80. Geburtstag von Muhammad Ali: „The Greatest of All Times“
Anders als viele politische Sportlerinnen und Sportler heute überzeugte Muhammad Ali nicht durch Worte. Er sprach durch seinen Sport.
Muhammad Ali hätte nicht gekniet. Die mittlerweile verbreitetste politische Geste, die sich im Sport finden lässt, passte nicht zu dem Boxer, der sich selbst „The Greatest of All Times“ nannte. Aber fast alle, die sich heute im Profisport für eine bessere Welt einsetzen, machen beides: Sie knien sich vor Wettkämpfen nieder, und sie berufen sich auf Ali.
Muhammad Ali wäre am heutigen 17. Januar 80 Jahre alt geworden. Als er 2016 starb, war er schon eine Legende. Von jedem, jeder, allen auf dieser Erde respektiert, von den meisten noch mehr: verehrt und geliebt. Keine schlechte Bilanz für den schwarzen Sohn einer Haushaltshilfe und eines Schildermalers aus Louisville/Kentucky. Der Kreis von Ali-Fans ist zu groß, als dass er auch nur halbwegs zu skizzieren wäre: Barack Obama verehrt ihn und hatte seinen ersten Präsidentschaftswahlkampf mit einem Ali-Poster über seinem Schreibtisch geführt. Die Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison hatte sogar Alis Autobiografie lektoriert. Vielen Jugendlichen aus ethnischen und sozialen Minderheiten gilt Muhammad Ali bis heute als Idol. Etliche Sportler und Sportlerinnen, meist People of Color, oft aus der Basketballliga NBA, dem Profitennis oder der Footballliga NFL, berufen sich auf Ali: LeBron James, die Williams-Schwestern, Naomi Ōsaka oder Colin Kaepernick.
Als 1968 Tommie Smith und John Carlos bei der olympischen Siegerehrung in Mexiko ihre Fäuste in den Nachthimmel reckten, war Ali gerade gar kein sportlicher Akteur, und an den Diskussionen, die zur „Revolt of the Black Athlete“ führen sollten, war Ali nicht beteiligt. Aber er war mittendrin. Ihm den aberkannten Weltmeistertitel wieder zuzusprechen, stand ganz oben im Forderungskatalog; der Ausschluss der Apartheidregime Südafrika und Rhodesien war erst die dritte Forderung.
Von 1964 bis etwa in die frühen Siebziger war Muhammad Ali der meistgehasste Mann in der weißen Welt. „Drückeberger-Arschloch“, nannte ihn US-Präsident Richard Nixon, in der DDR-Zeitung Neues Deutschland wurde er als „Fast-Geisteskranker“ geschmäht, und dass er nicht mehr Cassius Clay hieß, respektierte ohnehin so gut wie niemand.
Aus Clay wird Ali
Bis zu seinem ersten WM-Kampf 1964 gegen Sonny Liston war dieser Cassius Clay aus Louisville ein Liebling des weißen Amerika, denn Liston, ein vorbestrafter Analphabet mit enormem Punch, wurde von der Mafia geführt, der nette Clay hingegen von einer als seriös geltenden weißen Unternehmergruppe aus Louisville.
Clay gewann und wurde Ali. „Ich bin nicht der, den ihr haben wollt“, sagte er danach und verkündete kurze Zeit später seine Mitgliedschaft in der Sekte „Nation of Islam“. Was folgte, waren üble Beleidigungen, erfolgreiche Titelverteidigungen, Ermittlungen von Behörden und Boxkommission und 1967 Berufsverbot. Reden durfte er, aber nicht boxen.
Athleten und Athletinnen sprechen jedoch vor allem durch ihren Sport. Schon Jack Johnson, von 1908 bis 1915 der erste schwarze Schwergewichtsweltmeister der Sportgeschichte, zeigte das. Ohne sich je mit Worten politisch zu äußern, lebte er selbstbewusst, nahm sich seine Rechte. Seine Siege im Ring waren politisch. Ähnlich war es bei Joe Louis, dem zweiten schwarzen Schwergewichtsweltmeister. 1938 besiegte er Max Schmeling und überbrachte boxerisch die Botschaft, dass ein Sieg der Demokratie über den Faschismus möglich ist. Ähnlich war es mit dem Leichtathleten Jesse Owens: Dessen vier Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen 1936 waren die wirksamste Widerlegung der NS-Rassenideologie, die zu diesem Zeitpunkt möglich war. Die Sportgeschichte ist voller Beispiele, wie sich der Wille zur Emanzipation körperlichen Ausdruck verschafft: Jackie Robinson, der 1947 die „Color Line“ im Profibaseball durchbrach und für die Brooklyn Dodgers auflief, gilt vielen Historikern als ähnlich bedeutend wie der Bürgerrechtler Martin Luther King.
Jahre des Berufsverbots
In der jüngeren Sportgeschichte fallen einem die Tennisprofis Serena Williams und Naomi Ōsaka ein. Die Amerikanerin kümmert sich kein bisschen um Schlankheits- und andere klassifizierende Standards, solidarisiert sich mit Black-Lives-Matter und verlässt den Tenniscourt schon mal mit einer gereckten Faust. Die Japanerin Ōsaka spricht nicht nur offen über ihre Depressionen, sondern nimmt sich auch das Recht, sie als Teil ihres Sportlebens zu akzeptieren. Und bei den US-Open 2020 schrieb sie die Namen der Opfer von Polizeigewalt auf ihre Coronamaske – jeden Tag ein anderer Name, bis ins Finale.
Bei Muhammad Ali war das alles noch ein bisschen – sportlicher. „Schwebe wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene“, hatte ihm ein Freund als Motto mitgegeben, und Ali zeigte mehr als seine Vorgänger, was Boxen sein kann: schön, elegant und dabei doch sehr wirkungsvoll. Er bewies, dass menschliche Emanzipation auch eine körperliche Dimension hat.
In der Zeit seines „Exils“, wie er seine Berufsverbotsjahre nannte, boxte Ali nicht, sondern hielt Reden, meist vor weißen 68er-Studenten und -Studentinnen. Dass er da für das Marihuanaverbot eintrat, interracial Beziehungen verurteilte und noch mehr Unfug verbreitete, störte die versammelte Neue Linke kaum. Ali war Kult, Ali war derjenige, der mit der in die Popliteratur gehörenden Begründung „Man, I ain’t got no quarrel with them Vietcong“ („Mann, ich habe keinen Streit mit dem Vietkong“) dem Washingtoner Establishment sehr eindrücklich die Loyalität aufgekündigt hatte.
Positionierung zum Vietnamkrieg
Alis Reden wurden beklatscht, aber kaum gehört. Auch nicht, als er ab 1971 wieder seine Boxlizenz hatte und binnen vier Jahren gegen Joe Frazier und George Foreman boxte. Es dürfte in der Sportgeschichte nicht viele bessere Kämpfe gegeben haben als diese vier in New York (1971 und 1974), in Kinshasa (1974) und in Manila (1975). Die Macht von Alis boxerischer Sprache und körperlicher Intelligenz überlagerte auch Sätze Alis, die schlicht rassistisch waren: Joe Frazier, der ihm übrigens in seiner Exilzeit finanziell geholfen hatte, bezeichnete er als „Gorilla“ und „hässlich“, George Foreman nannte er einen „Onkel Tom“ und dirigierte in Kinshasa Menschenmengen, damit sie „Ali Bumaye“ riefen, „Ali, töte ihn!“
Muhammad Ali war nicht etwa deswegen ein politischer Sportler, weil er sich mit Worten sympathisch politisch geäußert hätte. Diese sehr europäische und bürgerliche Vorstellung, dass ein Athlet oder eine Athletin erst einmal schnell laufen oder gut treffen, dann die Medaille entgegennehmen und erst auf der Siegerpressekonferenz kritische Worte sagen sollte, passte nie zu Ali. Er sprach durch seinen Körper, seine Fäuste, seinen beweglichen Oberkörper, seine schnellen Füße.
Den „Rumble in the Jungle“ 1974 in Kinshasa gegen George Foreman inszenierte Ali als Parabel auf den Vietnamkrieg: Schon, dass der Kampf in einem unabhängigen afrikanischen Staat stattfand, dem damaligen Zaire, heute Demokratische Republik Kongo, war eine Botschaft. Ali präsentierte sich als Vertreter des Trikont, der aufbegehrenden drei Kontinente, wie man damals sagte. Und seinen Gegner stellte er als Vertreter des weißen Kolonialismus dar. Im Kampf selbst erschien George Foreman, einer der härtesten Puncher seiner Zeit, wie eine Verkörperung der US-Army, die mit enormer Überlegenheit Bomben über Bomben auf Vietnam abwarf. Ali, der sich die Taktik des Rope-a-Dope zurechtgelegt hatte, ein Zurücklehnen in die Seile, um den schweren Treffern wenigstens etwas die Wirkung zu nehmen, imitierte hingegen die Taktik des Vietkong: Rückzug, Leidensfähigkeit, Geduld. In der 8. Runde, als die US-Supermacht Foreman ausgepowert war, konnte Ali mit einer rechten Gerade den K. o. setzen.
Kämpfe, die in Erinnerung bleiben
Was für ein Statement zur Weltpolitik! Das wurde auf der ganzen Welt verstanden. Das überragt die Wirkung Alis gesprochener Stellungnahmen und seiner langjährigen Mitgliedschaft in der „Nation of Islam“-Sekte um Längen. Und nach Alis aktiver Zeit, als er am Parkinson-Syndrom erkrankte, war es die Erinnerung an diese Kämpfe und diesen Sportler, der mit hohem Risiko seinen eigenen Weg gegangen war, die ihm Respekt und letztlich Verehrung und Liebe entgegenbrachte.
Das war und ist bis heute der Unterschied in der Wahrnehmung. Denen, die Ali hassten, galt er als Großmaul, als „Louisville Lip“. Die anderen aber wussten, dass Ali nicht reden und sich nicht knien musste. Ali sprach durch den Sport.
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