Serie über Drogenkrieg in Mexiko: Das Morden geht weiter

Zum Verbrechen gezwungen werden, ist bitterer Alltag in Mexikos Drogenkartellen. Die Netflix-Serie „Somos.“ erzählt von den Opfern.

Eine Filmszene, in der eine Frau einem mann ein Messer zeigt.

Doña Chayo (Mercedes Hernandez) und Paquito (Jesús Sida) in der Serie „Somos.“ Foto: Netflix/ap

Paquito sollte eigentlich kochen, aber er zieht es vor, zu flüchten. Denn wenn bei den „Zetas“ vom „Kochen“ und der „Küche“ die Rede ist, geht es darum, Leichen in Metallfässern zu verbrennen. Doch der Versuch des jungen Mannes, sich der Zwangsarbeit des Kartells des organisierten Verbrechens zu entziehen, kostet ihn selbst das Leben. Die Kriminellen erschießen ihn. Wenige Wochen vorher haben ihn Polizisten grundlos verhaftet und in ein Gefängnis gesteckt, das den Zetas als Hauptquartier dient. Dort wird er mit anderen Häftlingen zusammen abgeholt und dazu gezwungen, an einem Massaker in einer nordmexikanischen Kleinstadt teilzunehmen.

Paquito ist einer der Protagonisten der Netflix-Produktion „Somos.“, die jetzt bei dem Streaming-Anbieter angelaufen ist. Seine Geschichte ist so realistisch wie die von allen, die in der Miniserie eine Hauptrolle spielen. Niemand von ihnen hat sich freiwillig entschieden, für ein Kartell zu arbeiten. So auch nicht Maria, die entführt wurde und sich in einem illegalen Bordell prostituieren muss, oder Benjamin, der unerwartet an der gewaltsamen Eintreibung von Schutzgeld beteiligt ist. Sie alle bezahlen in der Serie mit dem Leben.

In den letzten Jahren sind eine Menge Serien über den sogenannten mexikanischen Drogenkrieg entstanden. Einige erheben den Anspruch, wie „El Chapo“ über den Mafiaboss Joaquín Guzmán, eine an der Wirklichkeit orientierte Geschichte zu erzählen. Doch keine der Produktionen wird dem so gerecht wie „Somos.“. Dem Film liegt ein blutiger Überfall auf die Kleinstadt Allende nahe der US-Grenze zugrunde, der 2011 stattgefunden hat. 300 Menschen wurden damals hingerichtet.

Serie zeichnet das Bild eines grausamen Alltags

„Somos.“ zeigt, wie ein Kartell den Alltag der Menschen bestimmt. Das geht weit über das Geschäft mit Marihuana, Opium oder Heroin hinaus. Die Kriminellen durchdringen alle wirtschaftlichen Bereiche: von der Prostitution über Menschenschmuggel bis zur Autowäsche.

Der Autor ist taz-Koresspondent in Mexiko.

Da „Somos.“ diese alltäglichen Verhältnisse aufzeigt, macht die Serie deutlich, dass das, was in Allende geschah, jeden Tag wieder passieren kann. In vielen Gemeinden Mexikos herrschen solche Verhältnisse. Die Pulitzerpreisträgerin Ginger Thompson hatte den Fall Allende recherchiert und auf der Plattform pro publica 2017 veröffentlicht. Die US-Journalistin konzentrierte sich auf die überlebenden Opfer der Kriminellen und veröffentlichte zugleich den Hintergrund: Die Zetas, deren Gründer als Elitesoldaten von US-Experten ausgebildet worden waren, rächten sich mit ihrem Massaker an eigenen Leuten, die der US-Antidrogenbehörde DEA Informationen gesteckt hatten.

Der Verrat wäre wohl nie aufgeflogen, hätte die DEA ihr Wissen nicht an mexikanische Ermittler weitergegeben, die sofort die Zeta-Führung informierten.

Mexikanische Verhältnisse eben. Wenig verwunderlich, dass auch lokale Polizisten und die Leitung des nahegelegenen Gefängnisses in Allende für die Kriminellen arbeiteten. Erst lange Zeit später berichteten Journalisten über das Massaker, schließlich konnte jede Recherche tödlich enden. Die Strafverfolger ließen sich drei Jahre Zeit, bis sie erstmals vor Ort ermittelten. Dabei hatten die Überlebenden gleich nach dem Angriff die Armee informiert, für die damals in dieser Region der heutige Verteidigungsminister Luis Cresencio Sandoval zuständig war. Sowohl das Militär als auch die bundesstaatliche und die föderale Regierung hielten still.

Die Zetas haben sich mittlerweile ziemlich zerlegt, doch das Morden geht weiter. Täglich kostet der Terror der Kartelle viele Menschen das Leben. In den vergangenen Tagen starben bei Kämpfen in der Stadt Buenavista im Südwesten Mexikos mindestens 45 Menschen. Die Bewohnerinnen und Bewohner hatten Schutz von der Armee gefordert. Doch die Sicherheitskräfte, so schrieben sie in sozialen Netzwerken, hätten sie im Stich gelassen. So wie damals in Allende.

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Wolf-Dieter Vogel, Jahrgang 1959, ist Print- und Radiojournalist sowie Autor. Er lebt in Oaxaca, Mexiko. Seine Schwerpunkte: Menschenrechte, Migration und Flucht, Organisierte Kriminalität, Rüstungspolitik, soziale Bewegungen. Für die taz ist er als Korrespondent für Mexiko und Mittelamerika zuständig. Er arbeitet im mexikanischen Journalist*innen-Netzwerk Periodistas de a Pie und Mitglied des Korrespondentennetzwerks Weltreporter.

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