piwik no script img

Bürokratie in DeutschlandWas wir aus Corona lernen könnten

Ein gute Verwaltung wäre unkor­rum­pierbar und gerecht. Aber dafür brauchen wir erst mal etwas anderes: eine linke Kritik der Bürokratie.

Warum reagieren wir mit so viel Gleichmut auf die Tatsache, dass wir so schlecht verwaltet werden? Foto: Leigh Wells/imago

E ine Krise ist, na ja, so gut wie das, was eine Gesellschaft aus ihr lernt. Was das anbelangt, ist der Verdacht groß: Corona ist eine echte Scheißkrise. Nehmen wir Bürokratie als Beispiel.

In unserer arg vereinfachenden politischen Endloserzählung geht es um die Beziehung von „Regierung“ und „Volk“. Die Regierung braucht ein gutes Volk. Also eines, das seine Steuern zahlt und nicht gleich zu den Nazis rennt, wenn ihm etwas an der Regierung nicht passt. Und das Volk braucht eine gute Regierung. Also eine, die Versprechungen einhält und nicht gleich Polizei und Justiz losschickt, wenn ihr wer im Volk nicht passt.

Aber Regierung und Volk sitzen ja selten gemütlich beieinander. Sie begegnen sich vielmehr hauptsächlich symbolisch und Sprechschau-rhetorisch. Und da ist der Verlogenheitsfaktor in der Regel groß genug, um Menschen fernzuhalten, die sich was aus Würde und Unabhängigkeit machen.

Nein, nicht Zeremonien und Zeichen sind es, die Regierung und Volk praktisch miteinander verbinden, sondern ein „intermediärer Sektor“, in dem sich die Interessen beider Seiten treffen sollen. Von der Seite des Volkes her sind das Organisationen wie Gewerkschaften, Vereine, Verbände, Genossenschaften, aber auch Medien, Bewegungen, Szenen. Von der Seite der Regierung treten Ordnungsmächte (wie die Polizei), Information (darfst auch „Propaganda“ sagen) und, last but not least, Verwaltung in diesen intermediären Sektor. Eine traditionelle Verwaltung besteht in der Umsetzung des Regierungswillens in ökonomische, kulturelle und alltägliche Praxis.

Wir können Bürokraten und Verwaltungen nicht wählen – und schon gar nicht abwählen

Eine demokratische Verwaltung, wenn es so etwas gibt, würde zwischen dem Willen der Regierung und den Bedürfnissen des Volkes vermitteln, und zwar bis in jeden Einzelfall hinein. Was wäre also eine gute Verwaltung? Klar: menschlich, vernünftig, transparent, selbstlos, also unkorrumpierbar und gerecht. Eine solche ideale Verwaltung gibt es auf Erden nicht. Wir wären schon froh, wenn man sich von allen Seiten darum bemühte.

Wie wir wissen, steht es um den intermediären Sektor nicht zum Besten. Die Gewerkschaften beschränken sich auf Tarifspiele und verteilen an ihre Mitglieder bunte Blättchen mit Reklame für Kreuzfahrten und Gewinnspiele. Die Berufsverbände lösen sich als Lobbynetzwerke auf, die Medien, nun ja.

Lahmarschig und würdelos

Und die Verwaltung? Wir nennen sie Bürokratie, und wohl jede und jeder von uns hat Geschichten zu liefern, wie würdelos, ungerecht, menschenfeindlich, rücksichtslos, widersinnig, lahmarschig, undurchsichtig, inkompetent und so weiter Bürokratie sein kann. Verwaltung ist uns im Alltag viel näher als Regierung, die direkte Macht eines Bürokraten betrifft uns mehr als die indirekte der Politik, weil eine Regierung viel versprechen kann, was ihre Bürokratie dann schon zu verhindern wissen wird. Und weil wir Bürokraten nicht wählen und schon gar nicht abwählen können.

Krisen machen auch hier etwas sichtbar, was sonst in alltäglicher Praxis verborgen ist. So sprechen wir auch jetzt wieder (und natürlich nicht zu Unrecht) vom Versagen der Regierung und dem einzelner Ministerien ganz besonders. Vom großen strukturellen Versagen der Bürokratie in nahezu allen Folgeproblemen der Pandemie dagegen wird vergleichsweise wenig gesprochen.

Bürokratie ist ein Subsystem der Gesellschaft, und sie ist ein Subsystem in jedem Subsystem. Die Wissenschaft, die Medizin, das Finanzwesen, die Kultur, die Bildung, sie alle haben ihre eigene Bürokratie, die wiederum mit der Metabürokratie des Staates verflochten ist.

Bürokratie als Wucherung

Sie alle haben fünf eingebaute Probleme: Erstens: die Korruption. Sprechen wir erst gar nicht von Maskendeals und betrügerischen Testabrechnungen oder gefälschten Dokumenten: Bürokratie als Kontrollinstanz verhindert Korruption in der Regel nur in dem Maße, in dem sie ihr neue Betätigungsfelder aufbaut. Zweitens: Die Bürokratie als Selbstzweck ist ein System, das sich immer weiter selbst ausdehnen will und daher nicht im Einzelfall, sondern prinzipiell überfordert ist. Die Antwort der Bürokratie auf Fehler ist: noch mehr Bürokratie.

Drittens: Intransparenz. Bürokratische Systeme schotten sich nach außen hin ab. Das Wesen einer bürokratischen Macht besteht darin zu kontrollieren, ohne kontrolliert zu werden. Viertens: Abstraktion. Bürokratie ist ein System, das an der eigenen Unverständlichkeit arbeitet. Und fünftens: Schwerfälligkeit. Je größer der bürokratische Apparat, desto retardierter die Bewegungen.

Die Zukunft der Demokratie

All das ist ja nun nicht gerade neu. Die Kritik an der Bürokratie begleitet die Entwicklung der modernen Staaten, und oft von der falschen Seite her. Die neoliberale Kritik zum Beispiel betrifft nur die möglichen Hemmungen für die Unternehmungen des Kapitals, gegen die Bürokratisierung der sozialen und medizinischen Grundversorgung von uns Normalmenschen hat sie nichts.

Aber gerade deswegen kann man fragen: Was ist eigentlich mit uns los, dass wir mit so viel Gleichmut und Desinteresse auf die unübersehbare Tatsache reagieren, dass wir so schlecht verwaltet werden? In der Coronakrise zeigte sich einmal mehr, wie sich Komplizenschaft und Widerspruch von Politik und Bürokratie auswirken (man wird es einst den Jens-Spahn-Faktor nennen).

So entstand die soziale Chaotisierung, die nahezu jeder Mensch in dieser Krise erleben durfte, sei es bei der Organisation der individuellen Beihilfen, bei der Impffolge, bei der Durchsetzung von Lockdownregeln oder bei Ein- und Ausreisebestimmungen.

Politik und Verwaltung setzten offenbar alles daran, am Ende genau dies zu verhindern: aus Fehlern lernen. Es muss neben der ökonomischen und der technischen auch eine soziale und kulturelle, das heißt eine linke Kritik der Bürokratie geben. Denn genau hier entscheidet sich, ob Demokratie eine Zukunft hat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Na ja - es wird hier gern und oft von „Bürokratie“ gesprochen, wenn etwas im Verhältnis zum Staat zu lange gedauert hat, zu teuer oder letztlich ineffektiv oder sonstwie unbefriedigend verlief. Man sollte hierbei aber immer sehr genau unterscheiden, ob eine Verwaltung wirklich ernsthaft bemüht ist, Lösungen im Sinne der Bürger zu finden, oder ob sie Kraft ihrer Machtstellung solche Lösungen eigentlich nur zu verhindern sucht. In letzterem Fall wird man zurecht von Bürokratie sprechen können, im ersteren Fall würde ich mit Brecht eher von den „Mühen der Ebene“ reden, was so etwas wie ein gemeinsames Ringen um die bestmögliche Lösung bei gleichzeitig geringstem Aufwand bedeuten soll. Der Vollständigkeit halber sei hier erwähnt, dass sich auch immer wieder Leute mit Anliegen an Verwaltungen richten, die schlicht unberechtigt bzw. unerfüllbar sind.

  • Hm, man wird hier durch dieses gewollt launige Geplauder geschickt, um am Ende festzustellen, dass die intellektuelle Leistung des Artikels darin besteht, auf einen anderen Artikel von 2016 zu verweisen. Wenn Sie so ein Thema aufrufen, hätte ich doch zumindest einen kleinen Versuch, etwas selber beizusteuern erwartet.

  • Ein wirklich sehr interessanter Artikel. Ich denke, Bürokratien sind für hocharbeitsteilige Volkswirschaften und demokratische Staaten unverzichtbar. Aber ihre Problematik verdeutlicht der Artikel. Vielleicht müsste "eine linke Krtik" an Bürokratien ersteinmal eine "demokratische Kritik" an ihnen sein? Wie, in welcher Art muss Bürokratie an die Demokratie gebunden sein?



    Mit großem Interese gelesen.

  • Es würde vermutlich schon helfen, wenn Artikel zu dem Thema nicht im Zustand vollkommener Ahnungslosigkeit geschrieben würden.



    Oder vielleicht auch nur im Frust persönlicher Betroffenheit, also Befangenheit des Autors.



    Ohne Bürokratie funktioniert kein Gemeinwesen.



    Wie soll denn sonst das allgemeine Recht auf den jeweiligen Einzelfall angewendet werden? Das muss irgendwer machen - und das heißt eben Bürokratie.



    Jede einzelne Entscheidung ist mehrfach durch unabhängige Dritte überprüfbar. Das erzeugt eine recht hohe Rechtsbindung.



    Korruption hält dort nur für ein Problem, wer das Innenleben nicht kennt. Die mannigfachen Begünstigungen erfolgen nur politisch durch die Verwaltungsspitze oder Politik aber ohne greifbare Gegenleistung - jedenfalls auf der Verwaltungsebene.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    "Ein gute Verwaltung wäre unkor­rum­pierbar und gerecht. Aber dafür brauchen wir erst mal etwas anderes: eine linke Kritik der Bürokratie."

    Oder Friedrich den Großen zurück. Bzw. das Recht der Kanzlerin Einzelnen einen Spießrutenlauf zu verordnen.

  • Zitat: „Es muss neben der ökonomischen und der technischen auch eine soziale und kulturelle, das heißt eine linke Kritik der Bürokratie geben. Denn genau hier entscheidet sich, ob Demokratie eine Zukunft hat.“

    Klingt gut. Dass Bürokratie von links kritisiert werden sollte, finde ich als kleines Rädchen im Getriebe auch häufig. Immer dann etwa, wenn „meine“ Verwaltung den Großen mal wieder eine besonders fettere Extrawurst gebraten hat, während den Kleinen einen Stein nach dem anderen in den Weg gelegt wurde, wenn sie zum Selbstzweck wird, abstrakt und verklausuliert vor sich hin geheimniskrämert oder einfach nur um sich selbst kreist, anstatt zu tun, was nötig wäre. Nur: Wie ganz genau kann so eine Kritik von links aussehen? Eine Kritik, meine ich, die mehr ist als die Selbstbeweihräucherung der Kritiker und ein außergerichtliches Todesurteil für die Kritisierten? Eine, die nicht alles bloß noch schlimmer macht, weil sie sofort von Unbedarften missverstanden, von interessierter Seite bewusst fehlinterpretiert oder von Rechten gekapert wird? Eine, die tatsächlich beim Empfänger ankommt und die richtige Reaktion auslöst und sich nicht bestenfalls „versendet“?

    Wenn Bürokratie - was ich mitunter auch glaube - tatsächlich nicht lernen will aus ihren Fehlern, weil Fehler vertuscht werden müssen (sie könnten schließlich die Karriere kosten) und eine funktionierende Bürokratie auch gar nicht gewollt ist von den Noch-Mächtigeren, wäre Kritik von links dann nicht genau so, als würde man Perlen vor Säue werfen? Eine Einladung an jeden, der immer schon wusste, wo der eigene Arsch am kommodesten zu platzieren ist, sich zu ganz eigenen Zwecken zu bedienen?

    Mit Rechten reden? Bringt einfach nix. Schon gar nicht für die Zukunft der Demokratie.

  • Gut wäre, wenn Bürokratie endlich - nicht nur bei der TAZ - ein Thema würde.

    Gegen Bürokratie gibt ein gutes Rezept, für das sich jede Partei einsetzen könnte, nicht nur die Linken: Mittelkürzungen.

    Und wenn man sich vor Augen hält, dass wir seit Jahren Rekord-Steuereinnahmen haben, gleichzeitig steigende Ausgaben und eine Infrastruktur, die vor sich hin rottet, dann wird schnell klar, wie viel Geld unsere Bürokratie eigentlich verschlingt.

    • @Peter_:

      Erst Mittel kürzen, und sich Danneberg lange Bearbeitungszeiten beschweren.



      So kann jede Behörde ruiniert werden.



      Aber hilft das dem Bürger?



      Der will doch irgendwelche Leistungen oder Hilfestellungen. Wer soll das machen?

  • Es ist jedenfalls mal einen Versuch wert, die liberale Kritik an der Bürokratie durch eine linke konstruktive Kritik an staatlichem Handeln zu ergänzen und womöglich abzulösen. Eigentlich gilt ja, dass wir selber der Staat sind und damit auch die Bürokratie und die auch nur so ist wie wir selber. Rumzulaufen und nur Verbote zu kritisieren, die einen selber betreffen, und Hindernisse zu beklagen, die ja eigentlich schon einer vernünftigen solidarischen Absicht entspringen, dergleichen sollten wir der FDP überlassen. Man kann auch nicht ernsthaft über versagende Verwaltungen meckern, wenn man gleichzeitig immer mehr und immer kleinteiligere Gerechtigkeitsansprüche an die Regelungen und ihre Ausführung heranträgt. Letzteres könnte man ja als linkes Phänomen ansehen, aber schon bei der Steuergestaltung und der diesbezüglichen Verhandlung von interpretationsfähigen Entscheidungen ist dann fast jeder wieder mit dabei, wenn es darum geht, die Ämter mit der Androhung von möglichst viel Arbeit zu Kompromissen zu bewegen. Gegen wirklich jeden Bescheid erst einmal Widerspruch einzulegen ist übrigens auch weder Ausdruck von Objektivität noch von Freiheitsliebe, sondern nur von kleingeistigem Anspruchsdenken. Die Bürokratie mag ja wie geschildert auch ein Eigenleben führen, vor allem aber ist sie ein Abbild von uns selber. Zumal: wer arbeitet denn in "Bürokratien"? Oder wie "bürokratisch" ist heutzutage selbst der Alltag einer Lehrerin, die ja längst jede Note gegen wütende und mit Anwälten drohende Eltern verteidigen muss? Und jeder kleine Ladenbesitzer muss sich permanent gegen FDP- wählende Abmahnanwälte wappnen wenn es ein Schild ins Schaufenster stellt. Was ist überhaupt "Bürokratie", wenn manche Verwaltungen kaputtgespart werden und andere vor lauter Dokumentationsauflagen und Qualitätsmanagement überhaupt nicht mehr zum Arbeiten kommen?

  • Viele Vorwürfe, viel Pauschalisierung und zum Schluss auch nur eine Forderung nach "linker Kritik der Bürokratie".



    Was genau das sein soll, was das ändern soll?



    Fehlanzeige.

    Das könnte damit zusammenhängen, dass linke Gesellschaftsentwürfe und real existierende Staatswesen sich flächendeckend durch eine Begeisterung für überbordende Bürokratie auszeichnen und in der Praxis auf diese Bürokratien linker Staaten all die oben erhobene Vorwürfe in weitaus grösserem Masse oder überhaupt nur zutreffen.