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Fahrgastrechte bei der BahnEine desolate Situation

Kommentar von Svenja Bergt

Anträge auf Erstattung des Fahrpreises bei Verspätung darf man nun online stellen. Aber kundenfreundlich wird die Bahn damit noch nicht.

Ihr Zug ist leider verspätet – Bahn­kun­d:in­nen kennen das nur zu gut Foto: Wolfgang Kumm / dpa

E s ist schon ein arges Missverhältnis: Vier von fünf Kund:innen, so sagt es die Deutsche Bahn selbst, buchen ihr Ticket mittlerweile online – über die Website oder per App. Aber null von fünf Kun­d:in­nen können bislang auf diesem Weg Erstattungsansprüche geltend machen, wenn sich mal wieder eine Weiterfahrt auf unbestimmte Zeit verzögerte. Null von fünf Kund:innen? Nein. Denn natürlich haben in den vergangenen Jahren Start-ups die Marktlücke erkannt.

Der Deal: Die Kundin kann ihren Erstattungsantrag online über den Dienstleister einreichen. Der bekommt eine Provision und die Kundin spart sich das Ausdrucken zu Hause oder das Anstehen im Reisezentrum. Diese Firmen werden ab Juni wohl weniger zu tun haben. Dann nämlich, so hat es die Bahn am Montag mitgeteilt, können Fahrgäste ihre Anträge direkt online einreichen.

Fast fühlt sich das an wie eine kleine Revolution. Sie darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Situation in Sachen Fahrgastrechte insgesamt weiterhin ziemlich desolat ist. Zum Beispiel im europaweiten Zugverkehr. Wer durch verschiedene Länder reist und dabei aufgrund einer Verspätung einen Anschlusszug in einem anderen Land verpasst, darf sich mindestens auf lange Diskussionen und E-Mail-Korrespondenzen einstellen.

Und ab 2024 wird es noch ein Stück schlechter: Dann können sich europäische Bahnunternehmen in noch mehr Fällen auf „höhere Gewalt“ berufen. Zum Beispiel bei extremen Wetterbedingungen, die ja gerade häufiger zu erleben sind. Für die jüngst beschlossenen Verschlechterungen waren übrigens maßgeblich die EU-Mitgliedsstaaten verantwortlich, das EU-Parlament wollte mehr Rechte für Fahrgäste.

Das Problem ist: Jede Hürde, jede daraus resultierende schlechte Erfahrung hält Menschen davon ab, die Bahn zu benutzen. Und das ist klimapolitisch eine Katastrophe. Denn auch wenn es manche Partei noch nicht verstanden hat: Bahnfahren muss, auch auf Langstrecken, innerhalb Europas zum Standard werden. Und an diesem Ziel müssen sich auch die Rechte der Bahn-Nutzer:innen messen lassen.

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Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.
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8 Kommentare

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  • Problematischer Autor und seltsame Leserschaft. Wer möchte denn Ersatz zahlen für seinen umgestürzten Baum ab Windstärke 8 - Orkan? Soll die Bahn sich die Forderungen bei den Angehörigen der Suizidpersonen einfordern? Wenn vom Berg Steinschlag oder ein Hangrutsch abgeht, soll die Bahn erstatten? Wie teuer müssen Fahrscheine sein, um das zu bezahlen?

  • Gibt es eigentlich eine gesetzliche Bestimmung, dass man Forderungen an eine Person (egal ob natürlich oder juristisch) mit einem bestimmten Formular oder auf einer bestimmten Webseite stellen muss?

    Ich glaube, das gibt es nicht. Vielleicht gibt es ein Gesetz, dass die Bahn über den Gesetzen steht. Mindestens war es bisher so. Wenn die Bahn endlich Besserung gelobt und sich ein wenig in Richtung Kundenfreundlichkeit bewegt, muss man froh sein. Denn es ist nicht selbstverständlich, dass man Forderungen auf einer Webseite kundtun kann.

  • "Vier von fünf Kund:innen, so sagt es die Deutsche Bahn selbst, buchen ihr Ticket mittlerweile online – über die Website oder per App."

    Denen ist der Datenschutz wohl egal. Ich kaufe Bahnfahrkarten am Automaten oder Schalter oder im Bahnreisebüro. Gegen Bargeld.

  • Dass man bei der Bahn die Erstattungsregelung via APP papierlos machen kann, ist ein Fortschritt. Dafür sollte man sie doch eher loben. Fragen wir doch mal so eben nach kundenfreundlichen Erstattungsregelungen für diejenigen, die sich als AutofahrerInnen ständig über die Deutsche Bahn aufregen, die meisten Stories dazu gehört haben und auftischen können, um dann zu ihrem größten Vergnügen unendlich viel Zeit durch Autobahnstaus zu verlieren: der erstattungsfreie Stauspaß.

    • @denkmalmeckermalmensch:

      Na ja, warum denn loben? Für eine Selbstverständlichkeit?

      Die DB verzichtet ab Juni nur auf einen unbilligen (also fiesen) Trick. Dieser (Papierkram + Postweg) diente (nur) dazu, es allen Kunden maximal schwer und umständlich zu machen, im Verspätungsfall ihre Rechte geltend zu machen.

      Technisch hätte die Bahn diese Lösung zumindest für alle online erworbenen Fahrkarten auch schon vor 20 Jahren anbieten können. Über das DB-Portal gelöste Fahrscheine konnte man immer nur über dieses umtauschen oder zurückgeben.

      Es wäre nur logisch gewesen, auch die Teilerstattung des Fahrpreises wegen Verspätung bei Online-Fahrscheinen gleich über dieses Portal (also elektronisch) abzuwickeln. Dies wäre für Bahn sogar günstiger gewesen, sofern man nur den Prozess selbst (Papier vs. vorhandene Elektronik) betrachtet und nicht die unbilligen Nebeneffekte (d. h. Verzicht auf Erstattung wegen Papierkram) betrachtet.

      Aber der DB ging es hier wohl um das 'Sparen' von Erstattungsansprüchen bzw. die Zahl der Anträge klein zu halten.

      Auch ich habe der DB bisher pro Jahr ca. EUR 50,- geschenkt. Mir war es meist 'zu blöd', für EUR 7 - 8 Erstattungsanspruch (25% vom BC50-Fahrpreis) ein Formular mit 'zig' Zugnummern und der Bankverbindung auszufüllen, es in das Kuvert zu stecken und dann noch zum Briefkasten zu tragen. Inzwischen hatte ich mir sogar schon einen Vorrat dieser Formulare angelegt. Denn dieses Formular muss man ja erst einmal bekommen. Im 'dümmsten Fall' muss man deshalb einen DB-Schalter aufsuchen. Letzteren hat es aber auf dem Land kaum noch.

      Das Perfide an der Sache (war):



      All diese Angaben für den Erstattungsantrag hatte die DB im Fall einer Online-Buchung ja bereits in ihrem Portal gespeichert.

      Wollen Sie die DB dafür jetzt immer noch loben?

  • Man kann es auch genau andersrum sehen mit der höheren Gewalt: Jeder Euro, der für Erstattungen von Verspätungen ausgegeben werden muss, die nicht in der Verantwortung der Bahn liegen, fehlt der Bahn anderswo, kann nicht für neue Strecken, neues Wagennmaterial, mehr Komfort, mehr Züge, besseres Angebot etc. ausgegeben werden oder muss auf die Fahrpreise aufgeschlagen werden. Das hält die Leute womöglich starker vom Bahnfahren ab. Denn wenn man mit dem Auto in einen Stau gerät oder aufgrund der Wetterlage langsamer vorankommt, gibt es auch kein Benzingeld zurück.

    • @Ruediger:

      Vielleicht können sie eine Spendenaktion für die Bahn initiieren. Es geht bei den Erstattungen schließlich um ein verbrieftes Recht.

      Der Bäcker kann auch nicht sagen, er habe nur noch ein halbes Brot hier, aber ich hätte gefälligst voll zu bezahlen. Das Geld benötige er für einen neuen Backofen.

      • @fvaderno:

        Verdrehen Sie nicht die Tatsachen. Es geht hier nicht darum, dass die Bahn willkürlich Zahlungen verweigert, sondern darum, dass der Gesetzgeber das Recht ändert, so dass die Bahn bei höherer Gewalt nicht haftbar ist. Das ist ja nun eine durchaus übliche Klausel.