piwik no script img

Frauenrechte in AfghanistanOhne Schutz

Afghanischen Frauen, die Opfer sexualisierter Gewalt wurden und Anzeige erstatteten, droht Vergeltung. Denn die Taliban ließen viele Täter wieder frei.

Hat Glück und kann noch zur Schule gehen: Mädchen in der afghanischen Stadt Herat Foto: Petros Giannakouris/ap

Berlin taz | Seit im August die Taliban in Afghanistan die Macht übernommen haben, sind fast alle Unterstützungsangebote für weibliche Opfer sexualisierter Gewalt verschwunden. Zugleich nahm die Bedrohung von Mädchen und Frauen sowie ihrer Un­ter­stüt­ze­r*in­nen zu. Denn viele der bisher für Gewalt an ihnen verurteilten Männer ließen die Taliban frei und jetzt droht Rache. Zu diesem Ergebnis kommt ein am Montag von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) veröffentlichter Bericht.

„Schon vor der erneuten Herrschaft der Taliban ist die Lage von Frauen und Mädchen furchtbar gewesen: Neun von zehn Frauen haben in ihrem Leben mindestens einmal körperliche Gewalt erlebt,“ berichtet Theresa Bergmann von der deutschen AI-Sektion.

Doch jetzt sei das ohnehin unzureichende medizinische und psychologische Unterstützungssystem kollabiert: „Frauenschutzhäuser sind geschlossen worden, es gibt keinen Pro-bono-Rechtsbeistand mehr, keine medizinische Hilfe.“ Viele Frauen, die zuvor Schutz gefunden hätten, seien seitdem auf der Straße gelandet, manche gar von den Taliban inhaftiert worden.

AI-Generalsekretärin Agnès Callamard forderte von den Taliban, die Wiedereröffnung von Notunterkünften zuzulassen. Die internationale Gemeinschaft sollte Frauenhäuser langfristig finanzieren.

AI-Expertin: Mehr Druck auf die Taliban nötig

Bergmann forderte von der neuen Bundesregierung: „Das im Koalitionsvertrag festgelegte Aufnahmeprogramm für gefährdete Af­gha­n*in­nen muss zügig umgesetzt werden.“ Es brauche internationalen Druck auf die Taliban, sodass sie ihre eigenen Zusagen zum Schutz der weiblichen Bevölkerung erfüllten.

Die Taliban suchen internationale Anerkennung und scheinen sich bewusst zu sein, dass sie dafür Frauen und Mädchen besser behandeln müssen als in ihrer ersten Regierungszeit (1996–2001), als ihnen zum Beispiel der Zugang zu Bildung verwehrt wurde. Erst am Freitag hatte die Taliban-Regierung ein Dekret zu Frauenrechten vorgelegt, das Zwangsheiraten verbietet.

Als AI die Taliban jetzt mit dem Bericht konfrontierte, erklärte deren Sprecher Suhail Shaheen laut AI: „Es gibt nach den Regeln des Islam keinen Platz für Gewalt gegen Frauen und Mädchen.“ Sie könnten sich an die Gerichte wenden, die sich ihrer Beschwerden annähmen.

Früher konnten sich Frauen beim Frauenministerium beschweren, das die Taliban aber abschafften. Doch jetzt dürfen Frauen in vielen Regionen nur noch mit männlicher Begleitung das Haus verlassen, womit eine Klage etwa gegen einen solchen Begleiter unmöglich ist.

Taz-Talk zu Flucht und Überleben in Afghanistan mit taz-Korrespondent Thomas Ruttig und Lena-Lotte Agger und Theresa Breuer von Luftbrücke Kabul am Freitag, 10.12.21, 19 Uhr, auf taz.de/talk

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare