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Schwarz-Grün im Hessischen LandtagNSU-Akten bleiben geheim

CDU und Grüne wollen geheimgehaltene NSU-Akten nicht veröffentlichen. SPD, FDP und Linke werfen den Grünen doppeltes Spiel vor.

Kein Freund allzu großer Transparenz: Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) Foto: Arne Dedert/dpa

Frankfurt am Main taz | Aufgeregte Zwischenrufe von der Regierungsbank. Ermahnungen des Landtagspräsidenten, Abgeordnete nicht als „Neonazis“ zu beschimpfen. Nach einer emotionalen Debatte über die geheim eingestuften, internen NSU-Berichte des hessischen Verfassungsschutzes hat am Mittwochabend die schwarz-grüne Landtagsmehrheit deren Offenlegung abgelehnt.

Anlass der Landtagsdebatte war eine bisher von mehr als 134.000 Menschen unterschriebene Petition, in der die Veröffentlichung bisher geheimgehaltener hessischer NSU-Akten gefordert wird. Zu den UnterzeichnerInnen gehören auch Angehörige des 2006 in Kassel vom rechtsterroristischen NSU ermordeten Halit Yozgat. In einer emotionalen Debatte appelierten Oppositionsabgeordnete vor allem an die Grünen, den Weg dafür freizugeben. Doch zusammen mit dem Koalitionspartner CDU sorgten die Grünen für die Überweisung der Petition „als Material“ an die Landesregierung, „zur weiteren Bearbeitung“. Damit folgten sie einer Empfehlung des Petitionsausschusses.

Was dabei herauskommen wird, daran hatte der christdemokratische Landesinnenminister Peter Beuth bereits in der Debatte keinen Zweifel gelassen: Eine Veröffentlichung könne es aus rechtlichen Gründen nicht geben. Sicherheitsbehörden könnten ihre Arbeitsweise nicht für jeden offenlegen, sagte Beuth. „Ansonsten könnten die Verfassungsfeinde selbst diese Informationen nutzen, um unsere gemeinsamen Werte zu bekämpfen oder Menschen gezielt zu gefährden.“

CDU und Grüne argumentieren mit den Schutzpflichten des Staates. „Wir sind immer wieder auf V-Leute angewiesen, wenn es darum geht, den braunen Sumpf trockenzulegen“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Holger Bellino. Die Veröffentlichung der Berichte verspräche keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn, gefährde dagegen die Sicherheitsarchitektur, so Bellino.

Den Wunsch der Petenten könne er zwar nachvollziehen, sagte Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner. Eine Veröffentlichung drohe aber die Arbeit des Verfassungsschutzes zu erschweren oder gar zu behindern. SPD, FDP und Linkspartei hielt er vor, wider besseres Wissen zusammen mit die AfD die Offenlegung zu fordern, „weil die wissen wollen, wie der Verfassungsschutz mit der rechten Szene umgeht“. Damit sorgte er für empörte Reaktionen aller vier Oppositionsparteien. „Sie haben sich gnadenlos verzockt!“, rief Wagner ihnen entgegen. Die AfD-Fraktion hatte im Landtag einen eigenen Antrag gestellt.

„Symbol für das Mauern der Behörden“

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Günter Rudolph warf den Grünen vor, Nebelkerzen zu werfen und Pirouetten zu drehen. In Berlin forderten führende Grüne die Offenlegung der Berichte, in Wiesbaden lehne die grüne Regierungsfraktion das ab. „Was wollen Sie?“, fragte Rudolph und sprach von Heuchelei.

SPD-Gereralsekretär Lars Klingbeil sagte: „Das ist eine Bankrotterklärung der Grünen im Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus und ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich für Transparenz und Aufklärung der NSU-Mordserie einsetzen.“ Und weiter: „Frau Baerbock hätte einschreiten und die Grünen in Hessen umstimmen müssen, aber sie hat sich aus der Verantwortung gewunden.“

Linksfraktionschefin Janine Wissler nannte die Verweigerung der Offenlegung ein „Symbol für das Mauern der Behörden, wenn es um den NSU geht“. Es gehe im Kern um 38 Seiten behördeninterner Aufarbeitung, die die hessische Landesregierung zunächst sogar den Untersuchungsaussschüssen in Berlin und im Wiesbadener Landtag vorenthalten habe. „Da sind keine Primärberichte, da gibt es keine Treffberichte, da gibt es keine Namen“, sagte Wissler und fügte hinzu: „Hier werden keine Personen geschützt, sondern das Versagen des Verfassungsschutzes.“

Hunderte Akten seien verschwunden, Waffen- und Sprengstofffunden sei nicht nachgegangen worden und rechtsextremistische Gewalttäter wie der spätere Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke seien vom Schirm der Behörden verschwunden, erinnerte die Vorsitzende der Linkspartei. „Die Grünen haben aus Koalitionsdisziplin nicht für die Einsetzung des NSU-Untersuchungsausschusses gestimmt, sie haben heute die Chance, den Fehler zu korrigieren“, sagte Janine Wissler.

Schon die ursprüngliche Einstufung als Geheimsache für 120 Jahre habe misstrauisch gemacht, sagte der FDP-Abgeordnete Stefan Müller. Wenn jetzt erneut der Eindruck entstehe, „dass gemauert wird, gelingt es nicht, Vertrauen zu schaffen“, sagte der Liberale in einer heftigen Debatte, die die Landtagsregie an das Ende der Tagesordnung platziert hatte – nach Redaktionsschluss der meisten Zeitungen.

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20 Kommentare

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  • Verfassungsschutz? Sollte der nicht abgewickelt werden? Wieviele Skandale soll's denn noch geben? Nach Schmücker, Celler Loch, NSU usw.

  • Sind Nazis weiter als wir alle ahnen?

    Asylanten werden nicht geschützt, wenn Sie im Untersuchungsausschuß in NRW gegen Anis Amri (IS) mithelfen. Sie müssen das in öffentlicher Sitzung.

    Anzeigen gegen Nazis: "Da kann man nichts machen", Meinungsfreiheit und anderes Geschwurbel.

    Eine Antinazibewegung scheint insgesamt hilflos in unserem demokratischen System.

    Cui bono?

  • So überraschend ist das nicht ...

    ...denn die Brotschimmelfarbigen wollen doch ihren Kopulationspartner ganz sicher nicht von der Bettkante schupsen....

  • schade, jetzt muss man wieder neu überlegen wo man im September sein Kreuz machen wird...

    • @Klabautermann:

      Wahlentscheidungen spontan zu treffen - ich finde das ist nicht angemessen.

      Erst mal tief durchatmen, und noch mal abwägen, fände ich besser.

    • @Klabautermann:

      Ich habe mich schon umentschieden.

      • @Rinaldo:

        Ich auch....

  • Die Verweigerung einer Veröffentlichung ist nicht nach vollziehbar zu Mal Kopien bereits Journalist:innen und Buchautor:innen zugespielt und z.B. in diesem Buch (siehe Zeitartikel unten) veröffentlicht wurden. Daraus geht zumindest hervor dass der Verfassungsschutz insgesamt in den entscheidenden 90er Jahren, in denen die rechte Szene sich neu organisierte und die als Phase der Bewaffnung und Gründung neuer terroristischer Strukturen gilt versagte. Nicht weil sie total blind waren auf dem rechten Auge, aber weil all die Hinweise z.B. auf Bewaffnung nicht nachgegangen wurde und die Rolle all der Einzelpersonen in gut organisierten das Netzwerken nicht erkannt wurde. Dass die Entstehung bestens organisierter auch terroristischer Netzwerke und ihre Verbindung in populistische Gruppen von staatlichen Behörden ignoriert wurde und die Aufdeckung allein zivilgesellschaftlichen Organisationen und Journalist:innen zu verdanken ist, ist ohnehin schon bekannt.



    www.zeit.de/gesell...on/komplettansicht

  • "... gefährde dagegen die Sicherheitsarchitektur"

    Eine, deren oberster Architekt über Jahre ein gewisser Maaßen war?

    Sorry, aber nicht glaubwürdig.

    Liebe Grüne -- bei aller Sympathie: Eure hessischen Kolleg*innen stinken gerade zum Himmel.

  • Maaßen wird es freuen. Wo kämen wir denn hin, wenn der Geheimdienst etwas erklären müsste! Na gut, wie man die RAF jagte, darüber gibt es natürlich viele Bücher. Aber bei Nazis ist das anders ...

    • 9G
      92293 (Profil gelöscht)
      @Kappert Joachim:

      Auch bei den über rechten Rechts Gruppen gibt es Vereinigungen die einem Gut und gerne erklären, dass diese rechte Klientel nicht zu unterschätzen ist, teilt man gerade diesen Leuten mit wie einem der rechte Rand begegnet, dann antworten sie eher mit der Denkrichtung du kennst dich nicht richtig aus. Klar bloß nicht solchen verdienten Verdienern die Maßgabe in straucheln bringen

  • Das Trockenlegen von Sümpfen ist meines Wissens nicht unumstritten - bei realen Sümpfen. Diese Bilder könnten mal überdacht werden. Aber das nur nebenbei. Ansonsten: wenn meine Aufgabe das Trockenlegen von Sümpfen ist und mir Spaß macht, ist es wichtig, dass es Sümpfe gibt. Oder wenn ich als Sumpftrockner eigentlich ein Freund von Sümpfen bin ... Das ist ja der Verdacht. Wäre es ein Weg, die Fraktionsspitzen in einem Ausschuss ins Bild zu setzen bei Geheimhaltungspflicht? So dass die Spitzen ihrer Fraktion nur Daumen hoch/Daumen runter mitteilen können...

  • Die Grünen regieren in 11 Bundesländern mit. Sie sind mitnichten die Opposition, als die sie sich gerieren. Zeit für den deutschen Journalismus, auch dieser Partei mal unangenehmere Fragen zu stellen.

    • @Suryo:

      Das tut der deutsche Journalismus doch regelmäßig.

      • @rero:

        Nein, sie machen es noch nicht..

      • @rero:

        So? Ich habe eher das Gefühl, dass man diese Partei eher schont. Den meisten ist ja gar nicht klar, dass die Grünen eben keine “richtige” Opposition sind, sondern immerhin über zwei Drittel Deutschlands regieren.

  • 9G
    92293 (Profil gelöscht)

    Das ist Politik wie sie Bouffier und weitere cdu Politiker lieben, die Grünen so mit ins Boot nehmen, dass sie in den Folgejahren weniger Beinfreiheit haben. Wie sie das wegdiskutieren wollen wird sich wohl eher schmutzig anhören … ein rarem al wazir wird da dann ins straucheln geraten, aber ein Wechsel ins EU-Parlament ist ja immer möglich

    • @92293 (Profil gelöscht):

      "...die Grünen so mit ins Boot nehmen, dass sie in den Folgejahren weniger Beinfreiheit haben".

      Klappt doch ausgezeichnet. Sieht man auch in der vormals habsburgerischen Alpen"republik" wo



      Vizekanzler Werner Kogler und Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer voller Hingabe als Steigbügelhalter des "Penatenkanzlers" agieren. Die Türkisen marschieren ungestüm in Richtung Autokratie nach ungarischem, polnischem oder russischem Vorbild - doch die österreichischen Spitzengrünen haben es sich mit langen Löffeln vor den Fleischtöpfen der Macht gemütlich eingerichtet.

      Annalena Baerbock sollte achtgeben, dass sich kein falscher Eindruck verfestigt.

      • 9G
        95820 (Profil gelöscht)
        @hinnerk untiedt:

        "Annalena Baerbock sollte achtgeben, dass sich kein falscher Eindruck verfestigt."

        Meinten Sie "richtiger Eindruck"?

      • @hinnerk untiedt:

        Welcher falsche Eindruck sollte denn entstehen? Die Sache ist doch klar. Da, wo Grüne mit regieren, insbesondere mit den Schwarzen, kann man sie von den Schwarzen nicht unterscheiden.



        In Hessen hat sogar die AfD für die Veröffentlichung der Akten gestimmt. Und die Grünen machen sich zu Kompliten des Schweigens.

        www.freitag.de/aut...zen-des-schweigens