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Corona in DeutschlandMehr Delta-Fälle, weniger Impfungen

Während die Zahl der Delta-Infektionen steigt, wird gleichzeitig weniger geimpft. Und die Regierung lockert Reisebeschränkungen.

Immer weniger Menschen lassen sich immunisieren. Betriebsimpfung in München Foto: Andreas Gebert/reuters

Berlin taz | Seit über zwei Monaten entwickeln sich die Corona-Infektionszahlen in Deutschland nur in eine Richtung – nämlich deutlich nach unten. Wurden Ende April im Schnitt noch 20.000 neue Fälle pro Tag gemeldet, sind es derzeit gerade mal 600 – also weniger als ein Dreißigstel. Doch diese positive Entwicklung dürfte bald vorbei sein.

Grund dafür ist die sogenannte Delta-Variante, jene Coronamutation, die zuerst in Indien gefunden wurde und in vielen Ländern wieder zu steigenden Zahlen führt. Ihr Anteil an der Gesamtinfektionszahl steigt auch in Deutschland schon länger, doch in absoluten Zahlen schien sie zunächst eher zu stagnieren. Seit zwei Wochen ist nun aber auch bei der absoluten Zahl der Delta-Infektionen ein Anstieg zu sehen, wenn auch deutlich geringer als beim Anteil.

Laut dem jüngsten Virusvariantenbericht des Robert-Koch-Instituts, der am Mittwochabend veröffentlicht wurde, hat sich der Delta-Anteil an den Gesamtinfektionen in der vorletzten Kalenderwoche (14. bis 20. Juni) im Vergleich zur Vorwoche auf rund 37 Prozent mehr als verdoppelt. In absoluten Zahlen entspricht das im Vergleich zur Vorwoche einem Anstieg um etwa 10 Prozent; über einen Zeitraum von zwei Wochen liegt das Wachstum bei 60 Prozent.

„Delta wird bald auch in Deutschland die dominierende Variante sein“, kommentierte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Donnerstag diese Entwicklung. Tatsächlich spricht viel dafür, dass das bereits der Fall ist und schon jetzt mehr als 50 Prozent der Infektionen auf das Konto von Delta gehen; der RKI-Bericht gibt schließlich den Stand von vor zehn Tagen wider. Setzt sich die Entwicklung fort wie bisher, dürfte die Gesamtzahl der Infektionen darum spätestens ab übernächste Woche wieder steigen.

Beim Impftempo stockt es

Die wichtigste Maßnahme, um das zu verhindern, ist laut Spahn, das Tempo beim Impfen weiterhin hoch zu halten. „Eine vollständige Impfung schützt auch gegen Delta“, sagte er. „Es liegt an uns, ob Delta eine Chance hat.“ Was Spahn nicht sagte: Genau dabei hapert es derzeit. Die Zahl der Corona-Impfungen lag in Deutschland im 7-Tage-Mittel zuletzt wieder bei unter 750.000 pro Tag; vor zwei Wochen waren es noch 100.000 mehr am Tag.

Anders als in der Vergangenheit liegt das stockende Tempo kaum noch an der Verfügbarkeit des Impfstoffes – im Gegenteil: In der laufenden Woche sollte mit über 10 Millionen Dosen so viel geliefert werden wie nie zuvor; auch von den besonders beliebten mRNA-Impfstoffen von Biontech und Moderna war mit 6,5 Millionen Dosen eine Rekordlieferung angekündigt.

Der Grund für die zurückgehenden Impfzahlen ist nicht wirklich klar. Zum einen dürften inzwischen viele, die es unbedingt wollen, ihre Erst­impfung erhalten haben: Am Donnerstag waren knapp 46 Millionen Menschen mindestens ein Mal geimpft, was 55 Prozent der Gesamtbevölkerung und 62 Prozent der Menschen über zwölf entspricht, die theoretisch impffähig sind.

Zudem könnte es eine Rolle spielen, dass aufgrund der Ferien, die in mehreren Bundesländern begonnen haben, sowohl Impfende als auch potenziell Impfwillige im Urlaub sind. Regional scheint es dabei aber deutliche Unterschiede zu geben: Während in manchen Bundesländern Impftermine völlig oder fast ohne Wartezeit verfügbar sind, ist es in Hamburg und Nordrhein-Westfalen offenbar teilweise noch schwierig, kurzfristig Termine zu bekommen.

Die Zahl der in Deutschland gemeldeten Coronatoten ist unterdessen im 7-Tage-Mittel auf unter 50 Tote pro Tag gesunken; vor zwei Monaten lag dieser Wert noch fünfmal so hoch. Und anders als bei den Neuinfektionen dürfte die Zahl der Toten weitersinken. Denn anstecken werden sich absehbar vor allem Kinder und Jugendliche, die derzeit noch ungeimpft sind, bei denen aber das Risiko eines schweren Verlaufes oder des Todes sehr gering ist.

Warnendes Beispiel Großbritannien

Zudem wird es auch bei vollständig Geimpften Infektionen geben, doch schwere Verläufe und vor allem Tod sind bei Geimpften ebenfalls selten. In Großbritannien etwa hat sich die Zahl der Neuinfektionen im Juni mehr als versechsfacht; die Zahl der Hospitalisierungen und Todesfälle im Zusammenhang mit Corona hat sich dagegen im gleichen Zeitraum nur auf niedrigem Niveau verdoppelt.

Weil sich die Delta-Variante in Deutschland ausbreitet, werden die Reisebeschränkungen für Länder, in denen sie bereits dominiert, ­demnächst abgeschwächt werden. Derzeit ist eine Einreise aus Ländern mit hohem Delta-Anteil, darunter Großbritannien, Portugal und Russland, stark eingeschränkt.

Deutsche, die dort Urlaub machen, müssen anschließend zwei Wochen in Quarantäne, auch wenn sie vollständig geimpft sind. Das werde angesichts des demnächst vergleichbaren Delta-Anteils und der guten Wirksamkeit der Impfungen auch gegen Delta in Kürze geändert, so Spahn; einen genauen Termin nannte er nicht. Aus Ländern, die nur als einfaches Risikogebiet gelten, entfallen Einreisebeschränkungen ab sofort.

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2 Kommentare

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  • Es zeichnet sich laut repräsentativer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey ein klares Ost/West - Nord/Süd Gefälle ab. Sachsen ganz hinten mit dabei, mit einer Impfbereitschaft von unter 60%.

  • Was ist eigentlich so die Strategie der Regierung angesichts des Umstands, dass die Effektivität der Impfungen gegen *leichte* Erkrankungen mit dem Aufkommen der Delta-Variante nicht mehr groß genug ist, im Herbst ein erneutes exponentielles Wachstum und damit eine weitere Welle zu verhindern - sofern man nicht weiter Infektionsschutzmaßnahmen beibehält?

    (Wohlgemerkt, die Impfungen helfen gut gegen schwere Erkrankungen, aber eben nicht so gut gegen leichte symptomatische Erkrankungen, mit denen auch jemand, der geimpft ist, das Virus an noch nicht Geimpfte weiter geben kann.)

    - Will die Regierung die Epidemie dann frei laufen lassen (wie die britische Regierung das anscheinend vor hat) ? Vielleicht sogar nach dem Motto "je schneller alle nicht Geimpften infiziert sind, desto besser"?

    - Hat sie vor, noch weitere besonders gefährdete Personengruppen zu schützen?

    - Wie steht es mit ausführlicher Impfinformation und den Merkblättern und Einverständniserklärungen in der Muttersprache von Migranten? (Übrigens haben Menschen, die nicht ausreichend Deutsch können, ganz grundsätzlich vor medizinischen Eingriffen ein Recht auf Übersetzung).

    - Was sind die weiteren Schritte, um ausreichend zu klären wie sehr Kinder und Jugendliche von ernsthaften Erkrankungen und Long Covid gefährdet sind? Wir hier einfach mit der Annahme gearbeitet, dass "unsere" Kinder ja gesünder sind, als in den angeblich überall Junk-Food-essenden USA?

    - Falls doch Personengruppen wie junge Erwachsene, Jugendliche, Asylbewerber oder Kinder durch Schutzmaßnahmen geschützt werden sollen, welche Maßnahmen sind genau geplant? Wie steht es z.B. mit Arbeit in Großraumbüros? Wenn Kinder und deren Schulunterricht, wie so oft gesagt wird, oberste Priorität haben, welche Bereiche und Aktivitäten sollen dann zurück stehen?

    - Wenn doch kein Schulbetrieb mit Präsenzunterricht möglich ist, welche anderen Möglichkeiten gibt es, den sozialen Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden? Wird da was vorbereitet?