Eckardt Heukamp, der vor dem nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgericht gegen seine drohende Enteignung klagt, forderten auch Spre­che­r:in­nen von Fridays for Future oder der Initiative Lützerath lebt die Landesregierung auf, die Bagger des Tagebaubetreibers RWE wenigstens bis zur für Ende März angekündigten Urteilsverkündung zu stoppen.

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16 Kommentare

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  • 1G
    14231 (Profil gelöscht)

    Allerdings geistern diese Verbände und Initiativen selbst etwas durch die Gegend. Sie tun so, als würden Windräder und Solarpaneele fertig in der Gegend herumliegen. Ehrlicher wäre es, konkret zu benennen, welche und wieviele Ressourcen für den Ausbau erneuerbarer Energien gebraucht werden, woher diese kommen und welche Kosten ökonomischer, ökologischer sowie sozialer Natur mit ihnen verbunden sind.

  • Zitat aus dem Artikel: "Kohlekraftwerke könnten Gas nicht ersetzen. „Gas wird vor allem zum Heizen und für Industrieprozesse genutzt“".



    Wenn ich mit Wärmepumpe heize, ersetze ich das Gas durch Elektrizität. Die Elektrizität muss schnell zur Verfügung gestellt werden. Wenn ich die bisherigen Heizkörper benutze, plus paar neue, brauche ich eine höhere Wassr-Temperatur als bei einer Fußbodenheizung. Verbraucht also etwas mehr, ist aber billiger und schneller in der Investition und man kann schneller auf die "Blutdiamanaten" / "Blut-Gas" verzichten.

  • Es gibt aber auch noch andere Proteste, welche den Lithiumabbau in Serbien für "unsere" ach so sauberen E-Autos betreffen. Die Menschen dort sind der richtigen Ansicht, dass sie nicht ihre Umwelt für unser "grünes Gewissen" opfern wollen. Und nun?

    • @resto:

      Hat nichts - wirklich nichts - mit dem Artikel zu tun. Danke und tschau.

      • @Fratercula:

        Ciao, FRATERCULA. Man kann nicht einfach das ausblenden, was einem nicht passt.

        • @resto:

          Stimme Ihnen zu für das..

  • "Stattdessen müssten die erneuerbaren Energieträger massiv ausgebaut werden,..."

    So wird es wohl sein. Dieses Projekt ist allerdings ein gigantisches, ein langfristiges und eines mit hohen Kollateralschäden. Konflikte um Bodenschätze, weitere Industrialisierung von Landschaften und Zerstörung von Naturräumen, sprich Verlust von Böden, Flächen und Fortschreiten des Biodiversitätsverlustes.

    "... zusätzlich müsse Energie gespart werden. >Der Energieverbrauch muss drastisch sinken“, forderten an der Tagebau-Abbruchkante auch Klimaaktivist:innen.< So sei etwa ein Tempolimit auf Autobahnen überfällig."

    Merkwürdig. Energieverbrauch senken? Ich hätte nicht gedacht, dieses Argument mal in den Medien zu lesen.



    Aber, wie soll das auch funktionieren? Tempolimit? Nicht mit der FDP, Ausbau alternativer Verkehrskonzepte? Nicht mit der FDP, Flugbenzin versteuern, PS-Porno und Luxus mit Steuern eingrenzen, nicht mit der FDP. Und so weiter.

    Fazit. Es bleibt wie es ist, nur schlimmer.

    • @Manzdi:

      Wärmepumpenheizung = mit der FDP. Mehr Windkraft = mit der FDP, usw. Die 0,1% Verbrauchsminderung durch Tempolimit auf überfüllten Autobahnen? In Stuttgart müssen sie 80 km weit fahren, bis sie eine Autobahn ohne Tempolimit finden.

  • Nötig ist momentan wohl eher beides. Solange nicht genug Strom aus erneuerbaren Quellen am Netz ist, werden die hier vorhandenen Energieträger wohl verstärkt gebraucht.

  • 4G
    49732 (Profil gelöscht)

    "Stattdessen müssten die erneuerbaren Energieträger massiv ausgebaut werden ..."

    In den nächsten paar Monaten?

    Es geht darum, das wir das Gas aus Russland abschalten und versuchen das Morden zu beenden! Bitte seit etwas flexibel, liebe Ökos!

  • „Das ist eine vollkommene Geisterdebatte“



    Absolut richtig. Man kann debattieren wie man will: Bleiben Lieferungen von Energieträgern aus (aus welchem Grund auch immer und von wem auch immer) werden sie eben, mindestens teilweise, durch das ersetzt, was verfügbar ist.



    „Gas wird vor allem zum Heizen ... genutzt“



    Man kann auch mit Strom aus Braunkohle heizen, Heizlüfter gibt es in jedem Baumarkt. Und ich meine, in letzter Zeit sogar noch irgendwo Braunkohlebriketts gesehen zu haben...

  • Im Frühjahr gesät, im Herbst geerntet. Achso, das war Weizen. Erneuerbare Energiequellen bzw. die dazu notwendigen Anlagen brauchen ein bisschen länger, bis sie das erste Mal Strom liefern.



    Die Forderungen sind redlich, aber man sollte dabei die Realität nicht aus den Augen verlieren.

  • Wie soll die schnelle Energiewende gelingen , wenn das Bürokratiemonster in Deutschland und unzählige BIs vieles ausbremsen ? Bis dahin wird man sich mit fossilen Brennstoffen behelfen müssen, wenn man dem Land nicht unermesslichen Schaden mit vielen Millionen Arbeitslosen zufügen möchte . Ein Tempolimit allein wird wohl kaum ausreichend sein ? Wir haben eine Corona-Pandemie im Land, Inflation , eine neue Flüchtlingskrise, Krieg an den Außengrenzen der EU -Traumtänzereien können wir uns im Moment nicht erlauben !

  • Tja da wäre noch die eine Sache die Kohlekraftwerke CO2-arm perfekt ersetzen kann, und ein Vielfaches mehr an CO2 einspart als ein Tempolimit, aber leider leider so gar nicht in die grüne Ideologie passt ... weshalb wir auch die nächsten 12 Monate ganz viel über erneuerbare Energien lesen und hören werden, während sie alle AKWs abschalten und mehr Braunkohle verbrennen als je zuvor.

    • @Descartes:

      Tja, wenn Ideologie ein rationales Risikomanagement ersetzt, dann kommt leider vorallem CO2 dabei heraus. Wenn der Krieg noch ein paar Wochen länger dauert, die Zahl der Opfer in die Zehntausende geht, dann wird sich der Kauf von Gas in Russland nicht mehr rechtfertigen lassen. Dann kommt die Stunde der Wahrheit. Wieviele Leben in der Ukraine ist uns der Atomausstieg wert?

      • @Nachtsonne:

        "Wieviele Leben in der Ukraine ist uns der Atomausstieg wert?"



        Wenn es "uns" wirklich um Menschenleben in anderen Ländern gehen würde,dann müßte das weltweite Wirtschaftssystem ganz anders aussehen.Dann wäre auch unser deutscher/europäischer /westlicher Lebensstandard ein ganz anderer.Dann würde "wir"bspw. nicht unnötig Energie für eine IT-Infrastruktur verschwenden, die es ermöglicht völlig belanglose Kommentare wie die unseren hier zu veröffentlichen.