Verkehrswende in Österreich: Vom Autofahrerland zur Klimaoase
Weniger neue Straßen und der Bahnausbau sind das Herzstück der Verkehrswende in Österreich. In Wien ist ein großer Autotunnel gestoppt worden.
Der Umstieg vom fossilen zum elektrischen Antrieb im Individualverkehr ist ein Kernstück der österreichischen Klimastrategie. Im vergangenen Sommer stellte Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) den Mobilitätsmasterplan 2030 vor, der Österreich bis 2040 klimaneutral machen soll. Die Verkehrswende ist in dieser Strategie das zentrale Stück, da der Verkehr rund ein Drittel der Treibhausgasemissionen verursacht. Mehr als 95 Prozent davon macht der Personen- und Güterverkehr auf der Straße aus.
„Österreich ist ein Autofahrerland“, konstatierte jüngst die Wiener Zeitung: „60,9 Prozent aller Österreicherinnen und Österreicher legen mehrmals pro Woche ihre Wege mit dem Pkw zurück. Zudem sind 7,1 Millionen Fahrzeuge in Österreich zugelassen.“
Die geplanten Einschnitte in diesen Fuhrpark sind dementsprechend drastisch. Gewessler wünscht sich spätestens 2030 ein Neuzulassungsverbot für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Der Autofahrerklub ÖAMTC fürchtet sogar ein Verbot für Bestandsfahrzeuge ab 2040. Im Interesse der Klimaziele wäre das konsequent und für Christian Gratzer vom kritischen Verkehrsclub Österreich (VCÖ) auch wünschenswert. Die Ministerin hat die Rechnung aber ohne den Koalitionspartner gemacht. Der ÖVP-Nationalratsabgeordnete Karlheinz Kopf, gleichzeitig Generalsekretär der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), unterstellte ihr „ideologiegetriebene Bestrafungsfantasien“, als sie andeutete, bei Nichteinhaltung des Klimapfads könnte ein Automatismus zur Anhebung der Steuern auf fossile Energieträger in Kraft treten.
Für einen raschen Umstieg auf E-Mobilität hinkt die Infrastruktur noch hinterher. Gewessler hat aber die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (Asfinag) als Verbündete gewonnen. „Wir werden die Infrastruktur bereitstellen“, betont deren Vorstand Josef Fiala. Ziel seien 1.000 Ladepunkte für E-Autos entlang Österreichs Autobahnen und Schnellstraßen bis 2030. Derzeit gibt es 156 solche Ladepunkte.
Es geht aber nicht nur um Ökologisierung des Verkehrs, sondern auch um Verkehrsvermeidung. „Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn im Mobilitätssektor eine radikale Trendwende bei den Treibhausgasemissionen erfolgt“, sagt Gewessler. Und Trendwende heißt nicht nur neue Antriebe. Martin Fellendorf, Verkehrsplaner an der Technischen Universität Graz, hat errechnet, dass der Straßenverkehr auf das Niveau von 1990 gedrosselt werden müsse, wolle man die Klimaneutralität 2040 wirklich erreichen.
In vielen europäischen Städten wächst derzeit der Wunsch nach einer menschenfreundlicheren, weniger autozentrierten Verkehrspolitik. Mancherorts schreitet die Veränderung sehr schnell voran, woanders gibt es sehr große Probleme.
In einer kleinen Serie stellt die taz gute und schlechte Beispiele städtischer Mobilitätspolitik vor. Weitere Folgen: Berlin (22. 12.), Rom (28. 12.), Madrid (30. 12.) Paris (5. 1.).
96 Prozent der Verkehrsflächen bestehen aus Straßen und Pkw-Stellplätzen. „Der Ausbau des Straßennetzes führt zu mehr Zersiedelung, mehr Zersiedelung führt zu mehr Straßen. Ein Teufelskreis“, so Gratzer vom VCÖ, der sich für ökologisch sichere, verträgliche, wirtschaftlich sinnvolle und sozial gerechte Mobilität einsetzt. Er beruft sich auf internationale Vorbilder, „dass der Rückbau städtischer Highways zur Entsiegelung und die Umnutzung von Straßenverkehrsflächen zu einem wichtigen Thema geworden ist“. Dass Gewessler Anfang Dezember den umstrittenen Lobau-Tunnel unter einem Schutzgebiet an der Donau in Wien und sechs weitere Straßenprojekte in verschiedenen Bundesländern gestoppt hat, war aus dieser Logik konsequent, sandte aber Schockwellen durch die Politik.
Unterstützung kam von den Umweltverbänden. VCÖ-Sprecher Christian Gratzer: „Der Punkt ist, dass nicht alle Beteiligten den Ernst der Lage begreifen und daher zuwider den Interessen ihrer Unterstützer handeln.“ Denn: „Diejenigen, die auf Autos angewiesen sind, sind die größten Nutznießer, wenn möglichst viel Personenverkehr auf öffentliche Verkehrsmittel und Fahrräder verlagert wird.“ Die von Autofahrerclubs vertretene Parole, alle sollen möglichst viel Auto fahren können, gefährde viele Arbeitsplätze.
Gratzer hält auch die von der ÖVP propagierte Erzeugung von synthetischen Treibstoffen für „Humbug“, weil „der Energieaufwand, um sie zu erzeugen, gewaltig wäre“. Es gehe, wie im Masterplan vorgezeichnet, darum, Ortskerne zu stärken, die Zersiedelung zu stoppen und dafür zu sorgen, dass die Menschen nicht so viele Kilometer zurücklegen müssen.
Kernstück der Klimastrategie im Verkehr ist der Bahnausbau. „Wir investieren in den nächsten sechs Jahren insgesamt 18,2 Milliarden Euro in den Ausbau der Schieneninfrastruktur. Das ist das größte Bahnausbaupaket in der Geschichte der Republik“, sagt Florian Berger, Sprecher des Klimaministeriums. Das im vergangenen Oktober eingeführte Klimaticket, das österreichweit die Nutzung aller Bahnen, Busse und kommunalen Verkehrsmittel für einen Jahrespreis von 1.095 Euro erlaubt, wurde bis Mitte Januar bereits fast 137.000-mal verkauft. Damit liege man deutlich über dem Plan. Berger: „Es zeigt, die Menschen in Österreich wollen auf die klimafreundlichen Öffis umsteigen.“
Weniger erfolgreich war Ministerin Gewessler bisher beim Zurückdrängen klimaschädlicher Subventionen. Eine ab 1. Januar gültige Steuerreform enthält ökosoziale Elemente wie die sanfte CO2-Bepreisung, rüttelt aber nicht an Dieselprivileg und Pendlerpauschale. Da hakt es noch am Koalitionspartner ÖVP, der seine Klientel schonen will. Florian Berger ist dennoch optimistisch: „Selbstverständlich arbeiten wir an den im Regierungsprogramm vorgesehenen Punkten – weitere Maßnahmen gegen den Tanktourismus, Pendlerpauschale etc. – wie vorgesehen weiter.“ Ob nach dem coronabedingten Emissionsrückgang 2020 vergangenes Jahr eine nachhaltige Trendwende beim verkehrsbedingten CO2-Ausstoß erreicht wurde, steht noch nicht fest. Zumindest die Schienen sind dafür gelegt.
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