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Abschiebung verfolgter FrauenKeine Sicherheit, nirgends

Die Hamburger Ausländerbehörde hat eine Frau und ihr Kind aus einer Schutzunterkunft für Frauen abgeschoben. Der Schutz der Einrichtung ist dahin.

Traumata sexualisierter Gewalt begleiten die Betroffenen oft ein Leben lang. Hier eine Kunstaktion Foto: serienlicht/Imago

Hamburg taz | Es sollte ein besonderer Schutzraum sein: Die Unterkunft in Hamburg-Eppendorf bietet 120 geflüchteten Frauen und Kindern Platz mit Einzelzimmern, eigenen Kochmöglichkeiten und Spielzimmern. Fremden Personen, egal welchen Geschlechts, ist der Zutritt zum Haus verboten, ein Wachdienst ist dafür rund um die Uhr im Einsatz. Die Frauen in der Unterkunft suchen in der Regel Sicherheit vor ihren gewalttätigen Ex-Partnern, viele erlebten außerdem sexualisierte Gewalt auf der Flucht und sind traumatisiert.

Mit dieser Sicherheit ist es nun vorbei. Gleich zwei Mal tauchten in den vergangenen Wochen Be­am­t*in­nen der Hamburger Ausländerbehörde mit mehreren Fahrzeugen auf und drangen in die Wohnungen ein, um Bewohnerinnen abzuschieben.

Dabei gibt es eigentlich die Absprache mit der Innenbehörde, dass Abschiebungen, wenn überhaupt, nicht auf „normalem Wege“ stattfinden. Das heißt, dass eben genau nicht zehn Uniformierte im Morgengrauen anrücken, um im Befehlston und vielleicht sogar unter Gewaltanwendung Bewohnerinnen zwingen, innerhalb von Minuten ihre Sachen zu packen und mitzukommen. Genau das aber ist in der vergangenen Woche passiert.

Anfang Juni kamen die Be­am­t*in­nen zum ersten Mal, an einem Nachmittag, aber sie trafen die Frau, nach der sie suchten, nicht an. Am vergangenen Donnerstag kamen sie dann gleich zu zehnt um sechs Uhr morgens, um eine andere Frau und deren zweijährigen Sohn abzuschieben: Ruslana Choch­lowa (Name geändert). So schilderten es die Bewohnerinnen einer Mitarbeiterin der Beratungsstelle „Savia – Steps against Violence“. Die Sozialarbeiterinnen selbst waren um die frühe Uhrzeit noch nicht vor Ort.

15 Stunden im Polizeiwagen

„Die Mutter von Frau Chochlowa versuchte sich mit einem Messer zu verletzen und aus dem Fenster zu stürzen“, schildert die Mitarbeiterin der Beratungsstelle. Daraufhin habe der Wachdienst das Notfallmanagement der Unterkunft gerufen. Als die alarmierten Mitarbeiterinnen eingetroffen seien, seien die Ab­schie­be­be­am­t*in­nen bereits weg gewesen – mitsamt Chochlowa und ihrem Sohn.

Die Be­am­t*in­nen seien sehr barsch vorgegangen, berichtet Chochlowa später der Mitarbeiterin. Sie hätten sie unter anderem an der Brust abgetastet. In einem Polizeiwagen sei sie nach Frankreich gefahren worden: 15 Stunden Autobahn, nur drei Pausen von je fünf Minuten hätten sie gemacht. Ihr Kind habe die ganze Zeit über geweint oder gekotzt.

Chochlowa ist ein „Dublin-Fall“: Sie floh aus einem Land, in dem die Anerkennungsquote für Geflüchtete gering ist und reiste mit Mann und Kind nach Frankreich. Von dort aus floh sie erneut, dieses Mal vor ihrem gewalttätigen Mann, der sie bis nach Hamburg verfolgte.

Zuflucht fand sie in der Schutzunterkunft für Frauen. Von dort versuchte sie, ihren Asylantrag nach Deutschland zu überstellen, weil in Frankreich ihr Leben und das ihres Kindes durch ihren Mann bedroht seien. Die Behörden lehnten das ab. Laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sei nicht ersichtlich, warum Chochlowa nicht auch in Frankreich durch die dortigen Behörden oder Polizei vor ihrem Ehemann geschützt werden könnte, sagt der Sprecher der Ausländerbehörde, Matthias Krumm.

Wenn man aus dem Ort herausgerissen wird, an dem man sicher zu sein glaubte, fragt man sich: Wo ist dann überhaupt der Platz, an dem ich sicher bin?

Annette Kaiser-Tiede, Traumatherapeutin

„Ein Abschiebungsverbot wurde nicht festgestellt, sodass die Hamburger Behörde die Rücküberstellung nach Frankreich veranlassen musste.“ Zum besonderen Schutzstatus der Unterkunft, der ja nun hinüber ist, sagt Krumm: „Aus Sicht der Ausländerbehörde dienen sichere Unterkünfte dem Schutz vor unrechtmäßigen Übergriffen durch Dritte, nicht vor staatlichen Maßnahmen.“

Die Traumatherapeutin Annette Kaiser-Tiede behandelt mehrere Frauen in der Schutzunterkunft. Was eine solche Situation für die Betroffenen bedeutet, erklärt sie so: „Das ist eine aktive Retraumatisierung und gefährdet das Leben der Mutter und des Kindes.“ Es bestehe eine große Gefahr tiefster Verzweiflung, die in extremen Fällen auch zu Selbstmordgedanken führen könne. „Wenn man aus dem Ort herausgerissen wird, an dem man sicher zu sein glaubte, fragt man sich: Wo ist dann überhaupt der Platz, an dem ich sicher bin?“, sagt Kaiser-Tiede.

Auch die lange Fahrt mit dem völlig verstörten Kleinkind, dem zum wiederholten Mal das gewohnte Umfeld wegbricht – „das ist Kindeswohlgefährdung“, sagt die Trauma­therapeutin.

Verheerende Folgen für andere Bewohnerinnen

Sowohl ihr als auch der Mitarbeiterin von „Savia – Steps against Violence“ ist es wichtig, auf die verheerenden Folgen für die anderen Bewohnerinnen und den ganzen Standort hinzuweisen. „Das Gefühl, hier in Sicherheit zu sein, sei es vor dem Partner, der Herkunftsfamilie oder anderen, ist für die Frauen ins Wanken geraten“, sagt die Sozialarbeiterin. Die plötzliche und gewaltvolle Invasion durch Uniformierte ruft zudem Traumata hervor, die viele der Frauen auf ihrer Flucht erlebt hätten, etwa durch Vergewaltigungen im Gefängnis, an Landesgrenzen oder durch Schlepper.

Außerdem spreche sich schnell herum, dass aus der Unterkunft abgeschoben werde. Ob die Frauen das Schutz­angebot zukünftig noch annehmen, müsse man erst mal sehen, sagt die Mitarbeiterin. „Ich weiß nicht, wie wir das Vertrauen wiederherstellen sollen.“

Was Ruslana Chochlowa betrifft, berichtet Annette Kaiser-Tiede, dass die Mutter und ihr Kind direkt hinter der Grenze in Straßbourg der französischen Polizei übergeben worden seien. Die hätte sie nach ein paar Stunden gehen lassen mit den Worten „Du bist frei und kannst machen, was du willst.“ Obdachlos und aufgelöst habe sie sich telefonisch an ihre Hamburger Kontakte gewandt, über mehrere Ecken sei ihr ein Schlafplatz organisiert worden. Allerdings nur für ein paar Nächte.

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13 Kommentare

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  • @RAINER B.

    Ich will nur vor der fatalen Maschine "wählen bringt eh' nix, also gehe ich nicht hin" warnen.

    Wie mensch auch bei Cambridge Analytica/Trump sehen konnte ist das auch ein gut nutzbarer Manipulationsmechanismus,

    • @tomás zerolo:

      Na ja - gerade Trump konnte doch viele Nichtwähler für sich gewinnen. Im Nachhinein muss man aber doch sagen, die wären wohl besser zu Hause geblieben.

  • @GANDALF DER GRAUE

    Ganz sicher nicht eine deutsche Besonderheit.

    @RAINER B

    Will damit sagen: besser rot-grün als cdu-grün als afd-cdu. Das allein rettet die Welt allerdings nicht, eine gewählte Regierung ist nur so gut, wie sie von der Strasse aus unterstützt wird.

    Irgendjemand muss die Drecksarbeit machen und sich die Fingerkuppen verkleben, leider.

    • @tomás zerolo:

      Schon klar, aber gewählt wird nunmal nicht „das Volk“, sondern eine Regierung.

  • @RAINER B.

    Und? Was schlagen Sie vor? AfD wählen? Die sind doch bestimmt humaner?

    • @tomás zerolo:

      Das ganz sicher nicht! Mir persönlich reicht es einfach nicht, wenn eine Partei sich einen humanen Anstrich gibt, in der Praxis dann aber anders handelt.



      „Ein guter Baum kann nicht schlechte Früchte bringen und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen... Darum: an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ (Matthäus 7,15–20)

  • In Hamburg regiert Rot-Grün. Wer geglaubt hat, es ginge deshalb dort auch menschlicher und unbürokratischer zu, der wurde spätestens damit eines Besseren belehrt. Von der SPD erwarten viele - aus gutem Grund - ja schon lange nichts mehr in der Richtung, von den Grünen, die sich anschicken im Bund mitregieren zu wollen, muss man da doch deutlich mehr Zivilcourage erwarten. Bislang knicken die auf ganzer Linie nur immer wieder ein. Menschenwürde ist kein Konjunktiv.

  • hurra, hurra ...

    wir können es noch !



    getreu dem buchstaben des gesetztes handeln.



    ohne ansehen der person und ihrer naturgegebenen würde.

    was wir nicht können:



    einen moment inne halten und uns unserer humanitären und christlichen werte vergewissern und verpflichtet fühlen.

  • Wen schert schon das Schicksal von Frauen?



    Realität in Deutschland.

  • Erschütternd.

    Und an die "Be­am­t*in­nen der Hamburger Ausländerbehörde": falls Sie ein schlechtes Gefühl dabei hatten: bleiben Sie dran! Gerade in diesem Land sollten wir wissen, dass "ich habe ja nur Befehle befolgt" keine moralische Rechtfertigung für etwas ist. Sie dürfen, Sie können, Sie sollen auf Ihr Gewissen hören.

    • @tomás zerolo:

      Leider nicht nur ein deutsches Problem.Während vieler Europareisen in den letzten Jahren meine Erfahrungen: Schlägerbanden der Polizei gehen in fast allen europäischen Ländern äusserst brutal gegen Farbige vor. Besonders widerlich in I,GR,F,E,S. Da werden Menschen an den Haaren aus Autos gezogen( schweizer Grenze) ,von Bewaffneten durch die Stadt gehetzt ( Rom , Neapel, Athen ), über 30 Menschen in nicht gekennzeichnete Kleintransporter gezwängt, grundlos und ohne Vorwarnung geschlagen usw. Scheinbar ist der Polizeiberuf für bestimmte Charaktere besonders attraktiv - unabhängig von der Nation.

  • Wir haben ein Asylsystem, das genau prüft, ob jemand asylberechtigt ist oder nicht. Im Falle der Ablehnung des Asylantrags hat der Antragsteller das Land unverzüglich zu verlassen.



    Und auch wenn das einigen nicht gefällt - Asylrecht funktioniert nur, wenn sowohl die Anerkennung als auch die Zurückweisung eines Asylantrags funktionieren. Und nicht, dass das Stellen eines Asylantrags einer ungebremsten Aufnahme und Alimentierung gleich gesetzt wird.



    So tragisch das im Einzelfall sein mag - ein gewalttätiger Ehemann ist kein Asylgrund.

    • @Sandra Becker:

      und doch gibt es immer ...

      die möglichkeit einer humaitären lösung.