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Putsch in SudanDas Drehbuch der Konterrevolution

Sudans Generäle agieren wie zuvor ihre mächtigen Freunde in Ägypten. Sie haben die Bevölkerung und wichtige internationale Partner gegen sich.

2010: Mubarak und Bashir verstanden sich prächtig. Ihre Nachfolger Sisi und Burhan heute auch Foto: Mohamed Nureldin/Abdallah Reuters

Kairo taz Es geht beim Putsch in Sudan um viel. Das Machtteilungsabkommen, das die Protestbewegung den Militärs nach dem Sturz des Diktators Omar El-Baschir vor zwei Jahren abgerungen hatte, war einzigartig in der arabischen Welt. Erstmals, so stand es dort geschrieben, sollte ein Militär tatsächlich freiwillig die Macht an eine zivile Regierung übergeben. In einer dreijährigen Übergangszeit sollte ein aus Zivilisten und Militärs bestehender Souveränitätsrat, ähnlich dem Amt eines Präsidenten, die großen Weichenstellungen geben, während eine zivile Regierung unter Premier Abdallah Hamdok das politische Tagesgeschäft übernahm. Ein Konstrukt, das bis Ende nächsten Jahres Gültigkeit haben sollte, bevor die Militärs sich dann endgültig aus der Politik zurückziehen und Wahlen organisiert werden.

Die Herren mit den Waffen hatten offensichtlich andere Pläne. Schon seit Monaten torpedierten sie die zivile Regierung, die vor allem mit der schwierigen wirtschaftlichen Lage kämpft. Letzte Woche begann ein Sitzstreik von Anhängern einer erneuten Militärherrschaft vor dem Präsidentenpalast, sozusagen als Vorbote des jetzigen Putsches. Sie forderten, die Macht wieder ganz in die Hände des Militärs zu übergeben. Es war so etwas wie die Choreographie der Konterrevolution, bekannt aus dem Drehbuch im benachbarten Ägypten, wo der ehemalige Militärchef Abdel Fatah El-Sisi nach den chaotischen Zeiten, die dem Sturz des Diktators Hosni Mubarak folgten, mit seinem Militär die Macht übernahm.

Die Putschisten in Khartum dürften sich der Unterstützung aus Ägypten und aus den autokratischen Golfstaaten sicher sein, denen das sudanesischen Experiment im Übergang zu einer Demokratie von Anfang an ein Dorn im Auge war. Denn sie betrachten das als eine Gefahr für die eigene Machterhaltung.

International dürfte es für das sudanesische Militär aber nicht ganz so einfach sein. Washington beispielsweise gab sich nach dem Putsch im Sudan „zutiefst alarmiert“ und forderte die bedingungslose Wiedereinsetzung der zivilen Regierung. Auch EU-Chefdiplomat Josep Borrell twitterte seine “äußerste Besorgnis“. Die EU rufe alle Seiten und regionalen Partner auf, Sudans Übergangsprozess wieder auf Schiene zu bringen, fuhr er fort.

Der Machtkampf verlagert sich auf die Straße

Der größte Widerstand für Sudans Militärs dürfte allerdings von der eigenen Bevölkerung kommen, die bereits beim Sturz Bashirs einen langen Protest-Atem bewies. Der Machtkampf zwischen Militärs und Zivilisten wird in den nächsten Stunden und Tagen auf der Straße ausgetragen. Dabei haben die Militär die Waffen, aber die Protestbewegung hat einen politischen Vorteil.

Der Putsch schließt die Ränge der Demokratiebewegung, während sie zuvor im Tagesgeschäft oft zerstritten war. Und je bestimmter und einheitlicher die Protestbewegung auftritt, umso schneller könnten sich auch wieder Risse innerhalb des Militärs auftun, das in Wirklichkeit auch kein einheitlicher Block ist. Als sicher darf gelten, dass die reichen arabischen Golfstaaten versuchen werden, mit ihrem Geld die Balance in Richtung der erneuten vollen Machtübernahme des Militärs zu lenken.

Im Moment scheint hier noch alles offen. Sicher ist aber: Das sudanesische Experiment, den Militärs friedlich die Macht abzuringen, steht auf seinem bisher heftigsten Prüfstand. Für alle, die in der weiteren arabischen Welt auf eine nachhaltige Veränderung hin zum Guten hoffen, steht viel auf dem Spiel.

Seit über zwei Monaten bröselt vor ihren Augen Tunesien, das einzige demokratische Experiment, das aus dem Arabischen Frühling hervorgegangen ist, wo Präsident Kais Saied de facto die Gewaltenteilung aufgehoben hat. Mit Sudan droht nun der zweite arabische Hoffnungsträger verloren zu gehen.

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