Prozessbeginn in Frankfurt: Foltervorwürfe gegen syrischen Arzt
Alaa M. steht ab Mittwoch vor Gericht wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Statt zu heilen, soll der Mediziner gefoltert und getötet haben.
Der Bruder bekam einen epileptischen Anfall, seine Medikamente aber hatte er nicht dabei, so hat es A. Ermittlern des Bundeskriminalamtes erzählt. In seiner Not verständigte er einen Arzt und teilte ihm mit, welches Medikament gebraucht werde.
Doch statt zu helfen, habe der Arzt dem Bruder ins Gesicht geschlagen, sodass dieser zu Boden ging. Dann habe er ihn mit einem grünen Plastikschlauch verprügelt und gegen den Kopf getreten. „Ist es das, was Sie wollen?“, soll er dabei gesagt haben. Zwei Tage später habe der Arzt gefordert, dass der „Epileptiker“ zu ihm gebracht werde. Weil dieser zu schwach zum Gehen war, trugen A. und ein Mitgefangener ihn.
Der Arzt habe dem Bruder gewaltsam eine Pille verabreicht, kurze Zeit später habe sich dieser nicht mehr bewegt. Später hätten die Wachleute den leblosen Körper weggebracht. Noch am selben Tag sei der Bruder gestorben.
Folter in 18 Fällen und ein Mord
Bald wird Myhd Fajr A. dem Mann gegenüberstehen, dem er die Schuld daran gibt. In Saal 165c des Frankfurter Oberlandesgerichts. Am Mittwoch wird hier der Prozess gegen Alaa M., 36, Facharzt für Orthopädie und Familienvater, eröffnet. Der Generalbundesanwalt hat ihn wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Myhd Fajr A. ist Nebenkläger in dem Prozess und wird als Zeuge aussagen.
Alaa M. wird Folter in 18 Fällen und auch ein Mord zur Last gelegt. In diesem Fall soll ein Gefangener versucht haben, sich zu wehren. Daraufhin hätten Wachmänner diesen festgehalten, M. habe ihm eine Spritze verpasst, wenige Minuten später soll der Mann tot gewesen sein. Auch soll M. in zwei Fällen versucht haben, anderen die Fortpflanzungsfähigkeit zu rauben.
Was schon im juristischen Fachjargon furchtbar klingt, muss für die mutmaßlichen Opfer die Hölle gewesen sein. M. soll zwei Männern Alkohol über den Penis gegossen und diesen dann angezündet haben. Sein jüngstes Opfer soll zwischen 15 und 16 Jahre alt gewesen sein. Auch Wunden von Inhaftierten soll er in Brand gesteckt haben.
Mit Alaa M. hat Generalbundesanwalt Peter Frank erstmals einen Mann angeklagt, der in Syrien selbst gefoltert haben und bis heute zum Assad-Regime stehen soll. Es ist erst der zweite Prozess in Deutschland und auch weltweit, in dem sich Mitarbeiter des Assad-Regimes vor Gericht verantworten müssen.
Die Militärkliniken im Fokus
Das Oberlandesgericht in Koblenz hat bereits zwei Syrer wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Dabei hat es ausdrücklich festgestellt, dass das Assad-Regime nach dem Beginn der Proteste im März 2011 begann, „einen ausgedehnten und systematischen Angriff auf die Zivilbevölkerung“ zu führen – und damit Verbrechen gegen die Menschlichkeit beging.
Dass diese Prozesse in Deutschland stattfinden, liegt auch an dem im deutschen Strafrecht verankerten so genannten Weltrechtsprinzip. Danach darf die hiesige Justiz auch dann gegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgehen, wenn weder Täter noch Opfer Deutsche sind.
Alaa M. soll als Arzt für den Militärgeheimdienst gearbeitet haben, unter anderem in dem Gefängnis in Homs, in dem die Brüder A. einsaßen. Zudem hätte er in zwei Militärkrankenhäusern gearbeitet, Nr. 608 in Homs und Mezzeh Nr. 601 in Damaskus.
In den syrischen Militärkrankenhäusern soll laut Anklägern systematisch gefoltert worden sein. Ihre Bedeutung in der Foltermaschinerie des Regimes wird in dem Prozess wohl besonders durchleuchtet werden. Medizinische Behandlungen dienten laut Anklägern demnach nicht der Heilung der Inhaftierten, sondern nur dazu, diese für weitere Vernehmungen und Folterungen am Leben zu halten.
In Massengräbern verscharrt
Auch sollen Ärzte in der Ausbildung Operationen an Gefangenen durchgeführt haben. Im Militärkrankenhaus in Harasta soll das Pflegepersonal Kaliumampullen bei sich gehabt haben, um Gefangene jederzeit töten zu können.
Wenn Gefangene ums Leben kamen, wurden sie auf dem Boden liegen gelassen, bis Militärfotografen sie fotografiert und registriert hatten. Danach wurden sie in riesigen Massengräbern verscharrt oder in seltenen Fällen ihren Angehörigen unter Angabe falscher Todesursachen übergeben. „Caesar“, ein desertierter Militärfotograf, hatte Aufnahmen von über 6.000 in Haft ums Leben gekommenen Gefangenen aus Syrien herausgeschmuggelt und veröffentlicht. In dem Prozess in Koblenz wurden sie erstmals als Beweismittel eingeführt.
Während die beiden dort verurteilten Syrer desertierten, soll Alaa M. weiter Anhänger von Baschar al-Assad sein. Den Ermittlern liegt eine E-Mail vor, die M. im Mai 2020 an die syrische Botschaft in Berlin geschrieben haben soll. Darin versicherte er, dass er „stolz“ sei, einem Land unter der Führung von Assad anzugehören. Nach Aussagen von Zeugen soll M. Inhaftierte als „Hunde“, „Terroristen“ und „Saboteure“ beschimpft haben.
M. hat bis zu seiner Festnahme im Juni 2020 in Deutschland fünf Jahre lang als Arzt gearbeitet, zuletzt in einer hessischen Rehaklinik. Er bestreitet alle Vorwürfe. Der Prozess ist zunächst bis Ende März terminiert, wird vermutlich aber deutlich länger dauern.
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