Tigray-Rebellen ziehen sich zurück: Wende im Äthiopien-Krieg
Der Vormarsch Richtung Addis Abeba ist beendet. Alle eroberten Gebiete außerhalb Tigrays werden aufgegeben. Die Wende brachten Kampfdrohnen.
Tigray-Brief an die UN
Das Schreiben ging an die UNO pünktlich zu einer Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats zum Konflikt in Äthiopien, der als derzeit blutigster der Welt gilt. Im November 2020 hatte Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed, der das Land seit 2018 regiert, die Tigray-Regionalregierung der früher in ganz Äthiopien dominanten TPLF (Tigray.-Volksbefreiungsfront) abgesetzt und die Kontrolle über Tigray übernommen, unterstützt vom Nachbarland Eritrea. Die TPLF-Truppen, zu denen die kriegserfahrensten Teile der äthiopischen Armee gehören, eroberten ihre Region allerdings bis Ende Juni 2021 zurück, mit Ausnahme des Tieflands an der Grenze zu Sudan. Sie drangen tief nach Äthiopien vor, in Richtung der Hauptstadt Addis Abeba.
Dort verhängte die bedrängte Regierung im November den Ausnahmezustand, eine Massenverfolgung von Tigrayern setzte ein. Die Tigray-Kämpfer verbündeten sich mit Rebellen in anderen Landesteilen und erreichten Debre Sina knapp 200 Kilometer nördlich von Addis Abeba, der höchste Punkt der 800 Kilometer langen Straße, die Tigrays Hauptstadt Mekelle mit Addis Abeba verbindet.
Doch gelang den Tigray-Rebellen der Durchbruch nicht. Stattdessen setzte Äthiopiens Armee massiv Kampfdrohnen ein, die sie unterschiedlichen Berichten zufolge aus der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Iran erworben haben soll, und zerstörte einen Großteil des schweren Kriegsgeräts der Tigray-Kämpfer. Diese zogen sich ab Anfang Dezember immer weiter zurück – „intakt und am Boden ungeschlagen“, wie Debretsion in seinem Brief euphemistisch die Flucht vor den Luftattacken umschreibt.
TPLF will nun durch diplomatischen Druck Ziel erreichen
Die TPLF will nun durch diplomatischen Druck erreichen, was ihr militärisch nicht gelang: einen Politikwechsel in Addis Abeba. Die internationale Gemeinschaft müsse jetzt „ihre Zögerlichkeit bei der Ausübung von Druck auf Abiy Ahmed und seine regionalen Komplizen, damit sie ihre Völkermordkampagne in Tigray beenden, einstellen“, schrieb TPLF-Sprecher Getachew Reda auf Twitter. Die Regierungen der USA und Großbritanniens begrüßten den Rückzug der Tigray-Kämpfer und sprachen von einer Chance für Friedensgespräche.
Aber Äthiopiens Regierung hat dies nicht aufgenommen. Sie bleibt bei ihrer Forderung, die TPLF müsse bedingungslos die Waffen strecken. Am Montag und Dienstag wurden massive äthiopische Drohnenangriffe auf zivile Ziele in Tigray mit Dutzenden Todesopfern gemeldet.
Denn der gegenseitige Hass ist ungebrochen. Zu Kriegsbeginn hatten Amhara-Milizen in Teilen Tigrays massive Verbrechen verübt. Während ihres Vormarsches Richtung Addis Abeba begingen wiederum die Tigray-Rebellen Massaker und Plünderungen. Bei ihrem Rückzug aus der größten von ihnen eroberten Stadt Dessie verwüsteten sie das größte Krankenhaus der Region. Nach UN-Angaben sind derweil bei Massenverhaftungen von Tigrayern im äthiopischen Regierungsgebiet 5.000 bis 7.000 Menschen spurlos verschwunden.
Wegen dieser Vorwürfe setzte der UN-Menschenrechtsrat vergangene Woche eine internationale Untersuchung ein, gegen den Willen Äthiopiens. International wird nun darauf geachtet werden, ob Äthiopien diese Untersuchung zulässt und humanitäre Hilfe ungehindert nach Tigray lässt. Seit die Tigray-Rebellen Ende Juni Äthiopiens Armee aus Tigray verjagten, konnten UN-Hilfswerke nur 12 Prozent des humanitären Hilfsbedarfs nach Tigray bringen. Dort sind nach UN-Angaben 5,2 der 6 Millionen Einwohner auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, 2,1 Millionen sind auf der Flucht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen