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Grüne über Kritik an der Ampel„Ich bin gern eine Rebellin“

Cansin Köktürk ist eine der wenigen Grünen, die eine mögliche Ampel-Koalition öffentlich kritisieren. Ein Gespräch über Hartz IV, Moria und ihre Arbeit.

Grünen-Mitglied Cansin Köktürk geht es vor allem um soziale Fragen Foto: Finn Kantus
Nele Karsten
Interview von Nele Karsten

taz: Frau Köktürk, in der Sendung von Markus Lanz haben Sie gesagt: „Es ist ein Skandal, dass so viele junge Leute die FDP gewählt haben.“ Warum bezeichnen Sie das Wählen einer demokratischen Partei als Skandal?

Cansin Köktürk: Mich hat es sehr erstaunt, wie viel mehr Beachtung das Wort „Skandal“ bekommen hat als die ganze Diskussion der sozialen Frage, die ich vorher geführt habe. Ich bin eine Freundin der Demokratie, das steht gar nicht zur Debatte, jeder hat eine freie Wahl. Soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz fehlen mir aber bei der FDP. Das sind zwei zentrale Punkte, die unsere Zukunft entscheiden, und nicht Wirtschaft und Digitalisierung. Deshalb habe ich nicht verstanden, warum gerade so viele junge Menschen diese Partei gewählt haben. Aber nach wie vor bleibe ich beim Wort „Skandal“, ich werde das nicht zurückziehen. Für mich ist es ein Skandal, wenn wir über das Wirtschaftswachstum die Menschlichkeit vergessen.

Sie sind Sozialarbeiterin in Bochum. Welche Perspektive bringen Sie durch Ihren Beruf mit in die Politik?

Ich habe den Bezug zur Realität. Es ist einfach etwas anderes, wenn man mit Menschen zusammengearbeitet hat, die bedürftig sind und die dir in die Augen gucken und verzweifelt sind. Ich glaube, ich habe damit eine andere Motivation, an die Dinge heranzugehen. Weil ich die Bedingungen verändern will für Menschen, die ich kenne. Mir tun die Menschen leid und ich kann es nicht mehr ertragen, als Sozialarbeiterin nicht auch politisch etwas zu tun.

Im Interview: Cansin Köktürk

Cansin Köktürk, 28, ist Sozialarbeiterin in Bochum. Sie ist seit einem Jahr Grünen-Mitglied und sitzt im Bochumer Parteivorstand. Zwei Jahre lang arbeitete sie in einer Unterkunft für Geflüchtete und ist Vorsitzende der Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum. Köktürk wird im nächsten Jahr für den Landtag Nordrhein-Westfalen kandidieren.

Sie sprechen davon, in die Politik zu gehen, weil Ihnen „Menschen leidtun“. Ist das nicht ein sehr paternalistisches Motiv, von oben herab?

Ich finde das nicht paternalistisch, nein. Es ist so: Ich möchte den Menschen eine Stimme geben, die nicht gehört werden.

Nehmen Sie uns mit in Ihren Alltag. Welche Sorgen, welche Fragen begegnen Ihnen?

Es sind immer Warum-Fragen. Warum wird mir das Geld gekürzt? Warum bekomme ich keine Unterstützung? Warum erhalte ich nur eine dreimonatige Duldung? Aktuell arbeite ich bei der ambulanten Jugendhilfe. Es gibt viele Geldprobleme, ein niedriges Bildungsniveau und zu wenig Unterstützung. Als Sozialarbeiterin fällt es mir sehr schwer, immer antworten zu müssen: „Das ist halt die Sozialpolitik oder die Asylpolitik. Ich kann es nicht ändern.“

Was denken Ihre Kli­en­t:in­nen über die aktuelle Regierungsbildung?

Was die Menschen wirklich beschäftigt, ist: Was wird sich jetzt verändern? Und diese Frage kommt immer wieder, ganz unabhängig davon, wer gerade die Regierung bildet. Bekommen wir mehr Unterstützung? Was habe ich am Ende des Monates zu essen? Wie wirkt sich das auf meine Kinder aus? Die Leute fragen nicht nach Wirtschaft oder Digitalisierung. Sie haben Zukunftsängste und Angst vor Armut. Es ist nicht so, dass sich meine Klienten hinsetzen und das Sondierungspapier lesen. Viele haben keinen Bock mehr auf Politik, weil sie denken: Greifbar ändert sich für mich wieder nichts.

Das Bürgergeld soll Hartz IV ersetzen. Das Ampelbündnis will die Sätze für das neue Bürgergeld anheben und Sanktionen für Arbeitslose abschwächen. Saskia Esken sagte im taz-Interview, das Bürgergeld müsse „auskömmlich“ sein. Was genau würde denn „auskömmlich“ für Menschen, die Sie betreuen, bedeuten?

Das kommt ganz auf die Lebensumstände an. Ich bin immer dafür, die Menschen individuell zu betrachten. Je nach Problemlage ist der Bedarf unterschiedlich. Der aktuelle Hartz-IV-Satz ist definitiv zu wenig. 600 Euro, das reicht vorne und hinten nicht. Den Vorschlag der Kindergrundsicherung unterstütze ich, das ist ein wichtiger Schritt, aber das angekündigte Bürgergeld ist meiner Meinung nach nicht mehr als eine Marketingstrategie.

Welche anderen Maßnahmen würden Ihren Kli­en­t:in­nen Verbesserungen bringen?

Die Sanktionen, die mit dem Bezug von Hartz IV einhergehen, müssen verschwinden. Deren Androhung ist so belastend für die Menschen, dass die Stressfolgeerkrankungen und der psychische Druck immens sind. Ich hatte eine Klientin, die starke Depressionen hatte und suizidgefährdet war. Sie war in einer Klinik, kam wieder und das Jobcenter hatte ihr nichts überwiesen, weil sie zwei Tage vergessen hatte, ihre Kontoauszüge nachzureichen. Nur mit der Hilfe einer Sozialarbeiterin kommt sie dann an ihr Geld, weil die Behörden sie nicht ernst nehmen, wenn sie sagt, ihr ging es nicht gut. Es würde die Menschen enorm entlasten, wenn sie wüssten, sie bekommen ihr Geld, egal, was passiert.

Sie haben die Flüchtlingsunterkunft am Nordbad in Bochum geleitet und sind Vorsitzende der Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum. Die Grünen sind stolz auf das Bekenntnis zur „humanitären Verantwortung“ im Sondierungspapier, aus dem sich die Aufgabe ableitet, „das Sterben im Mittelmeer genauso wie das Leid an den Außengrenzen zu beenden“. Welche Handlungen müssen daraus folgen?

Wenn wir über Menschenrechte und Humanität sprechen, müssen wir das auch leben. Wir brauchen mehr Taten statt Worte. Der Winter kommt jetzt. Wir sehen Menschen auf Moria ohne fließendes Wasser. Kinder drohen an der deutsch-polnischen Grenze im Wald zu sterben. Wir haben genug Platz in Deutschland. Warum starten wir nicht eine Revolution der Menschlichkeit und holen die Leute hierhin, ohne lang mit anderen Staaten zu diskutieren? Natürlich muss Europa dieses Problem gemeinsam lösen, das bestreite ich nicht. Aber irgendjemand muss anfangen. Konkrete Maßnahmen gegen das Sterben auf dem Mittelmeer fehlen im Sondierungspapier. Legale Fluchtwege müssen geschaffen werden, damit niemand mehr auf dem Weg zu uns sein Leben riskieren muss. Es könnte meine Familie sein, es könnte deine Familie sein, denn niemand hat sich ausgesucht, wo er auf die Welt kommt. Es wird immer argumentiert, Deutschland habe ja schon Menschen aufgenommen. Aber das war 2015 und das ist sechs Jahre her.

Mitte Oktober stimmte der Länderrat der Grünen für die Aufnahme der Koalitionsgespräche mit SPD und FDP. Es gab zwei Gegenstimmen, eine davon war Ihre. Ihre ampelkritische Rede ging in den sozialen Medien viral. Hat Sie das überrascht?

Es hat mich tatsächlich überrascht, ich dachte, es wäre normal, auch dagegenzustimmen. Viele haben meine Rede interpretiert, als wäre ich für eine erneute GroKo. Das ist falsch. Ich wusste, dass wir zustimmen, das war klar. Meine Stimme hätte die Entscheidung nicht verändert. Ich wollte als Delegierte des Länderrats zeigen: „Hey Leute, ich bin nicht hier, um einfach alles abzunicken. Ich will sagen, dass ich das nicht gut finde, was im Sondierungspapier steht.“ Und damit wollte ich einen gewissen Druck erzeugen. Ich habe in dem Moment für all die Menschen gesprochen, die nicht die Gelegenheit haben, vor Politikern auf einer Bühne zu reden. Und viele scheinen ähnlich gedacht zu haben.

Nach Ihrem Auftritt bei Lanz und der Rede beim Länderrat bezeichnet die Zeitung „Der Westen“ Sie als „grüne Rebellin“. Ist das die Rolle, die Sie anstreben?

Ich strebe diese Rolle nicht unbedingt an, aber ich glaube, dass jeder seinen eigenen Kopf hat und ihn auch nutzen sollte. Was mich ausmacht, ist, dass ich von dem Fraktionszwang und den Hierarchien innerhalb einer Partei nicht viel halte. Ich bin der Meinung, dass wir Experten viel mehr zuhören müssen. Es ist wichtig, aus realitätsnahen Erfahrungen zu schöpfen. Ich denke, dass man manchmal auch radikal entscheiden muss. Dann bin ich gern eine Rebellin.

Welche Pläne habe Sie für Ihre Zukunft bei den Grünen?

Grundsätzlich antworte ich auf Fragen wie „Wo siehst du dich in zehn Jahren“ immer: kommt auf die Klimakrise an. Ich weiß nicht, wo wir dann sind. Aber erst mal versuche ich jetzt, über die Landesliste in den Landtag zu kommen. Auch wenn Politik manchmal erschöpfend ist und man allein sein kann mit seiner Meinung – ich werde dranbleiben. Falls es nicht der Landtag wird, dann ja vielleicht irgendwann der Bundestag. All meine Wut und den Kummer, den ich über die Jahre angesammelt habe, möchte ich umwandeln in etwas, das dann am Ende tatsächlich den Menschen hilft.

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25 Kommentare

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  • Natürlich wählen die genannten Personengruppen keine FDP. Dumm ist nur dass sie überhaupt nicht wählen. Die Bilanz sähe anders aus wenn sie dies täten.

  • 3G
    33955 (Profil gelöscht)

    Zum Thema Sozio-ökonomische -Probleme in der Republik stimme ich sehr gerne zu.



    Zum Thema Außenpolitik, Flüchtlinge- unter Vorbehalt!



    Es ist halt sehr komplex. So komplex, dass die Herrschaften in Brüssel, Berlin und co. hilflos gegenüberstehen.

    Die Grünen: die Grünen tragen die Farbe grün weil sie sie geerbt hat. So "grün" wie sie in Entstehungsphase waren, ist die Partei nicht mehr. Hellgrün, ja,- wie der ganze Brei im Bundestag, der verblasst ist.



    Sozial- waren (und sind) die Grünen nicht. Ökologisch sind sie dabei auch den Namen Grün(TM) zu verlieren- wenn die Ampel 🚦kommt.



    Ich denken, dass eine neue Partei (Liste- "die Ökologie") die langsam aber stetig wachsen wird, die Grünen ersetzen werde. Sobald Ahrtal sich wiederholen wird, erst recht!

    Frau Köktürk ist besser bei der Partei Die Linke aufgehoben- doch ich fürchte diese ist dabei sich einen "Kopfschuss" zusetzen.

    Leider werden die "Ideale" verlieren und der Kampf des "Meins" die Gesellschaft beherrschen.

  • Als jemand, der einige Jahre in einem sozialen Brennpunkt gearbeitet hat, sehe ich die Dinge ganz ähnlich wie Cansin Köktürk. Sozialarbeit wird am Ende des Tages immer nur ein Selbstzweck sein können, wenn die Politik, die die Weichen zu den sozialen Verwerfungen gestellt hat, es weiterhin nicht schafft, einen sozialen Ausgleich auf allen Ebenen zu organisieren. Passiert das nicht, kann Sozialarbeit auch extrem kontraproduktiv wirken, indem es die Ungleichheiten nur zementiert und darüberhinaus mithilft, gesellschaftliche Schieflagen zu individuellen, persönlichen Schieflagen umzudeuten. Sozialarbeit darf kein Instrument politischer Perversion sein.

  • Wenn wir soviel Platz haben wie Frau Köktürk behauptet, weshalb gibt es dann in vielen Städten so gut wie keine bezahlbaren Mietwohnungen? Auch beim Wohnungsmarkt gehts um Angebot und Nachfrage und offensichtlich ist die Nachfrage bereits heute schon so groß, dass das Angebot ungenügend ist.

  • Hallo Frau Köktürk,



    den Artikel heute in der taz (bin Abonnentin) habe ich mit großen Interesse gelesen. Und natürlich verstehe ich, dass Sie im Umgang mit notleidenden Menschen starkes Mitgefühl haben. Habe ich auch in dem Moment.



    Wie stellen Sie sich denn soziale Gerechtigkeit vor ? Die mir zugänglichen Informationen sehen so aus, dass die einen arbeiten und Steuern zahlen und die anderen krank sind und vom Amt finanziert werden. Jedenfalls nicht arbeiten. Diese Aufteilung ist NICHT gerecht. Zumal diejenigen, die nicht arbeiten, meistens gesund genug sind, um mehrere Kinder in die Welt zu setzen. Diesen Widerspruch müssen Sie mir erklären. Vielleicht in einem weiteren Artikel. Danke.

  • Man kann bei diesen Forderungen nur den Kopf schütteln. Frau Kökturk vergisst bei all Ihren Forderungen, dass am Ende jemand diese auch bezahlen muss. Ohne eine funktionierende Wirtschaft, wird dies aber nicht möglich sein. Es ist spannend zu sehen, ob diese Frau für die zukünftigen Grünen spricht.

  • Gutes Interview einer erstklassigen Politikerin!



    Schade, das es nur wenige davon gibt!



    Ausnahmsweise sag ich dazu "Weiter so!", Frau Köktürk!!!

  • Wenn man über Regelsätze redet, darf man eines nicht vergessen: die Warm-Miete, Krankenversicherung ebenso wie Sonderbedarf (warmer Mantel) werden zusätzlich übernommen. Damit ist bereits bei einem Regelsatz von 450 Euro der Gesamtförderbetrag in der Nähe oder über 1000 Euro.



    Studenten müssen meistens mit weniger auskommen.



    Und was sagt man denn dann den arbeitenden Geringverdienern, die diese Ansprüche nicht haben?



    Was die Dame hier fordert ist nichts weniger als der verschleiterte Einstieg in ein BGE.



    Kann man machen, wenn mans bezahlen kann.

    • @u62:

      Was sagt man den arbeitenden Geringverdienern?

      Ganz einfach, daß ihre Löhne viel zu niedrig sind.

      Und dann garantiert man *jedem* den Mindestlohn. Jeder der arbeiten geht, Minijobber, Azubi, Aushilfe, Betreuerin, Pflegekraft, alles Mindestlohn - das wäre mal ein anständiges Ziel für die Politik.

      Dann ist auch der Abstand zwischen Sozialhilfeempfängern und "Arbeitenden" wieder hergestellt.

      Hartz-4-Empfänger arbeiten übrigens auch, sie werden schließlich in mehrstündige Maßnahmen gezwungen, wo sie sinnlose Tätigkeiten ausüben müssen. Das ist durchaus vergleichbar...

      • @kditd:

        Mindestlöhne sind quatsch. Schon bei Teilzeitbeschäftigten laufen sie als Maßnahme der sozialen Sicherung ins Leere.



        Für das weite Feld der unbezahlten Arbeit (fast zwei Drittel der in Deutschland geleisteten Arbeit ist unbezahlt) greifen sie natürlich auch nicht.



        Am BGE führt kein Weg vorbei - der Rest ist Marktwirtschaft.



        Siehe auch www.grundeinkommen...tzenswert-ist.html

    • @u62:

      Es gibt keinen warmen Mantel. Das gab es mal bei der ehem. Bundessozialhilfe. Ansonsten muss ich Ihnen recht geben. Es gibt Menschen, die kein Transfer bekommen und trotzdem weniger auf Tasche haben- isso. Ob freiwillig oder unfreiwillig. Was nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass die meisten Bezieher von ALG II erwerbstätige Aufstocker sind.

    • @u62:

      Geld ist doch immer reichlich da, nur eben nicht für die, die es einfach nur zum Leben brauchen. Für die Bankenrettung war Geld da, für eine Maut, die ausser der CSU niemand brauchte, war Geld da, für ein bayrisches Weltraumprogramm, für Subventionen von Kohle, Diesel und Flugbenzin war immer Geld da, für den BER, die Elbphilharmonie, Stuttgart 21, die Lufthansarettung, sinnlose Polizeieinsätze, unmenschliche Bürokratien, zweifelhafte Behörden, Corona Gewinner und systematische Umweltzerstörung ist immer Geld da - nur zur gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen ohne nennenswertes Einkommen in einer ansonsten übersättigten SUV-Gesellschaft soll kein Geld da sein?. Ist doch komisch - finden Sie nicht?

      • @Rainer B.:

        Der Punkt an vielen dieser Beispiele ist, dass sie - VIELLEICHT sogar einschließlich des BER ;-) - wirtschaftlich betrachtet Investitionen sind, also Geld, das man in einen Prozess gibt, um damit einen letztlich geldvermehrenden Effekt zu erzielen. Es wird nicht nur verbraucht. Deshalb sitzt solches Geld naturgemäß auch lockerer, denn sein Verlust aus der Staatskasse kann mit der Aussicht auf Kompensation auf gleicher Ebene gerechtfertigt werden. Immaterielle Vorteile wie ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit sind dagegen schwerer abzuwägen.

        Sagen wir es so: Wenn ich 2 Euro für ein Straßenbahnticket ausgebe, damit ich rechtzeitig zum Job komme, wo ich dann wegen der gesparten Zeit 5 € mehr verdienen kann (alternativ: ...damit ich die potenziell 60 € Strafe für Schwarzfahren spare), dann ist die Investition der 2 € selbsterklärend. Gebe ich sie allerdings für den Super-Lolly aus, den mein Sohn sich schon seit Wochen erträumt, mag es mir das trotzdem wert sein (Wozu ist die Knete da, wenn nicht um Menschen WIRKLICH glücklich zu machen?), aber meine Frau sieht das eventuell anders, und es ist auch IHR Geld. Also kaufe ich das Ticket, den Lolly aber im Zweifel nicht.

        • @Normalo:

          Geld ist also da und fließt in jedem Fall zurück in einen Geldkreislauf. Nur so kann Geld ja auch überhaupt einen Sinn haben.

          • @Rainer B.:

            Aber der Geldkreislauf ist kein Selbstzweck, denn Geld kann man nicht essen. Er macht nur Sinn, wenn das Geld beim Zirkulieren einen verkonsumierbaren Mehrwert schafft (bzw. den Mehrwert quantifiziert, den der jeweilige Mensch schafft, der das Geld dafür erhält).

            • @Normalo:

              Geld schafft doch nie einen Mehrwert - egal, ob es nun zirkuliert, oder nicht.

              • @Rainer B.:

                Deshalb habe ich die Aussage ja präzisiert: Geld quantifiziert den Mehrwert. Geschaffen werden muss er in der Tat durch reale Leistung. Umgekehrt verschwinden Werte durch Konsum. Das ist der wahre Kreislauf. Geld ist nur ein Medium, um Leistungen austauschbarer zu machen.

                Stellen sie sich eine Barter-Gesellschaft vor: Die kommt ohne Geld aus, aber trotzdem muss Leistung erbracht werden, um Tauschgüter zu schaffen. Und Konsum vernichtet diese dann wieder. Am Ende kommt eine Nullsumme raus.

                Investitionsgüter sind dagegen Werte, die als Hebel zur Schaffung von Mehrwert eingesetzt werden. Sie werden nicht konsumiert, und ihr Wert bemisst sich daran, wie groß die Hebelwirkung ist. Stimmt die Relation, ist der Mitteleinsatz ipso facto gerechtfertigt. Werden hingegen nur Konsummöglichkeiten bereitgestellt und entsprechend Werte verbraucht, ergibt das keinen materiellen Gegenwert, der dem Kreislauf wieder zugeführt werden kann. Und deshalb stimmt zwar die Aussage, dass Geld auch durch reinen Konsum wieder in den Geldkreislauf fließt, aber es stimmt nicht, dass dieser Vorgang in Summe werterhaltend ist.

                • @Normalo:

                  Die Investition in zufriedene Menschen ist unterm Strich doch mehr als nur werterhaltend.

                  • @Rainer B.:

                    ...aber der "return on investment" ist ganz klar immateriell, damit schwerer abzuschätzen (zumal: "Zufrieden" ist bei echten MENSCHEN, die nunmal zum großen Teil mit dem Mehr-geht-immer-Gen geboren sind, ganz schön ambitioniert...) und in Euro und Cent abzuwägen. Darauf wollte ich oben hinaus.

                    • @Normalo:

                      Ach, wenn Sie nur wüssten. Kranke Systeme sind leider immer selbstreferenziell und begründen sich nur immer wieder selbst durch ihre Existenz.

                      • @Rainer B.:

                        Ah, die Systemefrage. Die kommt irgendwie immer, wenn die Argumente ausgehen.

                        Aber fein: da ich offenbar nicht weiß, erleuchten Sie mich: Wenn es ein System gäbe, das eine ausgeklügelte materielle Gleichheit hinkriegt, ohne letztlich materialiistisch zu ticken wieso hat es sich noch nicht durchgesetzt? Könnte es sein, dass ein zu großer Teil der Menschen aktiv nach Ungleichheit strebt und immer Maßstäbe finden wird, an denen sie sich messen lässt?

                        • @Normalo:

                          Dass die eklatante Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen Ausdruck eines kollektiven Willens sein könnte, wird man getrost ausschließen können. EOF

                          • @Rainer B.:

                            Ich würde schonmal nie von einem "kollektiven Willen" sprechen. Wir sind schließlich nicht Bork. Gesellschaftliche Entwicklungen sind die Summe einer Unzahl von Einzelentscheidungen, basierend auf individuellen Prioritäten.

                            In diesem Sinne: Natürlich steht niemand gerne auf der Verliererseite. Aber von vornherein nicht auf der Gewinnerseite stehen zu können, weil Gewinnen unzulässig ist, wollen die meisten Menschen eben noch weniger - zumal die Geschichte gezeigt hat, dass das eher Alle zu Verlierern macht. Ihnen ist daher der Preis zu hoch, den sie für die Unterbindung der Ungleichverteilung zahlen würden.