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Jesuitenpater über Essensverschwendung„Containern entkriminalisieren“

Pater Jörg Alt begrüßt, dass Agrarminister Özdemir Essensspenden erleichtern will. Wer Essen vor dem Müll rette, dürfe nicht bestraft werden.

Essbares, das gerettet werden sollte Foto: Matthias Lüdecke/Fotofinder
Jost Maurin
Interview von Jost Maurin

taz: Herr Alt, die Staatsanwaltschaft Nürnberg ermittelt gegen Sie wegen besonders schweren Diebstahls, weil Sie aus Supermarkt-Mülltonnen Lebensmittel „gerettet“ haben. Dass dieses „Containern“ strafbar ist, hat der neue Landwirtschaftsminister Cem Özdemir nun kritisiert. Er will dem Einzelhandel durch bessere Haftungsregeln und Steuergesetze Spenden nicht verkaufter Lebensmittel erleichtern. Eine gute Idee?

Jörg Alt: Ja, alles, was in diese Richtung geht, ist gut. Wir wollen,dass ein Lebensmittelrettungsgesetz entlang dem Vorschlag, den die Klimaschutzorganisation GermanZero ausgearbeitet hat, schnellstmöglich beschlossen wird.

imago/Müller-Stauffenberg
Im Interview: Jörg Alt

Jahrgang 1961, Jesuitenpater und promovierter Sozialwissenschaftler aus Nürnberg. 2021 machte Alt bundesweit Schlagzeilen, als er noch essbare Lebensmittel aus den Mülleimern von Supermärkten holte, sie anschließend öffentlich verschenkte und dann die Polizei rief und sich wegen Diebstahls anzeigte. Seitdem nahm er an Aktionen der Letzten Generation und Extinction Rebellion teil. Seither laufen gegen Alt verschiedene Strafermittlungsverfahren.

Wir brauchen eine Regelung wie in Frankreich, wo alle Supermärkte ab 400 Quadratmeter Verkaufsfläche unverkäufliche, aber noch genießbare Lebensmittel an gemeinnützige Organisationen wie die Tafeln spenden müssen und auch für den Transport bessere Lösungen gefunden werden, etwa durch Steuererleichterung für Unternehmen. Auf diese Art und Weise ist in Frankreich die Versorgung mit Lebensmitteln bei den Tafeln um 22 Prozent gestiegen.

Warum brauchen wir das auch in in Deutschland?

In Deutschland funktionieren die Sachen regional sehr unterschiedlich. In Nürnberg beispielsweise geht alles sehr gut. In anderen Städten haben die Supermärkte Probleme, ihre Lebensmittel an den Mann zu kriegen. In anderen Teilen Deutschlands funktioniert es gar nicht. Gleichzeitig landen zwischen 12 und 18 Millionen Tonnen an Lebensmitteln pro Jahr in der Tonne. Der CO2-Fußabdruck des Nahrungsmittelmülls in der EU ist so groß wie der der gesamten Niederlande. Deshalb kommen wir um eine gesetzliche Regelung nicht herum.

Wie muss die Rechtslage für das Containern geändert werden?

Özdemir muss das Containern entkriminalisieren. Mir geht es darum, dass neben dem Verfügungsrecht auch die Sozialpflichtigkeit des Eigentums noch einmal betrachtet wird. Wenn die für irgendetwas gilt, dann doch für Lebensmittel. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zu dem Fall im bayerischen Olching im August 2020 ja aufgewiesen, dass der Gesetzgeber den Schutz des Eigentumsgrundrechts durch andere Grundrechte und Staatsziele relativieren könnte. Wir brauchen ein Gesetz, dass Containern nicht strafbar ist.

Minister Özdemir will, dass die Umsatzsteuer bei Lebensmittelspenden auch dann wegfällt, wenn die Ware beispielsweise falsch etikettiert ist. Wieviel würden Steuernachlässe oder Abschreibungsmöglichkeiten bringen?

In Frankreich haben sie geholfen. Es gibt diese Gesetze dort und auch in Tschechien, an denen man sich orientieren kann.

Eine Pflicht zu Spenden wie in Frankreich hat Cem Özdemir ja nicht gefordert, sondern nur, Spenden zu erleichtern. Reicht das?

Ich möchte da hin kommen, wo die Franzosen sind, inklusive Aufklärung und Bildung der Bevölkerung im Umgang mit Lebensmitteln. Alles, was in die Richtung führt, hilft.

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19 Kommentare

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  • Wenn das Containern und auch die Tafeln von ihrem verbreiteten Ruf, Müll unter die Leute zu verteilen wegkommen wollen und Nahrungsmittel nicht im Abfall landen, dann müssen diese Nahrungsmittel für alle verfügbar gemacht werden.

    Es kann nicht sein, dass nur ausgweisen Menschen bis zu einem definierten Einkommen berechtigt sind, Lebensmittel vor dem Verfall noch zu nutzen.

  • Das ist schon bitter, wenn Lebensmittel aus dem Müll geholt werden müssen, um Menschen zu ernähern.

    Und natürlich hat das auch andere Schattenseiten, den der Supermarkt muss seine Sachen ja verkaufen, um Gewinn zu machen. Wenn die Leute anfangen, aus deren Mülleimern zu essen, ändert sich auch einiges an den Einnahmen.

    Tafeln werden nicht zu unrecht auch kritisch betrachtet. Wer Menschen kennt, die dort Zugang haben und hatten, der kennt auch die paradoxen Versorgungssituationen, die dadurch entstehen können. Etwa viele teure Milchprodukte auf einen Schlag, dann wieder ne Weile eher Nuddeln und dann Mehl, aber was wollten diese Menschen denn essen? Konnten sie sich noch entscheiden? Wie empfinden das denn Kinder und Jugenliche, wenn Nahrung so unterschiedlich verfügbar ist?

    Arme Menschen werden nicht viele Fragen stellen, wenn sie ihre Not verringern können, aber es ist schon eine klare Etikettierung, wenn man zu einer Tafel darf oder wenn man nachts am Container nach Resten sucht.

    Allerdings ist das Durchwühlen von Müll durchaus eine bekannte Sache, aber mir scheint es inzwischen mehr zu werden.

    Wenn es unserem Land so gut geht und die Arbeitslosigkeit laut Regierung so niedrig ist, woher kommt dann die Armut, wo Menschen sich sprichwörtlich von Resten und Müll ernähern müssen?

  • Der Einzelhandel produziert ca 0,5 to Lebensmittelabfälle pro Jahr, der private Haushalt dagegen über 6 to.



    Was wird jetzt warum diskutiert?

    • @alterego:

      Natürlich soll es Mio to heissen

  • Mir scheint, @Jim Hawkins hat sowohl Recht als auch Unrecht.



    Selbstverständlich setzt die ganze Diskussion nur an der Frage der Verteilung und nicht an der Frage der Produktion an. Insofern ist sie nicht ausreichend.



    Das bedeutet freilich noch nicht, dass sie irrelevant wäre. Denn in der Debatte um das Containern spiegeln sich ja eine ganze Reihe gesellschaftlicher Selbstverständlichkeiten.



    Z.B die moderne Eigentumsvorstellung, die auch die Zerstörung der Sache einschließt. Gerade weil die Dinge als Waren produziert wurden, sind sie privatisiert und damit von einer verallgemeinerten Nutzung abgeschottet.



    Neben einer Überwindung der Privatproduktion brauchen wir daher eine Überwindung der konkurrierenden Privatstandpunkte. Und genau darauf verweist die Debatte ums Containern.

  • Aber kein Wort über die notwendige Änderung der Haftungsregeln für die Supermärkte? Solange das nicht angegangen wird, wird kein Supermarkt das Risiko eingehen, Containern zuzulassen.

  • So lösen wir die Probleme!

    Nicht die umweltschädliche Produktion, die teilweise irrsinnigen Lieferwege sind das Problem.

    Wir müssen es nur hinbekommen, dass der Müll jedem zugänglich gemacht wird. Ich weiß schon, es ist kein Müll. Und jedem der dadurch besseres und mehr Essen hat, dem sei das natürlich gegönnt.

    Dennoch ist es der widerwärtige barmherzige Tropfen auf den heißen Stein.

    • @Jim Hawkins:

      Weil es noch größere Probleme gibt lösen wir nicht die Probleme die wir einfach lösen könnten?

      Und Sie haben noch nie in die Tonne hinter einem Supermarkt geschaut oder?

      Ich hab in der verschlafenen Kleinstadt meines Elternhauses mit meiner Freundin zusammen einen ganzen Mercedes Sprinter füllen können. Natürlich habe ich nur das beste mitgenommen, unter anderem rund 8 Kilo Blaubeeren. Unseren Hund hatte anschließend die Wahl: Bio Lachs fillet oder Bio Rinder Steak.

      Fast 1 Monat Essen für 4 Personen, umsonst. Und das meiste haben wir auch noch liegen lassen.

      In der Großstadt kann man nicht so gut containern, da gibt es zu viel Konkurenz.

      Habe aber auch schonmal 20 große Packungen Toffifee gefunden in Halle.

      Meine Freunding meinte Sie hätte schon ganze Tonnen voller Schokolade gesehen, nach Weinachten.

      • @Obscuritas:

        Ich sagte doch, ich gönne es jedem. Gar keine Frage.

        So wie Charity auch vielen hilft. Und sogar zweierlei Nutzen hat.

        Sie füllt die Mägen der Armen und erleichtert das Gewissen der Reichen.

        Alles wird gut.

    • 0G
      05989 (Profil gelöscht)
      @Jim Hawkins:

      Das Problem ist, dass das Gegenteil der Planwirtschaft eben auch nicht planbar ist. Es würde niemand akzeptieren, dass ab 16:00 nachmittags kein Brot mehr zu haben ist.

      Die Planung des Unplanbaren erzeugt immer einen Slack, der auch immer positiv ist, wenn Verfügbarkeit eine wichtige Größe ist.

      Selbst wenn Erbeeren im Februar, gepulte Shrimps aus Algerien und Sprossen aus Ägypten Geschichte wäre, haben wir überständige Lebensmittel, für die es Lösungen geben sollte.

      • @05989 (Profil gelöscht):

        Ist ja richtig, nur wenn das die erste Äußerung des zuständigen Ministers ist, dann bedeutet das womöglich, dass sich an dem Kernproblem wohl nichts ändern wird.

        Lebensmittel sollten keine Ware sein, de mon avis.

        • @Jim Hawkins:

          Die Sache ist nur ... die Lebensmittelverschwendung ist ein Kernproblem.

          Zitat von Welthunger Hilfe:



          "1,3 Milliarden Tonnen Nahrungsmittel landen Jahr für Jahr auf dem Müll und gleichzeitig hungern weltweit bis zu 811 Millionen Menschen. Ein Drittel von dem, was weltweit produziert wird geht verloren, weil es bei der Herstellung oder beim Transport beschädigt wurde oder in Lagern, Läden und Haushalten verdirbt.



          ....



          Allein in der Bundesrepublik werden jedes Jahr rund 12 Millionen Tonnen Lebensmittel insgesamt verschwendet. "

          Klar geht es hier erstmal um die Supermärkte aber es ist schon ein erheblicher Anteil und vor allem ist es leicht regulierbar (siehe Frankreich).

        • @Jim Hawkins:

          Im Kapitalismus ist alles Ware. Und wenn Lebensmittel keine Ware wären und sich mit ihnen keine Profite erzielen ließen: Woher kriegt man sie dann? Aus staatlichen Verteilstellen auf Lebensmittelkarten? Oder müssen dann alle zur Tafel? Und: Wer produziert dann hierzulande noch Lebensmittel in der gewohnten Vielfalt? Gibt's dann noch Essgenuss, oder wird die Produktion auf das Nötigste beschränkt (nötig aus Sicht derjenigen, die darüber entscheiden, was die Bevölkerung braucht)?

          • @Budzylein:

            Das sind aber viele Fragen auf einmal.

            Sagen wir so: In meinem stillen Kämmerlein träume ich manchmal noch von der sozialistischen Weltrepublik oder sogar vom Kommunismus.

            Das ist natürlich naiv oder vielleicht sogar dumm.

            Mir gefällt es eben, wie Marx das formuliert hat:

            "wo jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden."

            Aber das ist natürlich Unsinn, schließlich trudelt der ganze Planet auf einen Abgrund zu.

            Bis er dort ankommt, fischen wir das Essen aus dem Container.

            • @Jim Hawkins:

              Sorry, das waren wirklich viele Fragen.

              Ich halte es weder für naiv noch für dumm, vom Kommunismus zu "träumen", wobei ich davon ausgehe, dass es sich bei Ihnen nicht um bloße Träumereien handelt. Was sollte daran verkehrt sein, den Versuch zu unternehmen, ein besseres System zu entwickeln als den Kapitalismus? Bisher sind dabei allerdings leider keine überzeugenden Ergebnisse und auch keine überzeugenden Entwürfe herausgekommen. Aber das muss nicht immer so bleiben; die Produktionsverhältnisse entwickeln sich ja immer weiter.

              Die Containerei halte ich allerdings für Unfug. Werden Lebensmittel, die benötigt werden, aus dem Müll geholt und nicht im Supermarkt gekauft, landen dafür später die deswegen nicht gekauften Lebensmittel ebenfalls auf dem Müll. Wer sich Lebensmittel für den Eigenbedarf leisten kann, soll sie auch bezahlen, und wer Lebensmittel beschaffen will, um anderen Menschen zu helfen, soll sie ebenfalls bezahlen und nicht mit dem, was andere erwirtschaftet haben, den Wohltäter spielen. Dieser Jesuitenpater eignet sich Produkte an, um über ihre Verwendung zu entscheiden, und weigert sich, diejenigen, die das Zeug produziert haben, dafür zu entlohnen; die Kosten sollen seiner Meinung nach andere tragen. Das kann's nicht sein.

              • @Budzylein:

                "Dieser Jesuitenpater eignet sich Produkte an, um über ihre Verwendung zu entscheiden, und weigert sich, diejenigen, die das Zeug produziert haben, dafür zu entlohnen; die Kosten sollen seiner Meinung nach andere tragen."

                Dazu folgende Annahme von mir. Es ist wie gesagt eine Annahme:

                Die 12 bis 18 Millionen Tonnen Lebensmittel-"müll" in D.jährlich sind in den Endverbraucherpreisen "eingepreist". Die Supermärkte werden ihre Preise so kalkulieren, dass die ihnen entstandenen Kosten der von ihnen nicht verkauften Ware über ihren in den Vekaufspreisen einkalkuliert sind. Das heist, sie werden über den Preis der gekauften Ware bezahlt. Der Supermarkt macht mit der unverkäuflichen Ware keine Gewinne. Man wird aber bedacht drauf sein, die Kosten auch der nicht verkauften Ware möglichst zu verringern, besser noch zu decken. Es soll ja letztendlich ein Gewinn bleiben.

                Trifft die Annahme zu, dann können sich die Endverbraucher in D. die 12 bis 18 Millionen Tonnen Lebensmittel-"müll" buchstäblich leisten. Sie zahlen die dafür notwendig kalkulierten Endverbraucherpreise. D. h. auch: Wenn ich als H4-Empfänger in einer Woche eimal Blumenkohl im Supermarkt kaufe und dann am Freitag von der selben Ware dieses Marktes einen Blumenkohl von der Tafel bekomme, dann habe ich - minimal aber anteilig - mit dem ersten Blumenkohl den an die Tafel gespendeten soweit mit bezahlt, als der von der Tafel dem Supermarkt keine Verluste einbringt.

                Das ändert aber z. B. gar nichts an Ihrer Kritik, dass der Blumenkohl zu so niedrigen Erzeugerpreisen produziert wurde, dass z. B. Erntehelfern nur sehr schlechte Löhne gezahlt werden und sie sich vielleicht sogar den von ihnen selbst geernteten Blumekohl nicht oft genug selber leisten können.

                • @Moon:

                  Ich gehe auch davon aus, dass ein gewisser Anteil, der weggeworfen wird, eingepreist ist. In Ihrem Beispiel ist der weggeworfene Blumenkohl Nr. 2 im Preis für den gekauften Blumenkohl Nr. 1 enthalten. In Ihrem Beispiel wurden allerdings 2 Stück Blumenkohl benötigt. Wird aber nur 1 Blumenkohl benötigt, geht die Rechnung im Falle des Containerns nicht mehr auf: Dann wird der weggeworfene und dann containerte Blumenkohl Nr. 1 verzehrt, und der Blumenkohl Nr. 2 muss nicht mehr gekauft werden, weil die Person, die ihn sonst gekauft hätte, ihn nicht mehr benötigt, weil sie schon mit dem Blumenkohl Nr. 1 ihren Bedarf gedeckt hat. Deshalb wird Blumenkohl Nr. 2 auch weggeworfen. Und dann sind weder Blumenkohl Nr. 1 noch Blumenkohl Nr. 2 bezahlt worden.

                  • @Budzylein:

                    Danke für Ihre Antwort. Konnte erst so spät reagieren. Denn aufgrund meines Browsers werden Antworten in der Kommentarfunktion nicht immer zeitnah angezeigt.

                    Ihre Erläuterung stimmt. Und sie ist mir wichtig. Denn: Keineswegs will ich mit meiner Annahme "bezahlt/nicht bezahlt" sagen, wenn die Ware nur "bezahlt" ist, dann wäre das mit dem Lebensmittel-"müll" gar keine Problem, weil...

                    Was den zivilen Ungehorsam des Paters angeht: Sicher, das ist, was es ist. Der hat sich aber nach seiner "Tat" selbst angezeigt, weil er auf diesem Wege auf die Problematik aufmerksam machen will. Eben "ziviler Ungehorsam", um auf einen wie ich denke echten Mißstand aufmerksam zu machen.

                    Danke jedenfalls für Ihre Erläuterung. Vielleicht finden Sie meine Antwort hier ja noch.