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Rechtskräftige NSU-UrteileZu früh für einen Schlussstrich

Konrad Litschko
Kommentar von Konrad Litschko

In die Erleichterung über die rechtskräftigen NSU-Urteile mischt sich ein bitteres Fazit. Zu viele Fragen und die Dimension des NSU sind ungeklärt.

Demonstration in München mit Bildern der NSU-Opfer, August 2018 Foto: Lino Mirgeler/dpa

E s ist ein Schlusspunkt und darf doch keiner sein. 21 Jahre nach dem ersten Mord an Enver Şimşek, zehn Jahre nach dem Auffliegen des NSU-Terrors und drei Jahre nach dem Prozessende erklärt der Bundesgerichtshof nun die Urteile gegen ­Beate Zschäpe und zwei Mitangeklagte für rechtskräftig. Die Entscheidung belohnt die ausdauernde Beweisaufnahme des Münchner Strafsenats um Manfred Götzl. Und sie ist auch eine Erleichterung für die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer, für die eine Aufhebung des Zschäpe-Urteils ein Horror gewesen wäre.

Die Betroffenen werden dennoch nicht abschließen können. Nicht nur, weil zu Recht noch einmal über den engsten NSU-Vertrauten André ­Eminger verhandelt werden muss. Sondern auch, weil bis heute entscheidende Fragen zum NSU-Terror ungeklärt sind. Wonach wählte das Trio seine Opfer aus? Gab es dabei weitere Helfer? Woher kamen die Waffen? Wusste der Verfassungsschutz doch mehr?

Es waren diese Punkte, denen sich das Gericht in München nicht widmete. Sie gehören aber an anderer Stelle weiter aufgeklärt, um die ganze Dimension des NSU-Terrors zu erfassen und alle Beteiligten zur Verantwortung ziehen zu können. Die Realität aber ist leider eine andere. So sind bis heute bei der Bundesanwaltschaft Verfahren gegen neun mögliche NSU-Helfer offen – in denen endlich Anklage erhoben werden muss, um deren Schuld zu klären. Dass dies, zehn Jahre nach dem Auffliegen des NSU, noch nicht geschehen ist, kommt einem Offenbarungseid gleich.

In der rechtsextremen Szene wird dies wahrgenommen. In Liedern wird dort dem NSU gehuldigt, Eminger und der frühere NPD-Mann Ralf Wohlleben werden unterstützt und verehrt – beide sind auch selbst ungeniert weiter aktiv. Ein staatliches Durchgreifen, eine Abschreckung nach dem Terror? Ist dort längst nicht mehr zu spüren.

In die Erleichterung über die rechtskräftigen Urteile mischt sich deshalb ein bitteres Fazit. Dabei darf es nicht bleiben. Nicht nach dem Tod von zehn Menschen. Es sind zu viele Fragen offen, um einen Schlussstrich zu ziehen.

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Konrad Litschko
Redaktion Inland
Seit 2010 bei der taz, erst im Berlin Ressort, ab 2014 Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" im taz-Inlandsressort. Von 2022 bis 2024 stellvertretender Ressortleiter Inland. Studium der Publizistik und Soziologie. Mitautor der Bücher "Staatsgewalt" (2023), "Fehlender Mindestabstand" (2021), "Extreme Sicherheit" (2019) und „Bürgerland Brandenburg" (2009).
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7 Kommentare

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  • Zitat: „Dabei darf es nicht bleiben. Nicht nach dem Tod von zehn Menschen.“

    Es ist noch keine drei Generationen her, da sind (ganz grob geschätzt) 13 Millionen Menschen gestorben durch rechten Terror. die gefallenen Soldaten noch nicht eingerechnet. Und? Was hat sich getan daraufhin?

    Gut, es hat ein paar wirklich „starke“ Urteile gegeben (und sehr viele verbale Erklärungen/Beteuerungen). Bis heute werden (inzwischen greise) Einzeltäter abgeurteilt, damit sich die übrige Gesellschaft mit jedem neuen Urteil zufrieden auf die Schultern/Schenkel klopfen und sich der finalen Aufarbeitung ihrer Geschichte ein Stück näher gekommen fühlen kann. Irgendwann, so eine beliebte Vorstellung, kann dann mal Schluss sein mit dem Nachdenken über das Grauen und die Unmenschlichkeit. Vor allem aber kann Schluss sein mit sinnlosen Schuldzuweisungen an Leute, die noch gar nicht geboren waren 1945. Denn Schuld ist ja vor allem eins in einem Rechtsstaat: sehr individuell.

    Auch dieses Urteil, denke ich, löst wieder viel zu viele positive Empfindungen aus, als dass es Zweifel an seiner Richtigkeit aufkommen lassen könnte. Und wie das nun mal ist, wenn Freude Menschen in einer Art Rausch vereint: sie schauen mehr nicht so genau hin. Wer freut sich mit einem und wieso? Ist der beschwipste Saufkumpan wirklich sympathisch? Und ist das nicht letztlich auch völlig egal? Schließlich: Schon morgen hat die Realität einen zurück. Und die ist leider nicht wirklich erfreulich. Sie ist auch kein Grund zum Feiern. Sie ist anstrengend, ärgerlich und im Grunde nur besoffen zu ertragen. Es darf also nicht nur bleiben bei diesem für alle (außer Frau Zschäpe) erfreulichen Urteil. Es muss sogar. Schon im (gefühlten) Interesse aller (Anti-)Faschisten.

  • Ein Armutszeugnis, aber eine Krähe hakt der anderen kein Auge aus. Die Verantwortlichen können froh dass das BMI die Staatsanwaltschaft stellt, die ja eben so auch den VS stellt. Somit wird es nie einen Kläger geben...



    Egal ob NSU oder anderen Faschoverbrechen die unter den Augen des VS passiere und wo der VS Waffen und Logistik lieferte.

    Der Staat schaut nicht mehr nur zu bei den Faschomorden sondern ist längst zum Handlanger geworden!

  • Da Tschäpe jetzt ohnehin die Höchststrafe bekommen hat, hat sie keinerlei Anreiz, jetzt noch etwas zu sagen. Vermutlich kommt da nichts mehr dabei raus.

    • @Anna Schneider:

      Ist doch nicht die einzige die da Infos liefern könnte. Nur solange die VS-Behörden Dokumente schwärzen, Reports 30 Jahre lang unter Verschluß halten dürfen (120 waren geplant!), wird es da nichts weiter geben. Und schon gar nicht wenn das BMI als das kontrolliert, über den VS, Staatsanwalt etc.

      • @Daniel Drogan:

        Es ist doch eher nicht zu erwarten, dass in den Berichten enthalten ist, wonach der NSU seine Opfer auswählte oder woher sie ihre Waffen haben.

        • @rero:

          Das nicht, wenn er doch aber nicht so wichtig ist, warum sollte er für 120 Jahre unter Verschluß gehalten werden? Eventuell würde man dann doch darin sehen das der VS leider viel zu viel in die Faschoszene an Geld, Waffen, Autos und Logistik gesteckt hat, als wir ohnehin eh schon wissen und eventuell würde dann doch mal eine Änderung dieser Politik beschlossen werden.

    • @Anna Schneider:

      Immerhin hat sie jetzt ein geregeltes leben und darf sogar arbeiten, wenn sie brav ist. Interessant wäre es, von wem sie noch Besuch bekommt.