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Gespräche nach BundestagswahlWarten auf ein Umspringen der Ampel

Grüne und FDP nehmen ihre Rolle als Königsmacherinnen ernst – und wechseln vom Wahlkampf- in den Verhandlungsmodus.

Beide sprechen von Wandel – aber von welchem? Wahlplakate der Grünen und FDP in Münster Foto: Rüdiger Wolk/imago

BERLIN taz Auf den ersten Blick klingt der Plan völlig einleuchtend: Die beiden Kleineren schließen sich zusammen, um den Größeren unter Druck zu setzen. Genau das haben FDP und Grüne vor. Christian Lindner kündigte noch am Sonntagabend an, zu erst mit den Grünen zu reden. Deren Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock signalisierte, dass sie das für eine gute Idee hält.

Klappt das? Es wäre jedenfalls ein Novum. Üblicherweise werden in Deutschland Koalitionen so verhandelt, dass die stärkste Partei zu Sondierungen einlädt – und dann abwägt, welche PartnerInnen am geeignetsten sind. FDP und Grüne wollen den Spieß nun herumdrehen – und vielleicht sogar Olaf Scholz und Armin Laschet gegeneinander ausspielen.

Wird es die Ampel unter Wahlsieger Scholz? Oder gibt es doch ein Jamaikabündnis, das der geschwächte Laschet nach seiner historischen Niederlage zu schmieden versucht? Nicht die Großen würden über die Koalition entscheiden, sondern die Kleinen. Aber der Plan birgt Widersprüche. Sie ergeben sich aus der Komplexität der Situation, aus der Unterschiedlichkeit der PartnerInnen in spe und auch aus der Spielernatur von Christian Lindner.

Als Annalena Baerbock und Robert Habeck am Montagnachmittag in der Berliner Bundespressekonferenz Platz nehmen, sehen beide müde aus. Sie haben nach der Wahlparty in der Kreuzberger Columbiahalle nachts im engsten Kreis ihre Strategie abgestimmt. Was müsste eine Vorabsondierung mit der FDP ergeben? Es dürften jedenfalls nicht kleine Spiegelstrich-Listen entstehen, sagt Baerbock. Stattdessen brauche es „eine gemeinsame Erzählung, wie man Deutschland modernisieren kann“.

Zwischen Grünen und FDP gibt es die größten inhaltlichen Unterschiede bei den Parteien des demokratischen Zentrums

Christian Lindner, FDP-Chef

Auch Habeck wiederholt das, was er auch schon in Interviews sagte. Eine Ampel sei nicht Rot-Grün mit ein bisschen gelbem Kitt, sondern ein solches Bündnis hätte „eine komplett eigene Logik“. Damit nimmt er Lindners Argument von 2017 auf. Der FDP-Chef hatte sich nach den geplatzten Jamaika­sondierungen mit Union und Grünen darüber beschwert, Erstere hätte nur mit Zweiteren verhandelt – und geglaubt, die FDP schon im Sack zu haben. Habeck deutet an, dass er eher an die Ampel glaubt als an Jamaika. Mit Blick auf die Union und Laschet sagt er: Führende Akteure müssten sich in Verhandlungen darauf verlassen können, dass sie Prokura im eigenen Laden hätten. Danach sieht es bei Laschet immer weniger aus.

Außerdem weist Habeck bereits auf Schnittmengen mit der FDP hin. Beide Parteien wollten etwa einen Bürgerfonds, um die gesetzliche Rente zu ergänzen, sagt er – auch wenn den Grünen eine ganz andere Finanzierung vorschwebe als der FDP.

Christian Lindner, etwas verspätet, stützt sich am Montagmittag auf das Redepult im Hans-Dietrich-Genscher-Haus in Berlin-Mitte. Vor ihm: die versammelte Hauptstadtpresse. Bis gerade hat sich der FDP-Bundesvorstand beraten. Rechts neben Lindner steht Generalsekretär Volker Wissing, und vielleicht ist seine Präsenz schon ein stillschweigendes Symbol an sich. Schließlich hat Wissing in Rheinland-Pfalz schon als Wirtschaftsminister in einer Ampelkoalition regiert.

Knackpunkt Finanzministerium

Lindner und Wissing sind nun die beiden starken Figuren der FDP, die die Vorsondierungen mit den Grünen aufnehmen wollen. Danach seien sie offen, für Einladungen von Union und SPD. „Zwischen Grünen und FDP gibt es die größten inhaltlichen Unterschiede bei den Parteien des demokratischen Zentrums“, sagt der FDP-Chef. Aber ganz so pessimistisch soll es dann doch nicht klingen.

FDP und Grüne hätten gemeinsam, dass sie sich „gegen den Status quo der Großen Koalition“ gestellt hätten. Weder Union noch SPD stünden „für Aufbruch“. Aber auf Details will Christian Lindner zu diesem Zeitpunkt nicht eingehen. Auch nicht darauf, ob dann Habeck oder Lindner das Finanzministerium beanspruchen würden oder besser keiner von beiden. Das könnte aber ein Knackpunkt werden: Sowohl Lindner als auch Habeck halten dieses Ministerium für zentral – und würden den Job gerne machen.

„Zeitnah“ sollten die Gespräche stattfinden, um zu prüfen, ob beide „ein fortschrittliches Zentrum einer neuen Koalition“ werden könnten, betont Lindner. Und Volker Wissing gibt den Rat, „sich auf inhaltliche Schwerpunkte zu konzentrieren, in welcher Konstellation auch immer.“

Auch von Habeck und Baerbock erfährt man kein Wort darüber, wann und wie genau die Gespräche stattfinden sollen. Das ist eine Konsequenz aus den Jamaikasondierungen 2017. Damals wurde fast alles in Echtzeit öffentlich. Dieses Mal werde strikt auf Vertraulichkeit geachtet, heißt es bei den Grünen.

Doch trotz der Blumensträuße, die am Tag nach der Wahl über die Tische gereicht wurden: Die Schwierigkeiten in der strategischen Romanze zwischen FDP und Grünen sind unübersehbar, nicht nur bei der Ministerfrage.

Die Bruchstellen

Da wären einmal die Inhalte. In der Finanzpolitik liegen Welten zwischen den beiden Parteien. Die Grünen wollen Gut­ver­die­ne­r:in­nen höher besteuern und eine Vermögensteuer, die FDP das Gegenteil: Steuersenkung für Reiche und Unternehmen, Soli abschaffen, Schuldenbremse. Und in der Sozialpolitik sieht es nicht anders aus: Die Grünen wollen weg von Hartz IV und Sanktionen, die FDP möchte ein liberales Bürgergeld, bei dem niemand so recht weiß, ob es am Ende nicht noch bitterer sein könnte als der Status quo. Immerhin bei den Zuverdienstregeln scheinen Kompromisse möglich.

Interessant wird es in der Klimapolitik. Während die FDP eigentlich nur mit dem Markt und Erfindergeist die Klimakrise bekämpfen will, setzen die Grünen auf viele konkrete Maßnahmen: Schneller, bis 2030, aus der Kohle raus, bis 2035 soll das gesamte Energiesystem auf Erneuerbare umgestellt sein, Subventionen für E-Autos oder Lastenräder sollen die Verkehrswende voranbringen – für die FDP sind Verbote, zu viele Vorgaben und Subven­tio­nen ein Graus. Es gibt also viele Hürden zu überwinden.

Dann sind da die unterschiedlichen Präferenzen, die wie ein Spaltpilz wirken können. Lindners Präferenz für ein Jamaikabündnis ist klar. Oft hat er im Wahlkampf betont, dass er mit der Union die größeren „Schnittmengen“ habe und ihm die Fantasie fehle für ein Ampelbündnis. Das wiederholt er nach der Wahl genau so. Aber er ist eben klug genug, um ein Ampelbündnis nicht auszuschließen – obwohl es in der FDP-Wählerschaft äußerst unbeliebt ist.

Bei den Grünen ist die Gefühlslage ambivalenter. Viele Funktionäre tendieren zur Ampel – und viel spricht dafür, dass es großen Teilen der Basis ähnlich geht. Mit der SPD ist man sich in vielem näher, vor allem in der Sozial- und Steuerpolitik. Sowohl Baer­bock als auch Habeck hatten vor der Wahl betont, am liebsten mit den SozialdemokratInnen regieren zu wollen. Aber Jamaika ginge im Zweifel wohl auch.

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Linke Grüne schlucken zwar angesichts der Aussicht, mit den Freidemokraten regieren zu müssen. Und Lindner gilt vielen Grünen als unsicherer Kantonist, von dem sie nicht recht wissen, was sie von ihm halten sollen. Das Jamaika-Aus 2017 wirkt bis heute nach. Aber solche Bedenken sind Nebensache angesichts der Aussicht, endlich gestalten zu können.

Es ist ja auch nicht so, als hätte sich in den vergangenen vier Jahren nichts getan zwischen Grünen und FDP. Das Verhältnis ist viel besser, als es die Wahlkampfpolemik erscheinen ließ. In der Opposition arbeiteten beide Fraktionen gut zusammen. Sie formulierten etwa – mit der Linke-Fraktion – einen Vorschlag für eine Wahlrechtsreform aus, um die zögernde Groko zu kontern. In der Sache zogen sie dann sogar vor das Verfassungsgericht.

Auch in der Innenpolitik verbündeten sich Grüne und FDP, etwa im Untersuchungsausschuss zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz. Entsprechend gut versteht sich Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt mit Christian Lindner oder Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann mit ihrem FDP-Kollegen Marco Buschmann.

Nach dem Scheitern von Jamaika 2017 organisierten die Innenpolitiker Konstantin von Notz (Grüne) und Stephan Thomae (FDP) eine gelb-grüne Gesprächsrunde. Alle paar Monate traf man sich in der Berliner Bar „Lebensstern“. Dabei waren zum Beispiel Eu­ro­pa­po­li­ti­ke­r*in­nen aus beiden Parteien.

Die Runde wird von den Initiatoren als sehr produktiv beschrieben. „Es gibt viele Unterschiede und auch ein paar harte Differenzen“, sagt Konstantin von Notz. „In der Innen-, Rechts- und Digitalpolitik liegen aber auch Gemeinsamkeiten.“ Es gebe seit Jahren einen kollegialen und vertrauensvollen Austausch. „Die Gesprächsatmosphäre zwischen FDP und Grünen dürfte im Jahr 2021 erwachsener und professioneller sein als im Jahr 2017“, sagt auch FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle.

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