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Familiennachzug aus AfghanistanDeutschpflicht bleibt

Beim Familiennachzug aus Afghanistan verzichtet die Bundesregierung nun auf Sprachzertifikate. Trotzdem sollen alle vorher Deutsch lernen.

Zwischen­station bei der Evakuierung in Usbekistan am 25. August: Viele mussten Familie zurücklassen Foto: Marc Tessensohn/Bundeswehr/reuters

Berlin taz | Auch nach dem Fall Afghanistans an die Taliban will die Bundesregierung darauf bestehen, dass An­trag­stel­le­r*in­nen für den Familiennachzug in ihrer Heimat Deutsch lernen. Das geht aus einer der taz vorliegenden Antwort des Auswärtigen Amtes (AA) auf eine schriftliche Frage der Linken-Bundestagsabgeordneten Gökay Akbulut hervor. Allerdings soll das bisherige strenge Visa-Regime zumindest etwas gelockert werden.

Lernen kann jede oder jeder auf seine beziehungsweise ihre Weise, an einer Sprachschule, in Onlinekursen, mit Part­ne­r*in oder im Selbststudium. Bisher aber war es zwingend, dass das Sprachzertifikat an einem Goethe-Institut abgelegt werden muss, etwa in Indien, Pakistan oder Usbekistan – das Goethe-Institut in Afghanistan ist seit 2017 geschlossen.

Zusätzlich erschwert wird die Antragstellung, weil auch die Konsularabteilung an der Deutschen Botschaft in Kabul 2017 nach einem Bombenanschlag geschlossen wurde, nach der Machtergreifung der Taliban ist die ganze Botschaft zu. Visa-Antragsteller*innen mussten und müssen nach Neu Delhi oder Islamabad reisen, die Wartezeiten für einen Termin liegen in der Regel bei mindestens einem Jahr. Vielfach dauert es Jahre, bis ein Visum erteilt wird – wenn überhaupt. Und auch wenn Gatte oder Gattin Deut­sche*r ist.

Deutschkenntnisse anders glaubhaft machen

In ihrer Antwort an Akbulut schreibt AA-Staatssekretärin Antje Leendertse jetzt, die Bundesregierung gehe „vorbehaltlich einer grundsätzlich erforderlichen Bewertung jedes Einzelfalls“ davon aus, dass für Menschen mit Wohnsitz oder dauerhaftem Aufenthaltsort in Afghanistan eine sogenannte A-1-Prüfung – gemeint ist damit ein Nachweis über einfache Sprachkenntnisse – „derzeit grundsätzlich weder möglich noch zumutbar ist“. Weiter heißt es: „Hinreichende Sprachkenntnisse können im Rahmen des Visaverfahrens daher alternativ glaubhaft gemacht werden.“ Wie genau das umgesetzt werden soll, geht aus der Regierungsantwort nicht hervor – eine Anfrage der taz dazu an das Auswärtige Amt blieb zunächst unbeantwortet.

Ende August war aus dem AA auf Anfrage betont worden, „dass für die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug grundsätzlich auch der Nachweis von einfachen Deutschkenntnissen erforderlich ist“. Damals bestand die Behörde noch darauf, dass dieser „in der Regel“ durch Vorlage eines „Zertifikats eines anerkannten Sprachinstituts“ wie des Goethe-Instituts erfolgen müsse. Ermessensregelungen etwa im Aufenthaltsgesetz oder im Visumhandbuch des Auswärtigen Amts wurden in den deutschen Visa-Stellen nach Darstellung der Bundestagsabgeordneten Akbulut in aller Regel nur sehr restriktiv oder gar nicht genutzt.

Die Linken-Politikerin begrüßte es als „wichtige, wenn auch überfällige Klarstellung“, dass auf die Sprachzertifikate des Goethe-Instituts nun künftig verzichtet werden soll. Dass Deutsch aber nicht erst nach Ankunft in Deutschland gelernt werden kann, hält sie unter den Bedingungen der beginnenden Taliban-Herrschaft für unzumutbar und zynisch, wie sie der taz sagte: „Wie sollen insbesondere Frauen in Afghanistan, die vor Sorgen umkommen und kaum noch das Haus verlassen können, sich jetzt auf das Erlernen der deutschen Sprache konzentrieren? Das ist doch so, als ob man Ertrinkende nach ihren Deutschkenntnissen fragen würde, bevor man ihnen einen Rettungsring zuwirft.“ Akbulut fordert vom AA: „Beim Ehegattennachzug aus Afghanistan ist auf Deutsch-Nachweise zu verzichten. Punkt.“

Das Thema betrifft Tausende, mit steigender Tendenz. Im August standen auf den „Terminwartelisten“ für die Vorsprache zur Beantragung des Familiennachzugs 4173 Afghan*innen, 2760 in Islamabad und 1413 in Neu Delhi. Im Mai hatte die Zahl noch bei insgesamt 3017 gelegen. AA-Staatssekretärin Leendertse kündigte an, dass derzeit eine personelle Aufstockung der Visastellen in den Nachbarländern Afghanistans „vorbereitet“ werde. Das mag als gute Nachricht für die Betroffenen gelten. Allerdings hatte Deutschland das Personal in den Konsularabteilungen Islamabad und Neu Delhi in den vergangenen zwei Jahren erst deutlich reduziert und damit das, wie Akbulut es nennt, „Schneckentempo“ bei der Bearbeitung von Anträgen auf Familienzusammenführung erzwungen.

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18 Kommentare

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  • Man sollte die Leute erstmal in Sicherheit bringen, DANACH sollen sie natürlich die Sprache ihres neuen Wohnortes lernen.

    Das ist aber nicht überall in Deutschland die deutsche Sprache. Dass das Niederdeutsche, das Ober- und Niedersorbische, das Nord- und Saterfriesische und das Dänische in Deutschland nach wie vor keinen Respekt genießen und weiter zurückgedrängt werden, ist eine Schande. Man könnte auch Deutschsprachige in den betreffenden Regionen per Gesetz verpflichten, die örtliche Sprache zu erlernen, das fände ich gut. Aber es gibt ja Leute, die eine "deutsche" Leitkultur favorisieren, da passt die Anerkennung der traditionellen Mehrsprachigkeit unseres Landes nicht ins Bild.

    Unabhängig davon: Wer Verfolgung durch die Taliban zu fürchten hat, muss erstmal in Sicherheit gebracht werden. Sprachenlernen kommt danach.

  • Solche zynischen Grundbedingungen sollen genau wie das Verzögern der Ausreisevisa und die verschlafene Evakuierung nur Eines bewirken. Die Ausreise nach Deutschland so schwer wie möglich zu machen und besonders jetzt vor den Wahlen wieder vermehrte Flüchlingsaufnahmen zu verhindern.

    Noch bis Ende Juli wurde nach Afghanistan abgeschoben, trotz des Wissens um den Truppenabzug und die gefahr einer neuen Talibanherrschaft.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Die Afghanen lernen im Gegensatz zu anderen Völkern schnell deutsch. Bei Iranern ist das Gleiche zu beobachten. Es scheint an der Ähnlichkeit der Sprachstruktur zu liegen.

    • @17900 (Profil gelöscht):

      Weiß nicht.

      Denken Sie daran, dass in den betroffenen Gebieten mehrere sehr verschiedene Sprachen gesprochen werden. Was natürlich auf einen großen Anteil der Afghanen und Iraner (aber nicht auf alle) zutrifft, ist, dass sie Persisch, Paschtunisch oder andere Indogermanische (auch: Indoeuropäische) Sprachen sprechen. Das Deusche gehört ebenfalls zu dieser Sprachfamilie, da liegt eine entfernte Verwandtschaft vor. Andere Bevölkerungsteile sprechen aber zum Beispiel Usbekisch oder Turkmenisch, das sind Turksprachen, die sind überhaupt nicht mit dem Deutschen verwandt.

  • Gökay Akbulut (MdB die Linke): „Das (Verlagen von Nachweisen über Deutschkenntnisse) ist doch so, als ob man Ertrinkende nach ihren Deutschkenntnissen fragen würde, bevor man ihnen einen Rettungsring zuwirft.“

    Liebe Frau Akbulut liebe Linkspartei. Sie sind ein Rettungsring für die Demokratie in Deutschland. Wenigstens eine Partei im Bundestag erkennt, dass das Handeln des SPD geführten AA in den letzten Monaten und jetzt immer noch 1000 fache unterlassene Hilfeleikstung in Lebensgefahr ist. Der Rest des hohen Hauses duckt sich weg, hat Angst ein paar Wähler an die AfD zu verlieren. Es ist beschämend!

  • man muss sich für dieses Deutschland schämen... mal wieder

  • So viel zum Thema“Gleichheit vor dem Gesetz“. Jetzt gibt es Gruppen, denen die Erlangung von Sprachzertifikaten nicht mehr zugemutet werden kann. Warum soll dies noch für andere Länder gelten ?

  • Deutschpflicht ist Rassismus pur und zeigt wie tief koloniales Gedankengut in Deutschland verwurzelt ist. Was wir brauchen ist eine Gesellschaft, die Geflüchteten offen gegenüber steht und die Respekt vor kulturellen und religiösen Traditionen zeigt. Oder gilt für diese Menschen das Grundgesetzt nicht? Unsere Gesellschaft sollte endlich aufhören diese Menschen zwangs zu germanisieren. Dazu sind wir nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich (völkerrechtlich) verpflichtet.



    Wir sollten uns lieber darum kümmern, diesen Menschen ein menschenwürdiges Umfeld zu bereiten. Eine afghanischen Familie braucht eine vernünftige Wohnung und Unterstützung für den Lebensunterhalt und nicht Deutschzwang und Armut.

    p.s. praktische alle Kinder von Geflüchteten leben in Deutschland in bitterer Armut. Kinderarmut ist in erster Linie ein Problem dieser Kinder. Darum sollten wir uns endlich kümmern.

    • @V M:

      Wie will es eine afghanische Familie ohne Kenntnisse der Sprache des Landes, in dem sie lebt, aus der Armut schaffen? Insbesondere Frauen leiden unter fehlenden Sprachkenntnissen; das sieht man auch bei manch anderen Eingewanderten: da können sie nämlich nicht selbstständig werden, sondern bleiben unter der Fuchtel des im Patriarchat sozialisierten Mannes.

    • @V M:

      Das Grundgesetz gilt nicht für afghanische Staatsangehörige, die sich in Afghanistan aufhalten. Es wäre purer Kolonialismus, wenn unsere Rechtsordnung auf diese Personen angewendet würde. Und natürlich ist das Nichtbeherrschen der hiesigen Amtssprache ein Baustein zur Armut. Da helfen nur Sprachkenntnisse und sonst nichts oder soll jede Person mit Kundenkontakt demnächst in allen Sprachen kommunizieren können, damit keine angebliche Diskriminierung geschehen kann ?

      • @Puky:

        Danke für diese zynische Belehrung. Ich rede von den Grundrechten der Menschen, die bereits in Deutschland sind und denen man mit Zwang ihre kulturelle Identität nehmen will. Welche Sprache ein Mensch sprechen will, hat der Staat nicht zu bestimmen.

        • @V M:

          Niemand wird vom Staat gezwungen, irgendeine Sprache zu sprechen. In welcher Sprache Nicht-Deutsche in ihrer Freizeit kommunizieren geht den Staat zurecht nichts an. Richtig ist aber trotzdem, das zur Teilhabe an der Mehrheitsgesellschaft Kenntnisse der deutschen Sprache wichtig sind. Insofern ist es Voraussetzung, das jeder Zugewanderte zumindest die deutsche Sprache als Zweit- oder Drittsprache rudimentär beherrscht. Dies ist aber weder rassistisch noch wird dadurch irgendjemand seine kulturelle Identität genommen.

        • @V M:

          Wenn jemand verstanden werden will, sollte aber schon eine allgemein verständliche Sprache gesprochen werden. Oder ist es Ihnen egal, dass sie nicht mit anderen kommunizieren können?

    • @V M:

      Was ist denn Ihrer Meinung nach eine "zwangsgermanisierung"?

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @V M:

      Ne Nummer kleiner geht es nicht?

      Früher waren wir alle Nazis und jetzt nur noch Kolonialheren?

      Wer hier lebt, muss Deutsch lernen. Die Frage ist nur, ob vor Ort oder dort.

      Respekt vor "unserer" Kultur setze ich als selbstverständlich voraus.

      Und "praktische alle Kinder von Geflüchteten leben in Deutschland in bitterer Armut." stimmt nicht.

      • @4813 (Profil gelöscht):

        Dass die Kinder von Geflüchteten in "bitterer Armut" leben, mag vielleicht vom rein materiellen her nicht stimmen, denn sie bekommen in den Flüchtlingseinrichtungen hinreichend zu essen, haben ein Dach überm Kopf und erhalten eine, wenn auch im Vergleich zu Normalversicherten, eingeschränkte medizinische Versorgung.

        Aaaber: Es gibt längst nicht immer Kita-Angebote, oft noch nicht einmal Spielzeug. Die Schulpflicht wird ausgesetzt bzw. ausgetrickst und auch sonst gibt es für Kinder und Jugendliche keine Integrationsangebote.

        Dadurch erst vergrößert sich der Rückstand zu den endemischen Kids bis auf uneinholbare Distanz.



        Hier leisten Eltern aus Afghanistan (und Iran) oft aus eigener Initiative heraus Erstaunliches und lernen selber und mit den Kindern nicht nur die deutsche Sprache, sondern kümmern sich auch um sonstige Integrationsbelange wie Jobs und Behördenkram. Hier stand natürlich bis vor kurzem die deutsche Asylpraxis mit der Ignoranz von BAMF und Gleichgültigkeit von Bezirksregierungen dagegen, was zusammen mit den Nachrichten aus der Heimat für ein hohes Frustrationspotential bei den Geflüchteten sorgte. Bei den allermeisten Menschen aus Afghanistan, die ich bei meiner Arbeit in den Flüchtlingseinrichtungen kennenlernte, habe ich überhaupt keine Bedenken bezüglich erfolgreicher Integration in Deutschland und sehe sie bereits jetzt mit gemeinnützigen Tätigkeiten über die Flüchtlingseinrichtungen oder selbst gesuchten Jobs als Bereicherung unserer Gesellschaft an.

        Gerade in Wahlkampfzeiten sollten aktuelle Sprüche von z.B. Habeck zu den Evakuierten aus Afghanistan in Relation zu kritisierten Äußerungen von Wagenknecht gesetzt werden.

        Leider macht politische Kurzsichtigkeit anstatt die Chancen zu nutzen vor keiner Partei halt.

        • @Khaled Chaabouté:

          Das sind Ihre Erfahrungen. Leider gibt es auch jede Menge anderer Geschichten . Alles in allem ist das alles nicht so easy.

        • @Khaled Chaabouté:

          Liebe/r Kahled!



          Ja, mit Wagenknecht hast recht! An den Flügel der Linken hatte ich nicht gedacht, als ich meinen Kommentar oben geschrieben habe.