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Reisen mit der Bahn in EuropaZug um Zug durch die Nacht

Bald wieder bequem und schnell über Staatsgrenzen hinweg reisen. Nachtzüge und neue Buchungsportale sorgen für Aufbruchstimmung.

Der ÖBB Nightjet auf dem Weg nach Hamburg Foto: Christain Beutler/Keystone/dpa

Noch ist es Zukunftsmusik, aber früher oder später wird es so sein: Abends in Vilnius in den Nachtzug steigen, morgens ausgeschlafen in Berlin aussteigen. Ob von Stockholm nach Paris oder von Berlin nach Stockholm. Schlafwagen verbinden die europäischen Metropolen regelmäßig, tagsüber sorgt ein dichter Taktverkehr zwischen den Großstädten dafür, dass sich Reisende auf der Schiene bequem, schnell und reibungslos in Europa bewegen können. Ein Ticket für die Fahrt durch viele europäische Länder zu kaufen, wird dann anders als heute kein Problem mehr sein.

Die europäische Bahnbranche ist in Aufbruchstimmung. Nachdem über Jahrzehnte hinweg Verbindungen gekappt und Angebote eingestellt wurden, wird das Bahnfahren in Europa Zug um Zug ausgebaut. An vielen Orten investieren etablierte, aber auch neue Bahnunternehmen in neue Züge und neue transeuropäische Verbindungen.

Die EU-Verkehrsminister:innen wollen in den kommenden Jahren ein dichtes Bahnnetz für Reisende schaffen, durch das viele Flüge ersetzt werden sollen. Dazu soll es mehr und häufigere Verbindungen zwischen den Länder geben, sodass ein Europatakt entsteht. Dessen Kern ist der Deutschlandtakt, der ab 2030 halbstündlich die Metropolen in der Bundesrepublik verbinden und mit direkten Anschlüssen eine Anbindung in die Regionen gewährleisten soll.

Bahn in Europa als Alternative zum Flugzeug?

Sehr viel eher werden direkte Nachtzugverbindungen mit Schlafwagen an den Start gehen. Schon ab 2022 soll es sie zwischen Schweden über Dänemark nach Deutschland geben. Möglich wäre damit, am Abend in Malmö einzusteigen, morgens um sechs in Köln aufzuwachen und zwei Stunden später in Brüssel zu sein – und dort einen Anschluss nach London oder Paris zu haben. Die schwedische und die dänische Regierung sind dazu bereit, dieses Projekt zu bezuschussen.

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Die skandinavischen Ver­kehrs­po­li­ti­ke­r:in­nen knüpfen an historischen Vorbildern an. Früher verbanden der Skandinavien-Paris-Express oder der Viking-Express regelmäßig skandinavische Hauptstädte mit der französischen Metropole. Ist der Fehmarnbelt-Ostseetunnel zwischen Dänemark und Deutschland Ende des Jahrzehnts betriebsbereit, werden weitere Projekte folgen. Das Potenzial ist riesig. Im Jahr 2019 war nur ein Prozent des Personenverkehrs zwischen Deutschland und Schweden auf der Schiene unterwegs, 70 Prozent der Reisenden nahmen das Flugzeug.

Auch von den Beneluxstaaten ausgehend sollen neue Verbindungen entstehen. Das niederländische Start-up European Sleeper plant neue Schlafwagenangebote. In Kooperation mit dem tschechischen Unternehmen Regiojet soll eine erste Verbindung ab April 2022 zunächst dreimal in der Woche Prag mit Dresden, Berlin, Amsterdam und Brüssel verbinden. Außerdem wollen zwei belgische Jungunternehmer ebenfalls ab 2022 eine Nachtzugverbindung von Brüssel nach Berlin auf den Weg bringen. Der Luxuszug soll unter der Marke Moonlight-Express fahren.

Zugfahren ist vor allem dann eine Alternative zum Fliegen, wenn die Reise über Nacht komfortabel im Schlaf- und Liegewagen möglich ist. Die Deutsche Bahn hat ihr Schlaf- und Liegewagenangebot im Jahr 2016 komplett aufgegeben und will auch keine neuen Schlafwagen anschaffen. „Wir halten Schlafwagen nicht für wirtschaftlich“, sagte Bahn-Vorstand Ronald Pofalla beim dritten Schienengipfel der Bundesregierung Mitte Mai.

Die Ma­na­ge­r:in­nen setzen statt auf eigenes Material auf Kooperationen. Künftig sollen Nachtzüge 13 europäische Metropolen direkt verbinden. Die Deutsche Bahn hat dazu eine Kooperationsvereinbarung mit den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), dem französischen Bahnbetreiber SNCF und den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) geschlossen. Ab Dezember 2021 sollen die Nachtzugverbindungen Wien–München–Paris und Zürich–Köln–Amsterdam den Anfang machen. Ende 2023 sollen die Verbindungen Wien–Berlin–Brüssel–Paris, ein Jahr später Zürich–Barcelona folgen.

Die ÖBB und die SBB wollen ihre Nachtzugangebot in den kommenden Jahren stark ausbauen. Dabei geht es um Verbindungen zwischen Deutschland, den Niederlanden, Tschechien, Italien und Spanien. Bis 2024 sollen die Strecken von Zürich über Mailand nach Rom sowie über Genf nach Barcelona wiederbelebt werden. Die ÖBB haben beim Siemens-Konzern für 220 Millionen Euro 13 neue Nachtzüge bestellt, die 2022 ausgeliefert werden sollen.

Idee: Eine Renaissance des Trans Europe Express

Auf den deutschen Verkehrsminister Andreas Scheuer zurück geht die Idee, den Trans Europe Express (TEE) wiederzubeleben, der zwischen den 1950er und 1980er Jahren Metropolen in Europa verband. Im Mai haben europäische Verkehrsminister eine entsprechende Absichtserklärung unterzeichnet. Damit das Projekt schnell starten kann, soll der TEE zunächst auf Strecken fahren, die es schon gibt, etwa in 13 Stunden von Berlin nach Barcelona oder von Amsterdam nach Rom. Darüber hinaus soll der Ausbau der Infrastruktur für bessere Verbindungen sorgen.

Dazu gehört eine neue Hoch­ge­schwin­dig­keitsstrecke zwischen Ber­lin, Prag und Wien. Die Fahrt von Berlin nach Wien wäre damit in fünf Stunden, mit einem ­Expresszug sogar in vier Stunden möglich. Geplante Fertigstellung der Strecke ist Mitte der 2030er Jahre. Denn der Aufwand ist groß: Für die Hochgeschwindigkeitsstrecke muss ein Tunnel durchs Erzgebirge gebaut werden.

Dieses Projekt eröffnet eine ganze Reihe weiterer Möglichkeiten für europäische Direktverbindungen, sagt der tschechische Verkehrsminister Karel Havlíček. Das gilt etwa für die Strecke von Prag nach Frankfurt am Main. Havlíček: „Es wird eine Reihe von Reisezielen mit dem Zug erreichbar, die heute nur mit dem Auto oder dem Flugzeug erreichbar sind.“

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18 Kommentare

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  • Herr Pofalla ist formal Infrastrukturvorstand und hat aus dem Bundeskanzleramt heraus ein gut bezahltes "Pöstchen" ergattert.



    Er ist also auch zuständig für die neue 8-gleisige unterirdische Durchfahrtsstation in Stuttgart für 10 Milliarden Euro, die keinen einzigen Fahrgast mehr auf die Schiene bringen wird. WIRTSCHAFTLICH???



    Herr Pofalla ist für den Betrieb von Schlafwagen aber gar nicht zuständig, weiß aber das man dieses Geschäft nicht wirtschaftlich betreiben kann. Ahaa.



    Nun muß man wissen, das die Bahn gar kein "normales" Unternehmen ist und deshalb Entscheidungen politischer Natur sind. "Ich glaube nur der Statistik, die ich selbst gefälscht habe" Herr Pofalla ist so ganz nebenbei auch für den "Kohlekompromiss" zuständig. Staatsminister mit Managergehalt sozusagen.



    Also Herr Pofalla soll gar nicht die Bahn mit Schwung, Ideen, Elan und Geistesblitzen zu einem attraktiven Vorzeigeunternehmen entwickeln, sondern mit "angezogen Handbremse" schön den"Ball flach halten".



    Andere Verkehrsträger sind wichtiger und haben sehr viel Macht.



    Jetzt stehen gerade mal wieder Wahlen an und da ist es notwendig "schöne grüne Mäntelchen" an die Wahlkämfer zu verteilen. Verbal haben wir bis zum Wahltag eine Revolution im Schienenverkehr in Deutschland.



    Nach der Wahl bleibt es wie es ist oder, da Coronabedingt mehr Schulden vorhanden sind, das wenige noch zusammengestrichen wird.



    Ausser Stuttgart natürlich.



    Nehme gerne Wetten entgegen.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Der Ausbau des Schienennetzes ist mehr als notwendig.



    Erst kürzlich bin ich die A10 Richtung Frankfurt/Oder gefahren.



    Was sich da abspielt ist völlig irre.



    Tausende polnische LKW fahren da in Kolonne.



    Ist das innovative Verkehrspolitik? Wohl kaum.

  • 1G
    14390 (Profil gelöscht)

    Für Privatreisen mögen diese Zugverbindungen interessant sein, wenn man genau Urlaubstage als Reisetage einplanen kann, aber für Geschäftsreisen sind sie einfach nicht geeignet. 13 Stunden mit der Bahn von Berlin nach Barcelona gegen weniger als 3 Stunden mit dem Flugzeug, die gleiche Zeit noch einmal zurück - das bedeutet im Klartext, daß pro Geschäftsreise zwei Abende mit der Familie zuhause wegfallen. Mal ganz abgesehen von der Frage, wie man die Zeit im Nachtzug dann eigentlich arbeitszeittechnisch verbuchen soll.

    Und von der Bequemlichkeit des Reisens in Nachtzügen und dem ausgeruht-entspannten Ankommen am nächsten Morgen kann auch nur sprechen, wer das noch nie selbst ausprobiert hat: Berlin - Wien, es gibt zwei Möglichkeiten, diese Strecke mit dem Zug zu fahren, entweder über Österreich-Böhmen-Polen-Deutschland oder über Österreich-Deutschland, Grenzübergang Passau. Die erste Strecke wird von der ÖBB befahren, ab 22.00 h gibt es keine Haltestellenansagen mehr, das Licht kann ebenfalls ausgeschaltet werden, zudem gibt es Abteilwagen. Österreich-Deutschland über Passau wird von der DB befahren: kein Nachtzug, sondern nur ein Zug, der nachts fährt: Großraumwagen, das Licht ist die ganze Nacht über an, an jedem Halt gibt es die normale Durchsage.



    In beiden Fällen komme ich morgens mehr (ÖBB) oder sehr viel weniger (DB) ausgeruht am Zielort an, ungeduscht natürlich. Mit dem Flugzeug dagegen stehe ich in Wien um 06.00 h auf, kann duschen und in Ruhe frühstücken, trotzdem bin ich um 09.00 h in Berlin, den Rückflug von Berlin aus trete ich am selben Tag um 19.45 h an, um 21.00 h bin ich wieder in Wien - ausgeruht und mit Zeit für Familie und Freunde.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @14390 (Profil gelöscht):

      13 Stunden mit der Bahn von Berlin nach Barcelona



      Davon redet doch keiner - was haben sie für Visionen?



      Sie werden staunen, wieviele Menschen die Nachtzüge nutzen werden, wenn sie halbwegs komfortabel ausgestattet sind.

      • 1G
        14390 (Profil gelöscht)
        @17900 (Profil gelöscht):

        Die 13 Stunden von Berlin nach Barcelona sind dem Artikel entnommen, dort werden sie als Planungsziel für den TEE genannt.

        Wie schon gesagt, als Urlaubsreisender sind die Nachtzüge durchaus eine Alternative, wenn man bereit ist, jeweils einen Urlaubstag für An-/Abreise zu rechnen.



        Für Geschäftsreisende sind sie in Ausnahmefällen eine Option, aber definitiv nicht als regelmäßige Dauerlösung. Dafür sind die Auswirkungen auf das Sozialleben zu gravierend.

    • @14390 (Profil gelöscht):

      Eine Einheitslösung, die für alle und jeden passt, wird's nicht geben.

      Wenn Sie allerdings die Zeitaufwände drumherum (An-/Abfahrt Flughafen, Check-In-/-Out) dazurechnen, sind Sie mit der Bahn vermutlich auch nicht länger unterwegs, wenn die erwähnte neue Strecke mal fertig ist.



      (Angesichts der beeindruckenden Geschwindigkeit im Rheintal düfte allerdings "Mitte der 2030er Jahre" in's Reich der Märchen gehören).

      Ob allerdings ein kleiner Tagesausflug wirtschaftlich überhaupt sinnvoll ist, und nicht genausogut per Videokonferenz erledigt werden kann, steht dahin.

      • 1G
        14390 (Profil gelöscht)
        @flip flop:

        Als Geschäftsreisender hält sich der Zeitaufwand beim Check-in/-out in Grenzen: ich nehme normalerweise den ersten/letzten Flug, da war ich - zu TXL-Zeiten vor Corona - 15 Min vor dem Boarding da und für gewöhnlich einer der Letzten in der Securityschlange.

        Und es sind nun einmal nicht alle Berufe Videokonferenz-kompatibel: ein Probentag mit Tänzern/Schauspielern/Sängern etwa ist nur vis à vis möglich.

    • @14390 (Profil gelöscht):

      Ich mußte früher öfter mal dienstlich von Berlin nach Wien und habe damals stets den Nachtzug genommen. Das war sehr bequem und ich war früher beim Kunden als ich es mit einem morgendlichen Flug hätte schaffen können. U.a. weil der Weg vom Westbahnhof zum Kunden deutlich kürzer war als von Schwechat. Heute hat sich das alles erledigt, u.a. dank digitaler Kommunikation, z.B. Videoconferencing.

      • 1G
        14390 (Profil gelöscht)
        @Toto Barig:

        Ich kann Ihnen aus meiner Erfahrung sagen, daß bei wöchentlichem Pendeln zwischen Berlin und Wien der Nachtzug keine Alternative ist: zwei Nächte pro Woche im Nachtzug der ÖBB oder gar - Gott bewahre! - in den nachts fahrenden Zügen der DB ist schon körperlich deutlich anstrengender als der 55-Minuten-Flug von Wien nach Berlin, vom Verlust für das Sozialleben nicht zu reden.

    • @14390 (Profil gelöscht):

      Die neuen Nachtzüge der ÖBB sind ziemlich luxuriös. Und auch aus den Alten kann man entspannt aussteigen. Das Nachtzüge mit normalen Sitzwagen nichts bringen, ist klar.

      PS: Böhmen wurde schon vor einer Weile umbenannt...

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        "PS: Böhmen wurde schon vor einer Weile umbenannt..."

        Wäre mir neu -- in was?

        • @flip flop:

          Tschechien. Schon mal gehört?

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            "Tschechien. Schon mal gehört?"

            Das wird man in Mähren und Tschechisch-Schlesien wohl etwas anders sehen.

            • @flip flop:

              Da lebt aber jemand in sehr alten Zeiten.

              • @warum_denkt_keiner_nach?:

                Definitiv in aktuelleren als Sie.

                Einfach mal in einem aktuellen Lexikon den Artikel zu "Tschechische Republik" konsultieren.



                Alternativ tut's auch Wikipedia.

      • 1G
        17900 (Profil gelöscht)
        @warum_denkt_keiner_nach?:

        Das Nachtzüge mit normalen Sitzwagen nichts bringen, ist klar.

        Richtig - Draisinen ebensowenig.



        Was war das damals für ein herrlisches Erlebnis in Thailand mit dem Bummel-Nachtzug zu fahren. Gutes Essen, danach wurde vom Schaffner das Bett gemacht. Gut, ist in Europa nicht der Standard.

  • „Wir halten Schlafwagen nicht für wirtschaftlich“, sagte Bahn-Vorstand Ronald Pofalla beim dritten Schienengipfel der Bundesregierung Mitte Mai."

    Solche Deppen sitzen bei uns im Vorstand. In Österreich wird mit Nachtzügen Geld verdient.

  • Wichtiger wär zunächst mal eine bessere direkte Verbindung ins nahe Ausland gerne im alten D-Zug (jetzt in etwa IC) Takt. Nach Lüttich, Eindhoven, Metz, Groningen und so weiter, da gibt es kaum was Brauchbares.