Olympia und die Umwelt: Ende vom Wanderzirkus
Winterspiele mit 100 Prozent Kunstschnee – nicht erst in China steht Nachhaltigkeit ganz hinten an. Neue Formate für Olympia sind lange überfällig.
D ie braunen Hänge zwischen den Skipisten und Loipen sieht man auf den Fernsehbildern nur selten. Routiniert fangen die Kameras ein verschneites Winterwunderland ein, weiße Pisten vor weißen Hängen. Wie Mehlspuren aber ziehen sich die Bänder von Kunstschnee durch eine staubtrockene, braune Bergregion. Zum ersten Mal finden die Winterspiele wohl zu 100 Prozent auf Kunstschnee statt – weil man sie in eine Region gegeben hat, in der es kaum regnet, geschweige denn schneit.
Die ökologische Bilanz dieser Olympischen Spiele wird, dafür muss man keine Prophetin sein, trotz einiger Bemühungen wieder einmal verheerend sein. Ein enormer Wasserverbrauch für Hunderte Schneekanonen, die Zerstörungen im Naturschutzgebiet Songshan, Neubauprojekte, deren zukünftiger Nutzen mehr als unsicher ist: die Pisten für Ski-Alpin-Rennen, die Skisprungschanze, für die 1.500 Menschen umgesiedelt wurden, die Bobbahn für über 2 Milliarden Euro, das neue Biathlonzentrum ohne Weiternutzung und das neue Skilanglaufzentrum.
Über all das wurde berichtet. Der deutsche Biathlet Erik Lesser schrieb: „Zu wissen, wie diese Gegend zuvor ausgesehen hat, macht mich so traurig. All das für drei Wochen.“ Es ist an der Zeit, angesichts der Klimakatastrophe und der ökologischen Zerstörung das Format Olympia grundsätzlich zu überdenken. Und Zeit für ein Ende des Wanderzirkus.
Viel Kritik in puncto Nachhaltigkeit fokussiert sich aktuell auf China als Gastgeber: die fehlende chinesische Wintersporttradition zum Beispiel, weswegen viele Stätten neu gebaut werden, und die Autokratie, durch die kein Raum für Proteste ist. Aber das ökologische Desaster ist weder ein chinesisches Spezifikum, noch Spezifikum einer Autokratie.
ist freie Sportjournalistin und berichtet unter anderen für die taz. Zum ersten Mal hat sie die Spiele verfolgt, als sie 2000 in Sydney stattfanden, und war vor allem von den russischen Turner:innen fasziniert.
Ein internationales Team von Forscher:innen hat 2021 die Human- und Umweltkosten für Olympische Sommer- und Winterspiele von Albertville 1992 bis Tokio 2021 untersucht, darunter die Zahl der Neubauten, die Nachnutzung, den ökologischen Fußabdruck der anreisenden Fans, aber auch Zwangsumsiedlungen und Widerstand in der Bevölkerung. Die Bilanz: Die Spiele seien ökonomisch, ökologisch und sozial über die Zeit immer schädlicher geworden.
Die Spiele werden immer schädlicher
Wer die Chefbehörde IOC und ihren Größenwahn kennt, den überrascht das nicht. Mit 16 Wettbewerben starteten 1924 die ersten Winterspiele in Chamonix. In Peking sind es 109. Die Zahl der Athlet:innen hat sich derweil mehr als verzehnfacht. Von Mal zu Mal werden die Spiele größer, galaktischer, teurer. Für jede Nachnutzung, die gelingt, veröden in Rio, Athen oder Turin Geisterstadien, Olympiaparks und megalomanische Investitionsruinen.
Die Spiele im demokratischen Tokio waren laut Studie ökologisch fast ebenso desaströs wie Sotschi, das viel gelobte London 2012 schnitt im Gesamtranking schlechter ab als Peking 2008. Demokratie schützt vor Zerstörung nicht, wo Wachstum das Prinzip ist. Diese Spiele des 20. Jahrhunderts brauchen dringend ein neues Konzept. Das heißt auch: feste Stätten. Olympia ist ein Wanderzirkus. Allerdings einer, der das Zelt nicht mitbringt.
Es ist durchaus ein Fortschritt, dass Nachhaltigkeit bei der Infrastruktur zunehmend mitgedacht wird. Peking 2022 verwendet Sportstätten von 2008 wie das Vogelnest und die Schwimmhalle „Water Cube“ wieder, London 2012 ließ bemerkenswert viele Sporthallen nach den Spielen wieder zurückbauen. Aber warum überhaupt wird ständig neu gebaut, wenn doch woanders fertige Anlagen bereitstehen? Schon mit Blick auf die Ressourcen ist das absurd.
Und das gilt für Winterspiele umso mehr, denn sie brauchen rare Gebilde wie Skisprungschanzen und Bobbahnen, die nach der Veranstaltung fast keinen Nutzen für die Bevölkerung mehr bringen. Die Zahl der hobbymäßigen Skeletonis und Skispringer:innen ist bekanntlich begrenzt. Auch ökonomisch bleiben die Versprechen vom großen Wachstum oft leer.
Die Alpenschutzkommission Cipra, die sich gegen erneute Winterspiele an den Alpenstandorten wendet, schreibt, es gebe zwar einen oft kurzfristigen Boom der Bauwirtschaft, aber keinen einzigen Beleg für eine langfristige positive Wirtschaftsentwicklung vor Ort. Stattdessen komme es eher zu einem Strohfeuer – und steigenden Lebenshaltungs- und Mietkosten, steigenden Bodenpreisen und Überkapazitäten in der Hotelbranche ohne langfristige Nachfrage.
Auf wenige Austragungsorte beschränken
Forscher:innen fordern längst, nicht jedes Mal einen anderen Ort mit dem Bau einer komplett neuen Infrastruktur für die Spiele zu beauftragen, sondern zwischen einer kleinen Auswahl von Austragungsorten zu rotieren, sodass dieselben Anlagen wiederholt genutzt werden können. Das ist überfällig und im Sport nicht ohne Vorbild: Die relativ neuen „Finals“, bei denen die Titelkämpfe vieler deutscher Sportarten gebündelt stattfinden, wurden bisher jedes Jahr in Berlin ausgetragen.
Niemand käme auf die Idee, in Bremerhaven eine neue Leichtathletik-Arena zu bauen, weil die Stadt auch mal dran sein soll. Die Pokalfinals im Fußball haben feste Standorte, und „Berlin“ oder „Wembley“ wurden gerade dadurch zu Kultstätten. Wo aber würden bei Olympia diese festen Stätten stehen? Das aktuell häufig angebrachte Argument etwa alpiner Tradition, die angeblich wertvoller sein soll als Neubauten in China, ist Heuchelei. Denn die Ungleichheit ist kein Zufall.
Die bisherigen Austragungsorte der Sommerspiele befanden sich, abgesehen von Mexiko und Brasilien, allesamt im Globalen Norden. Kein afrikanischer Staat hat jemals Olympische Spiele ausgerichtet, ebenso wenig die arabischen Staaten. Auch in Zentral- oder Südostasien fanden die Spiele noch niemals statt, was angesichts der bombastischen Kosten, der nötigen Lobbypower, der geringen Kaufkraft des Publikums und der benötigten Infrastruktur nicht weiter verwunderlich ist.
Radikal verkleinerte Spiele sind nicht nur aus Nachhaltigkeitsgründen nötig, sie können erst damit wahrhaft global sein. Sie haben die Chance, endlich mehr zu sein, als ein elitäres Vergnügen weniger Metropolen, nämlich endlich das, was Olympia nie war: echte Weltspiele. Mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) wird das nicht machbar sein, auch nicht unter dem vor Gigantismus strotzenden Label Olympia.
Kleinere Spiele und größere Globalität
Feste Standorte freilich bringen ein Problem mit sich: Wie mit Menschenrechtsverletzungen umgehen? Was tun, wenn ein bisher einigermaßen sympathischer Dauerstandort plötzlich eine schlimme Regierung bekommt? Eine subversive Lösung wäre diese: gemeinsame Ausrichtung durch Regionen statt durch einen Staat. Nicht durch die Staatsmacht selbst, sondern durch NGOs, Bürger:innenvereinigungen, Umweltgruppen, mit einem von allen teilnehmenden Nationen bereitgestellten Budget.
Das alles würde dramatisch die Chancen auf ein Turnier steigern, das der lokalen Bevölkerung nützt, statt schadet. Es würde das unangenehme nationale Propagandagetöse, das alle Spiele umgibt, von vornherein ausschließen. So könnte ein historischer Kulturraum gemeinsam Spiele austragen oder auch nur ein gemeinsamer geografischer Raum: nachhaltige Anden-Spiele, Donau-Spiele, südostasiatische Spiele.
Die Fußball-EM 2021, die in elf Staaten stattfand, bot Ausrichtern wie Ungarn und Aserbaidschan deutlich weniger Selbstinszenierungsfläche, als es eine ungarische EM getan hätte. Wer dem Nationalstaat den Sport nimmt, befreit ihn aus der unlösbaren Debattenschleife über Boykotte, die vor allem den Boykottierenden ein gutes Gefühl geben, politisch aber meist wirkungslos sind.
Und ein Sport ohne IOC und Nationalstaat wird fairer: Menschenrechtliche Anforderungen ans Turnier oder rote Linien lassen sich besser einfordern – und leichter durchsetzen, wenn benachbarte Regionen bereitstehen, um einzuspringen. Rotierende, panregionale Spiele an festen Stätten wären sofort umsetzbar, denn mehrere Ausrichter sind bei Winterspielen erlaubt, bei den Sommerspielen „in Ausnahmefällen“ gestattet. Und die Klimakatastrophe schafft ohnehin eine neue Realität.
Keine Zukunft für den Skisport
Laut einer aktuellen internationalen Studie wird ohne eine drastische Verringerung der weltweiten Treibhausgasemissionen nur eine der insgesamt 21 Städte, die bisher Gastgeber der Olympischen Winterspiele waren, in der Lage sein, bis zum Ende dieses Jahrhunderts zuverlässig „faire und sichere Bedingungen für Winterspiele“ zu bieten. Die Prognosen werden rasant schlechter. Im Jahr 2014 galten noch 6 Städte als mittelfristig stabil.
In Europa, so die Studie, seien die meisten Standorte 2050 selbst im Best-Case-Szenario untauglich. Bei den Sommerspielen ist die Hitze ebenfalls ein wachsendes Problem, aber zumindest mittelfristig verkraftbarer, etwa durch Verlegung der Wettbewerbe in die Abendstunden. Dauernde Wanderung an klimatisch ungeeignete Orte kann der Wintersport sich nicht mehr leisten. Es braucht eine kleine, möglichst langfristige, schneefeste Auswahl.
Das hilft jedoch nur, wenn wir gleichzeitig ein neues Konzept für radikal geschrumpfte Spiele und für neue Winterspiele entwickeln. Die aktuellen stammen aus einem kühleren Zeitalter. Indoor-Sportarten wie Eisschnelllauf und Eishockey lassen sich womöglich eher in eine erhitzte Welt hinüberretten.
Skisport dagegen hat langfristig keine Zukunft: In Italien wurden schon 2017 rund 87 Prozent der Pisten mit Kunstschnee beschneit, in Österreich 70 Prozent; ein verzweifelter Versuch, sich gegen die neuen Realitäten zu stemmen, und ein Sisyphoskampf, der empfindliche Ökosysteme zerstört. Niemand sollte den Sportler:innen von heute auf morgen ihre Sportarten nehmen. Aber wir müssen sie und uns darauf vorbereiten, mittelfristig ganz andere Winterspiele abzuhalten.
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