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Indigene Übersetzerin in MexikoDie Geschichte der Malinche

War die indigene Übersetzerin des spanischen Eroberers Hernán Cortés eine Vermittlerin zwischen den Kulturen? Die Erinnerung ist umstritten.

Indigene Tänzerin, aufgenommen 2017 in Mexiko Stadt Foto: Jessica Espinosa/picture alliance

H at die Malinche die indigene Bevölkerung Mexikos verraten? Oder war sie eine brillante Frau und Mediatorin zwischen den Kulturen, die zum Opfer der Verhältnisse wurde?

Lange Zeit bestanden kaum Zweifel, dass die Weggefährtin des spanischen Eroberers Hernán Cortés große Verantwortung für den Fall der Aztekenhauptstadt Tenochtitlán im August 1521 trug und deshalb eine Verräterin für „ihr Volk“ war.

Selbst in der Umgangssprache hat sich diese Sicht auf die Frau durchgesetzt, die als Tochter einer indigenen Familie zur Welt kam. Als „malinchista“ werden Personen bezeichnet, die ausländischen Interessen mehr Bedeutung zumessen als den mexikanischen. In der nationalistisch orientierten Gesellschaft des Landes dürfte es wenig Schimpfworte geben, die schwerer wiegen.

Der Vorwurf gegen „La Malinche“, die auch Malintzin, Malinalli oder Doña Marina genannt wird, hat einen ambivalenten Hintergrund. Ohne sie wäre Cortés möglicherweise im Kampf gegen den aztekischen Machthaber Moctezuma gnadenlos untergegangen. Zunächst war sie als Sklavin bei dem spanischen Eroberer gelandet, später begleitete sie ihn bei seinen Feldzügen, übersetzte bei Verhandlungen und bekam mit ihm ein Kind.

Kritik der Historiker und Feministinnen

Das alles bot die Grundlage für ihre Zuschreibung als „Verräterin“ und „Prostituierte“, die sich im und nach dem Unabhängigkeitskampf im 19. Jahrhundert durchsetzte. Ausgerechnet die weißen Eliten, die Nachfahren der ersten Konquistadoren, stärkten diesen Diskurs, um Mexiko vom „Fremden“ als Nation abzugrenzen.

Einige Feministinnen und Historiker kritisieren diese Zuschreibung schon lange, da sie zum Ziel habe, die historische Bedeutung indigener Frauen unsichtbar zu machen. Blickt man genauer auf das wenige, was von Malintzin bekannt ist, ergibt sich das Bild einer intelligenten sprachbegabten Frau, die wissentlich oder gezwungen die weibliche Rolle in den Gesellschaften der Mexicas, Totonaken und Mayas radikal infrage stellte.

Da sie Cortés als Übersetzerin und Vermittlerin diente, nahm sie an seinen Verhandlungen mit den mächtigsten Männern teil. Das stieß bei den indigenen Herrschern auf großes Befremden, wie der Film „Malintzin, die Geschichte eines Rätsels“ zeigt.

Die komplexe Geschichte der Kolonisierung

In der Person Malintzin spiegelt sich die Komplexität der Kolonialisierung wider. Die Indigene hatte allen Grund, mit den Spaniern gegen Moctezuma zu kooperieren, schließlich kam sie von einem Volk, das von den in Tenochtitlán herrschenden Mexicas unterdrückt und ausgebeutet wurde.

Nicht anders erging es den Totonaken und der Bevölkerung der Region Tlaxcala, die sich mit Hilfe der Malinche mit den Konquistadoren gegen Moctezuma verbündeten. Ohne diese Allianzen hätte Cortés keinen Stich gemacht – und ohne Malintzin wären sie wohl nicht zustande gekommen.

Die Kritik an der diskriminierenden Zuschreibung der Malinche ist auch bei der Regierung angekommen. Vergangene Woche wurde im ehemaligen Tenochtitlán und heutigen Mexiko-Stadt an die Eroberung vor 500 Jahren, am 13. August 1521, erinnert. Neben der Ruine des aztekischen Tempels, auf dem seit Jahrhunderten eine Kathedrale thront, inszenierte die Regierung eine Sound-und-Licht-Show über das Leben in der Aztekenmetropole.

Die negierte Bedeutung der indigenen Frauen

Präsident Andrés Manuel López Obrador bezeichnete die Kolonialisierung als Katastrophe, und die Hauptstadtbürgermeisterin Claudia Sheinbaum kritisierte die Stigmatisierung der Malinche. Man wolle die Bedeutung indigener Frauen in der Gesellschaft insgesamt hervorheben und müsse im Konkreten mit ihr anfangen, sagte sie.

Ob dieser Vorsatz jenseits des Spektakels in Mexiko-Stadt bei den Nachfahren der Opfer der Eroberung Tenochtitláns ankommt, muss sich erst noch zeigen. Denn auch wenn die Malinche als „Vermittlerin zwischen den Kulturen“ interpretiert wird, begegneten sich diese Kulturen natürlich nicht auf Augenhöhe. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

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Wolf-Dieter Vogel
Korrespondent
Wolf-Dieter Vogel, Jahrgang 1959, ist Print- und Radiojournalist sowie Autor. Er lebt in Oaxaca, Mexiko. Seine Schwerpunkte: Menschenrechte, Migration und Flucht, Organisierte Kriminalität, Rüstungspolitik, soziale Bewegungen. Für die taz ist er als Korrespondent für Mexiko und Mittelamerika zuständig. Er arbeitet im mexikanischen Journalist*innen-Netzwerk Periodistas de a Pie und Mitglied des Korrespondentennetzwerks Weltreporter.
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6 Kommentare

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  • Für mich ein sehr interessanter Artikel.



    Die Malinche ist ja ein großes Thema.



    Natürlich keine Ahnung gehabt.



    Dona Marina



    brill.com/view/boo...846746851_s006.xml



    Etwas weniger "anstrengend" dafür richtig, schön gut:



    Gabino Palomares y Amparo Ochoa - La Maldición de malinche



    www.youtube.com/watch?v=AJ5UJw8Litc



    Whow!

    • @Ringelnatz1:

      Da darf Sie - nicht fehlen - fürs heute:



      La Paloma - Eugenia Léon laß gehn - 🦅-



      m.youtube.com/watch?v=rseGPY848hk



      Das Jahr vierundsechzig, Gott helfe mir



      El año sesenta y cuatro, válgame Dios



      Wir waren im Interventionskrieg



      Estábamos en la Guerra de Intervención



      Der Tanz der Taube war in aller Munde



      La danza de la paloma hacía furor



      Inmitten der Katastrophen der Nation



      En medio de los desastres de la nación



      Maximilian mit all seinen Verrätern



      Maximiliano con todos sus traidores



      Die Eindringlinge hielten sich für unbesiegbar



      Se creían invencibles los invasores



      Präsident Juárez und seine Patrioten



      El presidente Juárez y sus patriotas



      Sie ließen sich von Niederlagen nicht entmutigen



      No se desanimaban con las derrotas



      Der Eindringling kam über die Nation



      Se vino el invasor por toda la nación



      Ay zerstört unsere Häuser



      Ay destruyendo nuestros hogares



      Ohne Mitleid zu haben



      Sin tener compasión



      So verging das Jahr 94



      El año 94 así pasó



      Wir waren im Streit um die Nachfolge



      Estábamos en la lucha de sucesión



      Der Tanz der Münzen war in aller Munde



      La danza de las monedas hacía furor



      Zu den Göttern des Krieges und der Korruption



      A los dioses de la guerra y la corrupción



      Wenn eine Taube an deiner Grenze ankommt



      Si a tu frontera llega una paloma



      Pass auf, dass es kein Geier ist



      Cuida que no sea buitre



      Was steht bevor



      Lo que se asoma



      Wie viel brauchen wir Benito Juárez



      Cuánta falta nos hace Benito Juárez



      Neoliberale Vögel rupfen



      Para desplumar aves neoliberales



      Brechen Sie nicht das Land



      No te quiebres país



      Hier ist mein Lied



      Aquí está mi canción



      Als ein Adler und eine Schlange



      Que un águila y una serpiente



      Verteidige die Nation



      Defienden la nación



      Oh kleine Taube von gestern und heute



      Ay palomita de ayer y hoy



      Gegen Rassismus und Intervention



      Contra el racismo y la intervención



      Fliegentaube an die Grenzen



      Vuela paloma a las fronteras



      Nimm einen Stern von deiner Flagge



      Quita una estrella a su bandera



      Dass wir keine Imperialismen wollen



      Que no queremos imperialismos

      • @Lowandorder:

        & Wichtiger Rest

        Wir haben deinen Zynismus satt



        Estamos hartos de su cinismo



        Dass unsere Lüfte souverän sind



        Que nuestros aires son soberanos



        Wir sind Chinesen und Mexikaner



        Somos chinacos y mexicanos.

        • @Lowandorder:

          Wirklich schön!



          Das läßt einen doch die Unpäßlichkeiten des Jetzt's vergessen.;-)



          Diese Variation mit die Taube kannt ick nich.

  • Es gab eben auch schon im 16. Jahrhundert "Ortskräfte". Die Rolle von Kollaborateuren ist naturgemäß immer umstritten.