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Gesundheitssystem in der CoronakriseFake-Anzeigen, echter Notstand

Impf­geg­ne­r*in­nen haben sich dazu verabredet, falsche Inserate von ungeimpften Pfle­ge­r*in­nen zu schalten. Das Problem könnte dennoch real sein.

Laut RKI sind 90 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitswesen gegen Covid-19 geimpft Foto: Frank Molter/dpa

Hannover taz | Wer am vergangenen Wochenende im Landkreis Harburg oder Stade die Kreiszeitung Wochenblatt in die Hand nahm, konnte den Eindruck bekommen, um die medizinische Versorgung und die Pflege stünde es sehr schlecht. „Ungeimpft – Job in der Pflege passé“, titelte das kostenlose Anzeigenblatt. Das sei dramatisch, kommt der ärztliche Direktor des Krankenhauses Buchholz, Christian Pott, im Leitartikel zu Wort. „Jede Person, die geht, wird fehlen“, so Pott weiter. Als Belege führte die Kreiszeitung Wochenblatt in dem Text zusätzlich zwanzig Stellengesuche im eigenen Anzeigenteil an. Ein No-Go in der Berichterstattung: Das Trennen von Anzeigenteil und redaktionellen Inhalten ist ein journalistischer Grundsatz.

„Krankenschwester, jahrzehntelange Erfahrung, c-impffrei, vielseitig interessiert, sucht ab 16.03.2022 neue Herausforderung“ steht in einer Anzeige etwa. Handynummern ließen die wenigsten Inserate auf der Suche nach einem „neuen Wirkungsfeld“ abdrucken, lediglich anonyme Chiffren für Rückfragen über das Anzeigenblatt. Die Inserierenden, die tatsächlich eine Telefonnummer angaben, waren per Anruf und auch per Nachricht nicht zu erreichen. In der Rotenburger Rundschau, deren Verbreitungskreis an den der Kreiszeitung Wochenblatt angrenzt, finden sich in der Ausgabe vom 22. Januar mehrere zum Teil identische Inserate.

Jede Woche werden laut Bundesverband Deutscher Anzeigenblätter etwa 65,8 Millionen dieser Zeitungen gedruckt. Oftmals erreichen die kostenlosen Printerzeugnisse auch Ecken, wo es sonst keine Lokalmedien mehr gibt. Diese Reichweite wollen nun scheinbar Ver­schwö­rungs­ideo­lo­g*in­nen nutzen.

Ungereimtheiten rund um die vermeintlichen Stellengesuche fielen zuerst dem RBB-Journalisten Andreas Rausch auf. Er stolperte in Bautzen über 126 Inserate, abgedruckt auf einer ganzen Seite des lokalen Anzeigenblattes. Auch im Fränkischen Boten und im Traunsteiner Tageblatt wurde inseriert. „t-online“ berichtet, dass sich Impf­geg­ne­r*in­nen auf Telegram abgesprochen hätten, am 29. Januar die Heilbronner Stimme mit Stellengesuchen zu „fluten“.

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Noch keine Kündigungen wegen der Impfpflicht

Etwa 225 Euro dürfte die Aktion bei der Kreiszeitung Wochenblatt die Impf­geg­ne­r*in­nen gekostet haben. Das Anzeigenblatt hat mittlerweile den Fehler erkannt und einen Artikel über die Gesuche veröffentlicht. Am Telefon sagte eine Redakteurin der Kreiszeitung Wochenblatt gegenüber der taz, die Kol­le­g*in­nen in der Anzeigenabteilung bearbeiteten oft Hunderte Anfragen. Man habe nicht mit einer derartigen Aktion gerechnet, sei lediglich auf die hohe Anzahl an Inseraten aufmerksam geworden. Bei der Rotenburger Rundschau dagegen sieht man erst einmal keine Probleme mit den Anzeigen. Alle Inserierenden seien reale Personen und die Kontaktangaben seien korrekt. Mehr könne man nicht prüfen.

Corona-Impfpflicht

Eine einrichtungsbezogene Impfpflicht im Gesundheits- und Pflegebereich gilt bundesweit ab dem 16. März 2022. Wenn sich Beschäftigte dann nicht impfen lassen, kann das dienstrechtliche Folgen haben.

Eine allgemeine Impfpflicht für alle ab 18 Jahren wird aktuell im Bundestag diskutiert. Die Ampel-Koalition strebt einen Beschluss bis Ende März an.

Zur Durchsetzung einer allgemeinen Impfpflicht sind Bußgelder im Gespräch. Ein Impfzwang, also eine Durchsetzung mit körperlicher Gewalt, wird ausgeschlossen.

Obwohl die Anzeigen falsch sind, werfen sie eine Frage auf: Ist es denn wirklich so schlimm um das medizinische Personal bestellt, wie die Gesuche suggerieren? Auf taz-Anfrage antworten mehrere Kliniken im Verbreitungsgebiet der beiden Anzeigenblätter, man habe noch keine Kündigungen wegen der branchenspezifischen Impfpflicht erhalten.

Ähnliches ergeben auch Nachfragen bei den drei großen Klinikträgern in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover und der Arbeiterwohlfahrt. In den Einrichtungen von Diakovere seien beispielsweise etwa 95 Prozent der Beschäftigten geimpft. „Wir erreichen nicht alle, aber die Leistungsfähigkeit ist absolut gegeben und wird weiterhin gegeben sein, sowohl im medizinischen Bereich als auch in der Altenpflege“, so Matthias Büschking, Unternehmenssprecher von Diakovere. Man werde weiter mit allen Angestellten sprechen und versuchen, diese zu überzeugen.

Nach einer Befragung des Robert-Koch-Instituts aus dem vergangenen Oktober waren damals bundesweit bereits über 90 Prozent der Angestellten im Gesundheitswesen geimpft. Vom Bundesgesundheitsministerium heißt es auf Anfrage der taz, man gehe nicht davon aus, dass die Regelung zu Kündigungen in größerer Zahl führe. „Es liegen keine Daten vor, ob und wie viele Beschäftigte in Pflegeheimen, ambulanten Pflegediensten, Krankenhäusern und Arztpraxen aufgrund der Einführung einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht bereits jetzt eine Arbeitslosigkeit ab Mitte März 2022 bei einer Arbeitsagentur angezeigt haben“, heißt es weiter.

Tatsächlich könnte sich in manchen Teilen des Landes trotzdem ein echtes Problem hinter den Fake-Gesuchen verbergen. „Wir bekommen zunehmend Rückmeldungen aus den Mitgliedsbetrieben, dass Beschäftigte mit Blick auf die kommende einrichtungsbezogene Impfpflicht beabsichtigen zu kündigen“, sagt Bernd Meurer, Vorstand des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (BPA) gegenüber der taz. „In vielen besonders stark betroffenen Bundesländern können wir nicht garantieren, dass die Versorgung überall aufrechterhalten werden kann“, so Meurer. „Ohne zusätzliche Kräfte – ob von der Bundeswehr oder aus dem Katastrophenschutz – drohen erhebliche Gefahren für die Versorgung.“

Auch Norbert Böttcher, Geschäftsführer des Krankenhauses Buchholz, dessen ärztlichen Direktor schon die Kreiszeitung Wochenblatt zitiert hatte, warnt gegenüber der taz vor Problemen, wenn zehn Prozent der Angestellten plötzlich nicht mehr beschäftigt werden dürften. Die branchenspezifische Impfpflicht helfe nicht beim Personalmangel und führe letztendlich zu einem Branchenwechsel derer, die sich nicht impfen lassen wollen. Böttcher fordert als Lösung eine Gleichbehandlung aller – und damit eine allgemeine Impfpflicht.

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2 Kommentare

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  • Gefakte Stelleninserate: Wenigsten ein "Gutes" hat die widerliche Sache: Sie zeigt, wie verantwortungslos bei "Queerdenker & Co" gedacht wird und welches fatale politische Verständnis da zum tragen kommt. Obstruktionspolitik. Destruktionspolitik. Für mich zeigt das Vorgehen, dass die Initiatoren solcher Anzeigen in Wahrheit nicht einmal ihr eigenes Anliegen, bei aller Verschwurbelung, ernst nehmen. Sonst würden sie nämlich nicht mit den eventuell echten u. ehrlichen Ängsten von - anderen - Menschen in Bezug auf das Impfen in dieser Art "spielen". Aber nein, die benutzen solche Sorgen für sich und ihre Ziele. Da kann man schon fragen, ob für diese Leute die Frage des Impfens überhaupt eine tatsächliche Bedeutung hat. Oder ob ihnen das in Wahrheit ganz egal ist.



    Bin bei der Impfpflicht noch (immer) unentschieden (u. selbst geimpft). Vielleicht wäre eine allg. Impfpflicht doch "angezeigt". Menschen mit echten Sorgen in Bezug auf das Impfen, könnte so eine gewisse Solidarität vermittelt werden: Wir tragen die Risiken, die ihr mit dem Impfen verbindet, gemeinsam.



    Und distanzieren uns gemeinsam von diesem Haufen politischer Marodeure.

  • Nachdem Herr Lauterbach mehrfach die Regeln über Nacht geändert hat, dürfte die Impfquote nicht mehr stimmen. Es ist einfach nicht richtig, dass 90% der Mitarbeiter 3fach geimpft sind. Viele hatte bisher nur J&J oder eben die übliche 2fach-Impfung. Von daher ist das Problem durchaus größer ... von den ganzen administrativen Folgen mal ganz abgesehen ...