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Sachverständige zu Wasserstoff-Strategie„Eindeutig falsche Richtung“

„Grüner“ Wasserstoff gilt als Zukunftshoffnung. Er ist aber noch knapp. Wie sinnvoll ist es, fossil erzeugten Wasserstoff als Brücke zu nutzen?

Dafür braucht es H2 aus erneuerbaren Energien: Herstellung von „grünem Stahl“ Foto: Rupert Oberhäuser/imago

Berlin taz | Noch gibt es ihn praktisch gar nicht, aber schon sorgt er für Kontroversen: grüner Wasserstoff (H2), der aus erneuerbaren Energien hergestellt wird, soll als Brennstoff und Energiespeicher Kohle und Erdgas ersetzen und so den Weg zur Klimaneutralität ebnen. Das sagen Bundesregierung, Unternehmen und Umweltverbände einstimmig. Aber was tun, wenn der Bedarf an Wasserstoff bald schon groß ist, aber noch nicht genug davon ökologisch hergestellt werden kann, weil die erneuerbaren Energien dafür fehlen? Sollte man fossil erzeugtes H2 als „Brückentechnik“ einsetzen, bis es genügend grünen Brennstoff gibt?

Nein, meint der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), der die Bundesregierung berät, in einer aktuellen Stellungnahme. „Auch übergangsweise sollte die Politik nicht auf fossil erzeugten Wasserstoff setzen“, erklärte das Gremium am Mittwoch. Es empfiehlt, „alle Anstrengungen auf den Markthochlauf von grünem Wasserstoff aus Wind und Sonne zu konzentrieren“. Es drohten „falsche Weichenstellungen“, wenn jetzt diskutiert werde, „massiv in Wasserstoff aus fossilen Brennstoffen zu investieren“.

In ihrer „nationalen Wasserstoffstrategie“ hat die Bundesregierung vor einem Jahr beschlossen, dass bis 2030 in Deutschland insgesamt 5 Gigawatt Kapazitäten für ökologisch erzeugten Wasserstoff geschaffen werden sollen. Das Problem: Industrie und Verkehr fragen dringend nach grünem Wasserstoff, aber es gibt praktisch noch keine Anlagen dafür in Deutschland.

Importe sollen deshalb gefördert werden; und heimische Unternehmen werden dabei unterstützt, Infrastruktur und Forschungsanlagen für eine „Wasserstoffwirtschaft“ zu errichten. Dafür stellt die Regierung über die nächsten Jahre insgesamt 9 Milliarden Euro bereit. Sie betont, nur grünen H2 zu fördern, will und kann aber die Nutzung und den Import von anders erzeugtem H2 nicht unterbinden.

H2-Farbenlehre: bunt, aber nicht nachhaltig

Der SRU sieht diese Aktivitäten kritisch. Die Herstellung etwa von H2 mithilfe von Erdgas („grauer Wasserstoff“, bei dem pro Tonne H2 10 Tonnen Treibhausgas CO2 entstehen), die Produktion mit Abscheidung und Speicherung des anfallenden CO2 („blauer H2“) oder auch „türkiser“ Wasserstoff, bei dem fester Kohlenstoff anfällt, seien alles keine nachhaltigen Lösungen.

Diese Techniken lösten Investitionen aus, die in einer „treibhausgasfreien und umweltfreundlichen Wirtschaft keinen Platz mehr haben“, sagt Claudia Kemfert, die Vizevorsitzende des SRU und Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ist. Auch die Deutsche Umwelthilfe sieht das ähnlich: Die deutsche Wasserstoffstrategie „basiert ganz wesentlich auf dem Import fossil erzeugten Wasserstoffs“, sagt Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. „Das geht eindeutig in die falsche Richtung.“

Andere Experten halten „Dogma“ für falsch

Zu mehr Flexibilität rät dagegen Felix Matthes, Energieexperte des Öko-Instituts. „Wir diskutieren gerade mit mehreren Stahlwerken, für die sich jetzt die Frage der Modernisierung der Hochöfen stellt“, sagte er auf einer Konferenz am Montag. Jetzt falle die Entscheidung, ob die neue Anlage mit Wasserstoff betrieben werde, der „grün“ erst in etwa zehn bis zwanzig Jahren ausreichend zur Verfügung stehe – oder ob eine Anlage mit der alten Technik auf Basis von Koks und Kohle modernisiert werde, „die dann wiederum zwei Dekaden in Betrieb ist, bis sie abgeschrieben ist, wenn Deutschland längst klimaneutral sein muss“. Wer darauf beharre, von Anfang an nur grünen Wasserstoff zu nutzen, der riskiere „gestrandete Investitionen“, die noch Jahrzehnte CO2 produzierten oder irgendwann für viel öffentliches Geld abgeschaltet werden müssten. „Dieses Dogma, ab Beginn nur grünen Wasserstoff zuzulassen, killt die Klimaneutralität“, warnt Matthes.

Einig sind sich SRU und andere Experten, dass grüner ­Wasserstoff noch lange „knapp und kostbar“ bleibt. Deshalb sei es eine „Fehlentwicklung bei der Nutzung“, wenn der „­Champagner der Energiewende“ für E-­Autos oder in der Heizung von Gebäuden verplant werde – das fordern Teile der CDU/CSU und der FDP, die an der (H2)-Verbrennertechnik festhalten wollen.

Dem widerspricht der SRU deutlich. Autos und Heizungen seien preiswerter und umweltfreundlicher mit Ökostrom über Elektromotoren oder Wärmepumpen zu betreiben, heißt es. „Sinnvoll ist es, den Wasserstoff in Teilen der Industrie sowie im internationalen Schiffs- und Flugverkehr einzusetzen.

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4 Kommentare

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  • Werden nicht in Brandenburg bereits seit Jahren, Stromüberschüsse in Form von Wasserstoff in das Gasnetz eingespeist? Wie funktioniert das und noch wichtiger wie rechnet sich das?



    Ich würde mir an dieser Stelle mehr konstruktive Anregungen wünschen, als eine für die Energiewende essentielle Technologie vorzuverurteilen und zu diskreditieren. Im Winter herrscht photovoltaisch betrachtet nämlich Flaute bei doppeltem Energieverbrauch Stichwort Heizen, während im Sommerhalbjahr bei derzeitigem Ausbau von PV ( Warum eigentlich nur tagsüber?) die Netze täglich an ihre Kapazitätsgrenze kommen.

  • Eine Möglichkeit wären große Solarkraftwerke in den Wüstenregionen Afrikas,



    dass gebe den beteiligten Staaten auch die Möglichkeit durch den Export des Wasserstoffes Einnahmen zu generieren.



    Das ist auch keine besonders neue Idee, über die Machbarkeit habe ich schon Mitte der achtziger Jahre ein Referat an der Uni gehalten.

  • "Dafür stellt die Regierung über die nächsten Jahre insgesamt 9 Milliarden Euro bereit"

    Sorry, wir haben nicht genug Strom, um die Abschaltung von AKW und Kohlekraftwerken aufzufangen, oder die e-Mobile zu betreiben. Jetzt schon mal 9 Mrd € in eine Technologie zu stecken, für die die Basismaterialien nicht vorliegen ist meines Erachtens falsch. Man kann gerne H2 aus EE erzeugen, damit man keine Strafe zahlen muss bei Überschüssen, und die Chemische Industie wird diesen Wasserstaff dann auch irgendwie verbrauchen, aber großen EE-Überschuss werden wir bis 2030 nicht haben. Also besser die 9 mrd in den Ausbau der EE stecken, damit es da richtig vorangeht.

    Wenn es um Stahlwerke geht, die von festem Reduktionsmaterial auf gasfürmiges Reduktionmaterial umgestellt werden sollen käme ja auch Erdgas in Frage. Das ist verfügbar, und produziert weniger CO2 beim Einsatz. Die Anlagen, die jetzt neu gebaut werden sollen sollten das berücksichtigen, und könntn dann später umgestellt werden.

    der Energieexperte des Öko-Instituts hat also nur teilweise recht.

  • Es gibt mit dem grünen Wasserstoff aus Elektrolyse ein speziell deutsches Problem: Da er nur schwierig und teuer zu lagern ist, ist es wichtig die Elektrolyse mit großen Mengen CO2-armem Stroms rund um die Uhr gleichmäßig laufen zu lassen um das Stahlwerk zu versorgen. Das geht nur gut in Ländern die auf Wasserkraft (Norwegen, Österreich) oder Kernkraft (Frankreich) setzen, aber nur schwer in Deutschland mit stark schwankender Windkraft und Photovoltaik. Insofern Ja zum Stahl aus grünem Wasserstoff, aber das Konzept ist in Frankreich eher zu realisieren als in Deutschland.