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Weltarbeitsorganisation zu CoronafolgenLong Covid auf dem Arbeitsmarkt

Corona hat laut ILO global über 100 Millionen Arbeitsplätze vernichtet. Betroffen sind vor allem gering Qualifizierte und Frauen im globalen Süden.

Weniger Jobs wohl auch auf dem Basar von Dakar, Senegal Foto: Sadak Souici/Le Pictorium/imago

Genf taz | Die Spätfolgen der Covid-19-Pandemie werden noch lange auf den Arbeitsmärkten weltweit zu spüren sein – und diejenigen, die schon vor der Pandemie benachteiligt waren, sind davon besonders betroffen. Das sagt die jährliche Beschäftigungsprognose voraus, die die Internationale Arbeitsorganisation ILO am Mittwoch in Genf vorgestellt hat. „Long Covid könnte ein wirtschaftliches und soziales Phänomen werden, nicht nur ein medizinisches“, warnte ILO-Generaldirektor Guy Rider. Er beobachte Rückschritte in fast allen Bereichen der Arbeitswelt und befürchte noch mehr Spaltung zwischen Arm und Reich, wenn nichts getan werde.

Wegen der Pandemie fiel 2020 weltweit jede elfte Arbeitsstunde aus, zusammengerechnet ergäbe das 255 Millionen Vollzeitstellen. Während manche nur vorübergehend nicht beschäftigt waren, etwa wegen Kurzarbeit, verloren 114 Millionen Menschen ihr Arbeit ganz. Noch einmal 30 Millionen Stellen wurden wegen der Pandemie nicht geschaffen. Für 2021 rechnet die ILO mit weiteren 75 Millionen, für 2022 mit 23 Millionen Arbeitslosen.

„Wir erwarten im zweiten Halbjahr 2021 zwar ein deutliches Wachstum an Arbeitsstellen, aber das wird nicht genug sein, um den Schaden der Krise zu beheben“, erklärt Ryder. Grund für die düsteren Aussichten ist einerseits das Aufflammen der Pandemie in einigen Regionen, andererseits die schleppende Impfkampagne in vielen Ländern.

Besonders dramatisch ist die Lage auf den Arbeitsmärkten Lateinamerikas und der Karibik, Asien und die Pazifikregion kamen bisher am glimpflichsten davon. Westeuropa liegt dazwischen, konnte vor allem wegen staatlicher Unterstützungen aber mehr als vier von fünf Arbeitsverträgen erhalten.

Dramatische Lage auch für Menschen mit Arbeit

Angesichts der ungerechten Impfstoffverteilung – 75 Prozent aller bisher gegen Covid Geimpften kommen aus nur zehn Ländern – überrascht es kaum, dass vom erwarteten Stellenwachstum nur wenige Staaten profitieren. „Wir gehen davon aus, dass die Arbeitssituation in armen Ländern sich weiter verschlechtern wird, während die Länder mit hohem Einkommen die Kluft am schnellsten überwunden haben werden“, so Ryder. In armen Ländern ist die Lage sogar für diejenigen, die Arbeit haben, dramatisch: 108 Millionen Menschen weltweit arbeiten zwar, verdienen aber weniger als 3,20 US-Dollar am Tag.

Mit Sorge sieht die Organisation die Zunahme selbstständiger Arbeit. Gerade im globalen Süden sei dies kein sozialer Aufstieg, sondern das Gegenteil. Selbstständigkeit bedeute für die meisten Betroffenen Arbeit im informellen Sektor, vom Autowaschen über den Straßenverkauf bis zur Garküche am Straßenrand.

Drei von fünf Beschäftigten weltweit, zwei Milliarden Menschen, arbeiten in solchen informellen Verhältnissen. Für sie gab und gibt es im Lockdown keine Unterstützung, Bankkredite ohnehin nicht. Viele informell Beschäftigte sind in den vergangenen 18 Monaten pleitegegangen, andere stehen vor einer ungewissen Zukunft. Pläne zum Wiederaufbau der Wirtschaft müssten deshalb unbedingt den informellen Sektor einbeziehen, fordert Ryder.

Das von der ILO errechnete globale Einkommen fiel 2020 um 8,3 Prozent, und auch diese Verluste sind ungleich verteilt. Auf der ganzen Welt sind die Verliererinnen der Krise mehrheitlich weiblich. Einerseits ging die Beschäftigung von Frauen weltweit während der Pandemie um 5 Prozent zurück, bei Männern liegt die Quote bei 3,9 Prozent. Die ILO prognostiziert zudem, dass nur jede zehnte Frau auf den Arbeitsmarkt zurückkehren wird, was auch daran liegt, dass die Zahl der Stunden, die Frauen unbezahlt arbeiten – etwa in Haushalt und Familie –, deutlich zugenommen hat.

Auch Jugendliche stark betroffen

ILO-Chef Ryder fürchtet, dass diese Entwicklung „antiquierte Geschlechterrollen wiederbeleben“ werde. Besonders betroffen sind außerdem Jugendliche, gerade dann, wenn sie während der Pandemie am Übergang zwischen Ausbildung und Arbeitsleben standen. Erfahrungen zeigten, dass solche Vorkommnisse die Karrieremöglichkeiten und das Lohnniveau für Jahrzehnte beeinträchtigten – vorausgesetzt, die Jungen finden in der Nach-Covid-Wirtschaft überhaupt Arbeit. Die Zahl junger Arbeitsloser in der Pandemie ist laut ILO zweieinhalb Mal höher als die der erwachsenen; bei vielen von ihnen sei vollkommen ungewiss, wann und ob sie je wieder Arbeit fänden.

Am kommenden Montag beginnt die Internationale Arbeitskonferenz. Regierungen, Arbeitgeber und Gewerkschaften werden dort auch darüber sprechen, wie die Zukunft der Arbeit nach der Pandemie aussehen kann. Corona habe gezeigt, wie unverzichtbar soziale Sicherungssysteme seien, sagt ILO-Chef Ryder. Nur eins schließt er aus: dass die Arbeitswelt jemals wieder so wie vor der Pandemie sein wird. Ob das eine gute Nachricht ist, muss sich zeigen.

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6 Kommentare

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  • Wir steuern auf eine Situation nie dagewesener globaler Konzentration von Wirtschaftsmacht zu. Die Veränderung in der Einkommensverteilung werden hier hoffentlich viele zur Kenntnis genommen haben. Das ist aber erst der Anfang: Liebe Malocher, nehmt lieber 500.000 in die Hand und kauft ein Haus oder fangt an zu traden, denn euer Erspartes ist bald weg. Vergessen wir aber nicht die Toten, die der Lockdown im globalen Süden verursacht hat: Hungerpandemien durch Zusammenbruch der Versorgungsketten und Wegfall der Lebensgrundlage. Drastische Zunahme der Kinderarmut. Hunderttausende zusätzliche Tote durch Malaria, Polio, Tuberkulose, HIV infolge der einseitigen Ausrichtung der Gesundheitsversorgung auf COVID19. Für die Bekämpfung einer Krankheit, deren Opfer hierzulande durchschnittlich 80 sind und damit über dem durchschnittlichen Sterbealter der betroffenen Generation. Zu 90% sind sie über 70 und zu 99% über 50. Wegen sowas werden in Afrika Kinder zu Tode gerettet. Und wir „Linken“ gehen auf die Straße um so eine Politik gegen Kritik zu verteidigen. „Ob das eine gute Nachricht ist, wird sich zeigen“, so Herr Ryder.

    • @Matschegenga:

      „Und wir „Linken“ gehen auf die Straße um so eine Politik gegen Kritik zu verteidigen“ – exakt. Anstatt den Verantwortlichen eine fundiertere Kritik um die Ohren zu hauen.



      Der Horizont und die Solidarität der Kritikverhinderer reichen in diesem Zusammenhang nicht einmal bis ans Mittelmeer, sondern gerade mal bis zur deutschen Außengrenze. Wie, warum und in welchem Ausmaß anderswo gestorben wird, scheint niemanden zu interessieren oder schafft es schlicht nicht in die Filterblasen.

  • Long COVID ist eine medizinische Diagnose. Bitte kein Firlefanzgerede. Denn echtes long COVID wird ebenfalls soziale Folgen haben. Aber wie viele? Das ist eine spannende offene Frage. Davon geht es keine Sekunde im ganzen Artikel.

  • "Corona hat laut ILO global über 100 Millionen Arbeitsplätze vernichtet."



    Nicht Corona , die desolate Politik war es.

    Da fällt mir ein, hat einer mal was von den Schweden gehört, leben die noch?

    • @lulu schlawiner:

      👍

  • danke für die Informationen.