piwik no script img

Protest gegen Wohnen als WareVermeidbare Zwangsräumung

60 Menschen versuchen, die Räumung einer Wohnung im Bremer Viertel zu verhindern. Mieter hatte versäumt, auf die Briefe der Eigentümer zu reagieren.

Viele Unterstützer: Protest gegen Zwangsräumung in Bremen Foto: Lisa Bullerdiek

Bremen taz | Protestierende gegen eine Zwangsräumung sind am Dienstag von einem Großaufgebot der Bremer Polizei weggezerrt worden. Etwa 60 Menschen hatten den Zugang zu einem Hinterhof blockiert, sodass die Gerichtsvollzieherin nicht in die Wohnung gelangen konnte. Die Firma Müller & Bremermann hatte ihrem Mieter Udo K. gekündigt. Die Möglichkeit, dagegen Widerspruch einzulegen, hatte er nicht genutzt.

Um 12.32 Uhr ist alles ruhig vor der Hausnummer 120. Ak­ti­vis­t*in­nen stehen im Durchgang zum Hinterhof, halten ein schlaffes Banner und rauchen. Darauf steht: „Udo wird nicht geräumt.“ „Mich würde es sehr wundern, wenn die das heute durchziehen“, sagt Bahne Michels vom Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“.

Zweieinhalb Stunden später steht der Mieter Udo K. auf der gegenüberliegenden Straßenseite vorm Eiscafé Aldo und sieht zu, während junge Menschen wie Kreisel vom Zugang zu seinem Hinterhof weggeschleudert werden. Was ist passiert?

Seit Februar 2019 wohnte Udo K. in der Wohnung am Dobben. Die sei ein sicherer Hafen für ihn gewesen, die Nachbarschaft gut und eigentlich auch das Verhältnis zur Immobilienfirma. Als die Firma Müller & Bremermann zweimal Handwerker schickte, war er nicht zu Hause. Wegen gesundheitlicher und familiärer Probleme habe er auf die Schreiben der Immobilienfirma nicht geantwortet. Das war der Grund für die Kündigung.

Miete stets bezahlt

Seine Miete habe er immer rechtzeitig bezahlt, auch Müll war kein Problem. „Ich habe dann einfach nicht reagiert, als die Kündigung kam“, sagt K. Der Immobilienfirma macht er keine krassen Vorwürfe: „Die hätten mich gar nicht erreichen können.“ Nun habe er aber eine neue Wohnung in Aussicht, die er allerdings erst in zwei Wochen beziehen könne. So lange wolle er nicht auf der Straße landen. Einen Mietvertrag habe er allerdings noch nicht unterschrieben, sagt ein Unterstützer des Bündnisses.

Vor dem Edeka auf der anderen Straßenseite stehen mittlerweile die Gerichtsvollzieherin und ein Mitarbeiter von Müller & Bremermann, abgewandt von den Ak­ti­vis­t*in­nen und den Kameras. Gegenüber tritt die Polizei an die Kette von etwa 60 Protestierenden im Hauseingang heran und teilt ihnen die Forderung der Immobilienfirma mit: Sie sollen den Zugang zum Hinterhof sofort verlassen.

„Udo hat wegen Lappalien eine Kündigung bekommen“, sagt Michels. Wohnen sei die absolute Mindestanforderung für ein würdevolles Leben, sagt er. Und: „Wir sind grundsätzlich gegen die warenförmige Nutzung von Wohnraum.“ Von den etwa 800-jährlichen Zwangsräumungen in Bremen sei jede einzige zu viel. Mit der Firma direkt wolle man nicht reden, aber einen Dialog über Zwangsräumungen unter den Bür­ger*in­nen und in der Politik anstoßen.

Müller & Bremermann ist ein Lieblingsgegner: Der Firma gehört auch die bis vor kurzem noch besetzte Dete in der Neustadt. Ak­ti­vis­t*in­nen werfen den Unternehmern vor, das ehemalige Kulturzentrum einfach verfallen zu lassen, um damit zu spekulieren.

Mittlerweile ist es 13.52 Uhr. „Auf der anderen Seite läuft jetzt übrigens Bremermann vorbei“, schallt es aus den Boxen der Aktivist*innen. Allgemeine Buhrufe, ein paar vereinzelte Verpiss-dich-Schreie. Ein Mann mit grauen, langen Haaren läuft tatsächlich auf der anderen Straßenseite vorbei – allerdings nicht Marco Bremermann, wie der Pressesprecher des Unternehmens, Daniel Günther versichert.

Und den Grund für die Kündigung formuliert der Unternehmenssprecher auch anders als die Aktivist*innen, die von zwei verpassten Terminen sprechen. „An der Wohnung sollten Instandhaltungsmaßnahmen durchgeführt werden“, schreibt Günther auf Anfrage der taz, „was nicht möglich war, weil der Mieter über mehr als ein Jahr jede Kommunikation verweigerte.“ Ein Aufschub der Räumung von zwei Wochen sei aufgrund des Gerichtsurteils in dem Fall und der lange festgelegten Frist nicht möglich gewesen.

CDU und FDP empörten sich über die Linken-Abgeordnete Maja Tegeler, die eine Weste mit der Aufschrift parlamentarische Beobachter*in trug

Um 14 Uhr erklärt die Polizei die Versammlung für beendet, weil die Teil­neh­me­r*in­nen nicht 1,5 Meter Abstand zueinander halten. Doch die Demonstrierenden denken nicht daran zu weichen und versperren die Zufahrt weiterhin.

Die Bürgerschaftsabgeordnete Maja Tegeler von der Linken, die die Szenerie beobachtet, findet die Räumung überzogen und sieht den Innensenator von der SPD in der Verantwortung. „Ulrich Mäurer hätte solche Bilder verhindern können“, sagte sie.

Die Pressestelle des Innensenators teilt allerdings mit, Mäurer habe von nichts gewusst und keinen Kontakt zu dem Bündnis gehabt. Und die Räumung habe er ohnehin nicht stoppen können – wegen des vorliegenden Räumungsbeschlusses vom Amtsgericht. Eine Bewertung dieses Beschlusses stehe der Innenbehörde nicht zu.

Um 14.47 blockiert die Polizei mit einem Wagen die Spur vor dem Dobben, Nummer 120. Kurz danach rollen fünf Mannschaftswagen der Polizei die Straße herunter. Die Po­li­zis­t*in­nen steigen aus, sammeln sich vor der Einfahrt, tragen noch ein paar Stühle aus dem Weg.

Räumung in zehn Minuten

Dann zerren sie die Ak­ti­vis­t*in­nen aus der Einfahrt. Sie zerreißen dabei ein paar Shirts. Ab und zu schreit jemand. Die Menschen, die aus dem Tumult stolpern, reiben sich die Arme und Beine und verzerren die Gesichter. Nur zehn Minuten dauert es. Dann sind alle Ak­ti­vis­t*in­nen weg.

Mithilfe von „brutaler Gewalt“ sei das geschehen, schreibt das Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“ auf Twitter. „Auseinandersetzungen“ nennt es dagegen die Polizei Bremen in ihrer Pressemitteilung. Um 15.11 Uhr stehen statt Demonstrierenden in T-Shirts Po­li­zis­t*in­nen in Kampfmontur im Durchgang. Und Udo K. ist wohnungslos.

Die Zwangsräumung hat ein Nachbeben ausgelöst: CDU und FDP empörten sich über die Linken-Abgeordnete Maja Tegeler, die bei der Blockade eine Weste mit der Aufschrift „parlamentarische Beobachter*in“ trug. Sie hätte nicht den Eindruck erwecken dürfen, sie verträte das Parlament, kritisieren die Oppositionsparteien.

Damit zeige die CDU, dass sie auf der Seite der Besitzenden stehe, findet die Linke. „Unsere Solidarität gilt den Wohnenden“, konterte sie.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • 0G
    09968 (Profil gelöscht)

    Die ursprüngliche Intention zur Aufstellung von Gesetzen war, der Willkür des herrschenden Monarchen Grenzen zu setzen. Auch dieser emanzipatorische Ansatz wurde von den Herrschenden pervertiert und Gesetzeswerke wurden von Anfang an als Herrschaftsintrument benutzt. Ein sehr wichtiges Element, das in dem Artikel eine fundamentale Rolle spielt, ist die willkürliche Setzung eines Rechts auf Landeigentum.



    Eigentum an Boden ist kein natürliches Menschenrecht sondern die Deklaration eines Herrschaftsanspruchs zu Gunsten eines Einzelnen über ein Gebiet, das allen und niemandem "gehört". Eigentum an Boden kann nicht Bestandteil des Menschenrechts auf persönliches Eigentum sein, welches übrigens auch eine Grenze hat, nämlich da, wo es die Menschenrechte anderer beschneidet ("Eigentum verpflichtet"...).



    "Eigentum" unterscheidet sich von "Besitz": Menschen können durchaus ein Stück Land "in Besitz nehmen", um darauf ein Wohnhaus oder einen (bspw. landwirtschaftlichen) Betrieb zu errichten und zu betreiben. (Nur) die zur Errichtung und Instandhaltung aufgewendete Arbeit und Zeit verleiht ein echtes Besitzrecht.



    Bodeneigentum entstand als mordbrennende Eroberer mit ihren Kriegern Gebiete besetzten und zur Stabilisierung ihrer Herrschaft und Mehrung ihrer Macht Teile davon reichen Strauchdieben ("Hinter jedem großen Vermögen steht ein Verbrechen") gegen benötigte Ressourcen überließen. Dabei wurde aber gar keine greifbare Ware veräußert, sondern der jeweilige Herrscher sicherte dem Käufer zu, die Herrschaft des Käufers über "sein" lokal begrenztes Gebiet im Streitfall mit Gewalt durchzusetzen. Unterm Strich wurde also ein lokales Herrschaftsrecht verkauft, vergleichbar mit einem Schutzbrief der Mafia / des lokalen Warlords.



    Somit sind die Aussagen, die CDU stehe auf der Seite der Besitzenden bzw., die CDU stehe auf der Seite des Gesetzes, redundant. Und mehr noch: Die CDU steht auf der Seite der Diebe, Räuber, Ausbeuter, Unterdrücker, Vernichter von allem Natürlichen!

    • @09968 (Profil gelöscht):

      Da habe ich Sie aber nicht verstandern.

      Es geht doch gar nicht um das Recht am Eigentum von Boden, sondern um das Recht, in einem Mietshaus zu wohnern.

      Und da räumen sie ja selbst ein, dass man durch die aufgewendete Arbeit und Zeit ein Besitzrecht erwirbt.

      Da müssten Sie doch gemäß Ihren eigenen Gedanken zu einem ganz anderen Schluss kommen.

      Wann waren mordbrennende Eroberer_innen zum letzten Mal in Bremen?

      • 0G
        09968 (Profil gelöscht)
        @rero:

        Mein Kommentar sollte eine Antwort auf die Einlassung von "VORTEX_NEU" sein, der*die positiv hervorheben will, dass die CDU auf der Seite des Gesetzes steht.



        Die mordbrennenden Eroberer (bewußt rein männliche Form!) habe ich erwähnt, um klar zu machen, dass das Konstrukt Landeigentum auf einer zutiefst unethischen Grundlage aufsetzt. Das ist i.d.R. ein paar Hundert/Tausend Jahre her und dennoch die aktuelle Grundlage.



        Ein Besitzrecht (am Haus) wird nur durch _eigene_ Arbeit und Zeit erworben. Der Erwerb durch Kapital oder Erbschaft ist ethisch nicht vertretbar, insbesondere weil dadurch ein alleiniges (egoistisches, nicht an der Gemeinschaft orientiertes) Bestimmungsrecht verbunden wird. Und damit hier kein Zweifel aufkommt: Alles "Betongold" gehört restlos enteignet!



        Nur auf Grundlage der herrschenden räuberischen "Rechte" ist es hier dem Hauseigentümer möglich, bei Streitigkeiten einen "schwierigen" Mieter rauszuschmeißen. Auf Grundlage einer solidarischen Grundhaltung hätte die Auseinandersetzung ganz anders ablaufen müssen und hätte wahrscheinlich zu einer ganz anderen Lösung geführt.

  • Als jemand, der in einem Bundesland mit linker Regierungsbeteiligung und einer linken Bausenatorin lebt, kann ich sagen, auch dort werden Wohnungen noch geräumt.

    Mir gelingt es deshalb nicht, Frau Tegeler ernstzunehmen.

  • Also der Mann ist 2019 eingezogen und war über 1 Jahr nicht erreichbar - also woanders. Und jetzt sind 2 Wochen ein Grund, so eine Aktion zu starten? Es ist mehr als realistisch, dass er die 2 Wochen auch dort verbringen kann, wo er das Jahr verbracht hat, bis er in seine neue Wohnung einzieht.

    Er selbst scheint ja auch weit vernünftiger als die Leute, die aus diesem denkbar ungeeigneten Fall politisch Honig saugen wollen.

    • @Dr. McSchreck:

      Soll das heißen, die Wohnung wurde vom Mieter die allermeiste Zeit gar nicht bewohnt, weil er abwesend war?

      • @Rudolf Fissner:

        so verstehe ich den Satz, dass er "nicht erreichbar war" von ihm selbst "die hätten mich gar nicht erreichen können".

    • @Dr. McSchreck:

      Sehe ich ähnlich.

      Der Gedanke, der sich mir aufgedrängt hat: Es gibt Menschen, für die ist die Reaktion auf eine Instandhaltungsmaßnahme oder die eingetroffene Kündigung eine große Belastung. Ein Vermieter ist mit solchen Mietern natürlich auch überfordert.

      Ich fände es gut, wenn vor Zwangsräumungen eine Schlichtung dahingehend verpflichtend wäre, dass eine neutrale Person versucht, den von Kündigung betroffenen Mietern, aus dem von außen betrachtet leicht zu lösenden Schlamassel zu helfen.

      So könnten sowohl die Rechte der Mieter als auch die Interessen der Vermieter gewahrt bleiben.

      • @xriss:

        Bezüglich der Schlichtung bin ich bei Ihnen.



        Was ich mich gerade frage: findet das im Rahmen der Räumungsklage nicht auch statt? Bei einer mündlichen Verhandlung versucht das Gericht ja, eine einvernehmliche Lösung zu erreichen.

        • @phalanx:

          Es gibt in Bremen die "Zentrale Fachstelle Wohnen", die beim Amt für Soziale Dienste angesiedelt ist und in den Sozialzentren der Stadtbezirke Dependancen hat.



          Die sind eigentlich genau dafür zuständig, zu intervenieren und zu vermitteln, wenn Menschen vom Wohnungsverlust/Obdachlosigkeit bedroht sind. Aber: 1. natürlich personell unterbesetzt; 2. die können überhaupt erst aktiv werden, wenn sich jemand an sie wendet, da gibt es keinen Automatismus, soweit ich weiß (vielleicht informiert das Gericht die ZFW, wenn eine Räumungsklage angestrengt wird. Weiß ich nicht genau, bezweifle ich aber...); 3. Selbst wenn: was sollen die tun? Sie haben keinerlei rechtliche Handhabe, können nur versuchen, irgendwie noch auf eine gütliche Lösung hinzuarbeiten und sonst andere Expert*innen hinzuziehen (aus dem Sozial- und Gesundheitswesen, je nachdem, was da los ist...). Und haben auch selbst kaum Möglichkeiten, Leute unterzubringen, jenseits der Obdachlosenunterbringungen (Heime) und der paar OPR-Wohnungen...

          Ansonsten ist der konkrete Fall ein wenig differenzierter zu betrachten als die üblichen Räumungsklagen wegen Mieterhöhung etc., da es hier ja tatsächlich nicht um eine solche ging. Instandhaltungssanierungen können nicht auf die Mieter*innen umgelegt werden. Gleichzeitig ist es bei sowas natürlich umso ärgerlicher für die Vermieter*innen, wenn die Handwerker*innen mehrfach vergebens aber nicht umsonst (schon allein die Anfahrtskosten...) auftauchen. Ich kenne es aber aus dem persönlichen und beruflichen Umfeld auch, dass für Menschen in (psychischen) Ausnahmesituationen oder mit entsprechenden Erkrankungen auch solche Besuche oder die Kommunikationsversuche mit den Vermieter*innen eine enorme, allein kaum stemmbare Herausforderung sind. Und ganz grundsätzlich gilt natürlich auch: Wohnen ist ein Menschenrecht und darf keine Ware sein.

  • Zitat: "Damit zeige die CDU, dass sie auf der Seite der Besitzenden stehe, findet die Linke."



    Nein, damit zeigt die CDU, daß sie im Gegensatz zur Politikerin der Linken auf der Seite des Gesetzes steht.

    • 0G
      07324 (Profil gelöscht)
      @Vortex_Neu:

      Gesetze bei denen man massgeblich beim Erlass und der Ausarbeitung beteiligt war. Wo sollten sie sonst stehen?

      • @07324 (Profil gelöscht):

        Gesetze werden von der Legislativen erlassen. Diese spiegeln über Wahlen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung dar. Wenn jetzt die Politiker der Linken die Situation und Rechtsprechung ändern wollen, so müßen sie bei Wahlen diese Mehrheit der Bevölkerung hinter sich vereinen. Wird auch als Demokratie bezeichnet.