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Vertuschung im LibanonFür ein Ende der Straflosigkeit

Vor einem Jahr wurde der Hisbollah-Kritiker Lokman Slim ermordet. Die Familie des Intellektuellen kämpft für Aufklärung.

„Keine Angst“ steht unter dem Foto von Lokman Slim: Protest im Februar 2021 Foto: Wael Hamzeh/epa

BEIRUT taz | Wut sei es, sagt Monika Borgmann-Slim, Wut, die sie weitermachen lässt. Vor einem Jahr wurde ihr Mann, Lokman Slim, ermordet. Slim war Archivar, Verleger, Aktivist, Dokumentarfilmer, vor allem aber ein bekannter intellektueller Kommentator des politischen Geschehens im Libanon. Er schrieb für Zeitungen und trat im Fernsehen auf; er setzte sich dafür ein, die gewalttätige Vergangenheit des Landes aufzuarbeiten und stand für einen demokratischen, antirassistischen Libanon.

Der Schiit kritisierte in seiner Arbeit offen die schiitische Partei und Miliz Hisbollah, in deren Gebieten er nicht nur lebte, sondern erschossen wurde. Obwohl die Tat bereits ein Jahr her ist, wurde bisher niemand angeklagt oder verhaftet.

„Ich habe eine Trauer in mir, für die ich keine Worte habe. Aber ich habe auch eine immens große Wut“, sagt Borgmann-Slim. Sie sitzt in einem Büro in der Slim-Villa, an den Wänden sind die Regale voller Bücher. Gemeinsam hat das Paar 2004 das Dokumentations- und Recherchezentrum UMAM aufgebaut. In den Regalen im Büro zeugen Zeitungsartikel, Fotos und Bücher von dem libanesischen Bürgerkrieg, in dem sich 1975 bis 1990 konfessionell geprägte Milizen in verschiedenen Konstellationen bekämpften.

Statt einer Aussöhnung gab es am Ende einen Waffenstillstand und eine kollektive Amnestie. Aber Frieden könne nur erreicht werden, wenn die Vergangenheit verstanden und aufgearbeitet wird, so das Credo von UMAM.

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„In allem, was wir gemacht haben“, sagt Borgmann-Slim, „stand dieser Kampf gegen die Kultur der Straflosigkeit im Mittelpunkt. In diesem Sinne ist es für mich unmöglich zu akzeptieren, dass Lokman nicht nur getötet, sondern regelrecht exe­kutiert wurde.“

Mörder müssen zur Verantwortung gezogen werden

Seit der Unabhängigkeit des Landes 1943 wurden mindestens 220 politische Morde und Mordversuche dokumentiert. Politiker, Diplomaten, Journalisten, Aktivisten und Richter starben – ohne dass ihre Täter identifiziert und angeklagt wurden. „Ich bin heute nicht mehr die Außenseiterin, die irgendwelche Morde analysiert, sondern ich bin mittendrin“, sagt Borgmann-Slim. „Und was ich versucht habe, der internationalen Community zu sagen: Wenn wir zulassen, dass es für Lokman keine Gerechtigkeit gibt, dann bedeutet das eine Green Card für – wer auch immer die Mörder sind – weiterzumachen. Ohne Angst, zur Verantwortung gezogen zu werden.“

Das UMAM mit seinem Archiv in der Villa Slim, in der das Paar auch gewohnt und gearbeitet hat, liegt inmitten des belebten Viertels Haret Hreik im Süden Beiruts. Das Viertel wird von der schiitischen Hisbollah kontrolliert. Die Hisbollah ist eine Partei in der Regierung und im Parlament, aber auch eine Miliz. Ihre Existenzberechtigung sieht sie im Kampf gegen den Erzfeind Israel.

Die Ausstellungen und Debatten des UMAM in der Villa der Slims wurden auch von Angehörigen anderer Konfessionen besucht, die sonst vielleicht niemals in das Hisbollah-Viertel gekommen wären.

Das zuvor offene Tor wird nun bewacht

Am ersten Jahrestag des Mordes an Slim gibt es eine Gedenkzeremonie in der Villa. Überall sind bewaffnete Mitglieder des libanesischen Militärs zum Schutz postiert. Auf dem Balkon, im weitläufigen Garten mit seinen hohen Bäumen und Yuccapalmen und vor dem Tor.

Die Türen des hohen, schwarzen, mit goldenen Blumen verzierten Tores stehen weit offen. Slim habe sich immer dafür eingesetzt, sagte seine Schwester Rasha El Ameer kürzlich in einem Podcast, dass das Tor zum UMAM für alle offen steht. Er sagte es selbst dann noch, als er bedroht wurde, als, wie im Dezember 2019, Morddrohungen an die Wände des Hauses geschmiert wurden. Daraufhin hatte er eine Erklärung abgegeben: Sollte ihm oder seiner Familie etwas passieren, schrieb er die Handlungen dem Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah und dessen verbündetem Parlamentssprecher Nabih Berri zu.

Slim wurde entführt und unweit der Autobahn im geliehenen Auto mit sechs Schüssen getötet

Anders als zuvor wird das offene Tor nun schwer bewacht, während die Gäste zur Gedenkfeier eintreffen. Zehn Bot­schaf­te­r*in­nen haben sich angekündigt, darunter die deutsche Vertretung sowie die Gesandte der Vereinten Nationen und der Vertreter der EU im Libanon. Sie alle bekräftigen in ihren Reden, wie bedeutend Slims Arbeit für den Libanon war – und fordern ebenfalls Gerechtigkeit.

Lokman Slim wurde am 3. Februar 2021 ermordet. Der 58-Jährige war in einem Leihwagen unterwegs, um einen Freund in Niha, im schiitisch dominierten Süden des Landes, zu besuchen. Nach ausgedehnten Gesprächen machte er sich am Abend auf den Heimweg. Wie Jour­na­lis­t*in­nen der Zeitung L’Orient-Le Jour rekonstruierten, müssen ihm zwei Autos gefolgt sein. Slim wurde entführt und einen Kilometer entfernt von der Autobahn im geliehenen Auto mit sechs Schüssen ermordet. Die Täter sind bis heute nicht identifiziert.

Das liegt wohl daran, dass die Untersuchung zunächst von einer Staatsanwaltschaft im Gebiet der Hisbollah geleitet wurde. Im Juni 2021 ging der Fall an einen Untersuchungsrichter in Beirut. Doch höchstwahrscheinlich sind auf dem Weg mehrere Hinweise und Beweise verschwunden.

Seinen Mut bezahlte Slim wahrscheinlich mit dem Leben

Dass Beweise verschwinden und Ermittlungen behindert werden, erinnert an die Untersuchung der Explosion von Beirut. Am 4. August 2020 explodierte Ammoniumnitrat im Hafen der Stadt. Der Untersuchungsrichter wird durch Proteste und Klagen der Hisbollah und ihrer Verbündeten immer wieder an der Arbeit gehindert.

Einen Tag nach der Explosion hatte Slim im Fernsehen darauf hingewiesen, dass die Fassbomben des syrischen Regimes ebenfalls Ammoniumnitrat enthielten. Die Hisbollah unterstützte Assads Krieg. Dass Slim den Mut hatte, solche und ähnliche Zusammenhänge zu benennen, kostete ihn am Ende vermutlich das Leben.

Monika Borgmann-Slim führt derweil die gemeinsame Arbeit weiter. Sie hat die Lokman-Slim-Stiftung gegründet, die sich um Aufklärung politischer Morde und die Unterstützung der Angehörigen politisch Ermordeter kümmert.

Zudem beschäftigt sich das Mena Prison Forum, das zum UMAM gehört, mit den Gefängnissystemen in der Region. „Ich denke nicht, dass sich vor drei Jahren jemand vorgestellt hat, dass wir die Koblenz-Tribunale haben. Aber sie fanden statt“, sagt Borgmann-Slim. Sie meint den Prozess gegen Anwar R., der für Assads Regime in Syrien folterte, in Koblenz vor Gericht stand und zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. „Das heißt doch“, sagt Borgmann-Slim, „dass Geschichte sich verändern kann und das gibt mir Hoffnung.“

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